15 - Dex

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DEX

Es war irgendwie zur Gewohnheit geworden, dass ich mich nun jeden Freitagabend im Just chill wiederfand. Fragt mich nicht, wie es dazu kam, aber dieser Ort gab mir eine Art Zuhause, während in meinem eigentlichen Haus wie jede Woche irgendeine Party stattfand. Ich hatte mittlerweile herausgefunden, dass es niemandem auffiel, wenn ich mich während der Musik einfach weg schlich. Also blieb ich jede Woche eine halbe Stunde da, begrüßte die Gäste und verschwand dann durch die altbekannte Terrassentür.

Phil hatte mir zuerst nicht geglaubt, dass ich lieber in das alte, noch aus einer anderen Zeit stammende Café ging, anstatt mich mit Mädchen und Alkohol zu vergnügen. Nur mit dem Rauchen hatte ich immer noch nicht aufgehört, auch wenn das es war, was ihn am meisten beunruhigte. Trotzdem verlor er kein Wort darüber und schaltete gleich in seinen Spaßmodus.

„Bist du krank, Dixi-Boy?“, hatte er gefragt und mir besorgt die Hand auf die Stirn gelegt um zu schauen, ob ich denn Fieber hätte. Manchmal war er wirklich wie ein kleines, verspieltes Kind. Aber ich war ja nicht besser.

Seit der Sache mit Angie war mir irgendwie nicht mehr nach Mädchen. Nicht, dass ich jetzt auf die andere Seite gewechselt wäre, Gott, nein. Ich konnte es nur einfach nicht mehr tun. Ja, es ist wahr. Dex der Herzensbrecher ist keiner mehr.

Es war kindisch und ich wusste es, doch ich konnte Clem seitdem nicht mehr in die Augen sehen. Ständig hatte ich ihren Blick vor mir, wie sie mich anguckte, als wäre ich giftig oder abstoßend. Oder eine Atombombe, die jeden Moment in die Luft gehen könnte.

Ich wollte es mir nicht eingestehen, doch ihre Worte hatten mich verletzt. Zum ersten Mal hatte Clementine es geschafft, mich mit ihren Worten komplett auszuziehen. Nicht im wörtlichen Sinn gemeint, versteht sich.

Ihr Blick hatte mich an meine Mum erinnert, die nicht gewollt hätte, dass ich mal eben nach Lust und Laune etliche Mädchenherzen brach. Und das Erinnern an meine Mum hatte mich so sprachlos gemacht, dass ich nichts erwidern konnte, als Clem mich in Grund und Boden schimpfte und schließlich verletzt abrauschte, da selbst Nimy sie nicht unterstützte.

Das alles war schon über eine Woche her und trotzdem gelang es mir nicht, auf irgendeine Weise zu kontern. Jedes Mal, wenn ich Clem sah, machte ich den Mund auf - und mein Kopf war leer. Wie konnte das denn sein, verdammt? Mittlerweile sagte auch sie nichts mehr und wir schauten uns immer nur schweigend an, bis einer schließlich wegsah. Sehr seltsame Situation.

Alle wunderten sich schon, wieso es auf einmal so still war und manchmal hatte ich das Gefühl, sie vermissten unser Gekeife und die Beleidigungen. Ich wusste nur, dass Clementines Worte in mir etwas geöffnet hatten, das ich am liebsten geschlossen gehalten hätte.

Trauer. So viel Trauer, die ich mir nie erlaubt hatte zu fühlen. Die ich weggesperrt, in mir eingesperrt hatte. Doch wie immer im Leben kann man vor seinen Problemen nicht weglaufen. Sie laufen dir einfach hinterher und greifen dich dann an, wenn du es am wenigsten erwartest.

Das war der Grund, weshalb ich jeden Freitag und ab und zu auch Samstag im Just chill zu finden war. Hier konnte ich nichts kaputt machen und war zugleich nicht allein, um in meiner Trauer zu versinken. Ich hatte Palma, die leise und flink Kaffeetassen putzte, Tische abwischte und die Kasse zählte.

Irgendwie hatten wir eine stille Vereinbarung getroffen: sie fragte mich nicht, wieso ich meine Zeit hier in diesem Laden vergeudete und ich ließ sie in Ruhe ihre Arbeit machen. Doch heute war alles anders.

„Dexter“, sagte sie, als ich mich an meinen gewohnten Platz setzen wollte. Überrascht sah ich sie an. Sie hatte mich noch nie mit meinem vollen Namen angesprochen. Es klang anders mit ihrem Akzent. Als wäre ich ein anderer Mensch. Ein besserer?

„Sag mir, was du wirklich hier machst.“ Ihre Stimme klang fordernd und trotzdem stellte sie mir sogleich eine Tasse frischen Kaffee hin. Sie wollte wohl also nicht, dass ich ging. Das war gut. Oder?

„Ich dachte, wir hätten eine Abmachung“, erwiderte ich und versuchte, nicht allzu kühl zu klingen. Ich wollte nicht reden, verdammt. Wieso verstand das denn niemand?

„Ich weiß.“ Mehr sagte sie nicht. Nicht, wieso sie beschlossen hatte, sich nicht mehr daran zu halten. Nicht, wieso sie wissen wollte, was mit mir los war. Noch nie wollte das jemand wissen. Außer Phil, aber der zählte nicht. Ich war Dex, der Herzensbrecher. Nur leider vergaßen alle, dass auch Herzensbrecher Gefühle hatten.

„Hör zu, Palma.“ Meine Stimme klang hart, ich biss die Zähne zusammen. Eigentlich wollte ich reden, wollte ihr alles erzählen. Ich hatte dieses aberwitzige Gefühl, dass Palma es verstehen würde. Doch wie immer stieß ich die Menschen weg, die mir zu nahe kamen.

Ich war wie ein spitzer Stein, ein glühender Stern. Und jeder, der mich berühren wollte, verbrannte.

„Nein, Dexter. Du hörst mir jetzt zu.“ Ihre Stimme klang so energisch und kraftvoll, wie ich sie noch nie gehört hatte. Erschrocken wie ein kleiner Junge, der verbotenerweise einen Lolli gegessen hatte und nun von seiner Mutter geschimpft bekam, hörte ich Palma zu.

„Seit zwei Wochen kommst du jetzt hierher. Du streitest dich nicht mehr mit Clem und läufst mit einem Gesicht herum wie drei Tage Regenschauer.“

„Regenwetter. Es heißt Regenwetter“, warf ich ein, doch als ich ihre blitzenden Augen sah, war ich sofort still. In ihr steckt eine kleine Clementine, dachte ich und verfluchte mich sofort dafür, an Clem gedacht zu haben.

Merde, diese Sprache bringt mich um“, seufzte Palma und ich musste grinsen. Es war süß, das sonst so stille Mauerblümchen einmal fluchen zu hören.

„Jedenfalls kann das so nicht weitergehen.“ Das Grinsen verschwand aus meinem Gesicht und ich sah Palma mit großen Augen an. Träumte ich oder hatte ich soeben wirklich eine Standpauke von ihr erhalten? Es schien so, denn sie setzte sich mir gegenüber und ließ mich nicht aus den Augen.

„Ich möchte nicht darüber reden“, warf ich ihr bockig entgegen. Vielleicht sollte ich auch für Peter Pan schauspielern. Ich wollte genauso wenig erwachsen werden wie Phil, das wurde mir soeben bewusst.

„Das möchte man nie“, seufzte sie zu meiner Überraschung sanft und strich sich wie beiläufig die Haare hinters Ohr. Wäre ich nicht so fixiert darauf, alle weiblichen Bewegungen zu deuten, wäre mir wohl nie aufgefallen, dass ihre Finger einen Moment lang auf einem kleinen Palmentattoo hinter ihrem Ohr ruhten, so als würde sie sich an etwas erinnern. Palma, die ruhige Palma, hatte ein Tattoo? Heute schaffte sie es wirklich, mich aus den Socken zu hauen.

Palma hatte mein Starren bemerkt und lächelt leicht, doch in ihren Augen sah ich so viel mehr. Ich sah die gleiche unendliche Traurigkeit, die ich auch in mir trug. Und da wusste ich es einfach, fragt mich nicht, wieso. Ich wusste, dass Palma ebenfalls jemanden verloren hatte. Vielleicht hatte sie sich dieses Tattoo stechen lassen, um sich immer wieder daran zu erinnern, um die Person nicht zu vergessen. Oder aber es war ein Zeichen ihrer Stärke, die ich heute zum ersten Mal wahrnahm und die mir davor nie aufgefallen war. Eine Palme für Palma.

Und wie aus dem Nichts brach alles aus mir heraus. Als hätte die Traurigkeit in mir nur auf Palma gewartet, um mich dann zu überfluten und ihr zu zeigen, was wirklich in mir los war. Und so stand ich zum ersten Mal seit zwei Jahren zu meinen Gefühlen und öffnete mich.

„Meine Mutter ist vor zwei Jahren gestorben. Lungenkrebs.“

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- liljaxxx & knownastheunknown -

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