27 - Maya

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MAYA

Die Reeves und die Becketts. Diese Familien sind wie zwei Welten - und aus meiner Sicht so verschieden, dass ich nicht begreife, wie sie so eng miteinander verwoben sein können. Aber was weiß ich schon? Tatsache ist: Noahs Mutter und Clems Mutter sind seit Jahren befreundet.

Aus genau diesem Grund sitze ich heute Abend hier im Esszimmer der Becketts und zerknittere unter dem Tisch mit meinen Fingern den Stoff meines orangenen Kleides, während ich dem Gespräch der erwachsenen Frauen folge.

„Ja, ich habe gehört, sie mussten sein Bein amputieren. Der arme Junge... Kennst du seine Mutter? Ich hab sie mal bei einer Theateraufführung in der Schule gesehen."

„Oh Gott, das wusste ich ja gar nicht!", stellt Clementines Mutter bestürzt fest. „Clem, wieso hast du mir das nicht erzählt?"

Anscheinend hat Clem nur darauf gewartet, dass sie zu Wort kommt. „Hm... Lass mich mal überlegen... Vielleicht weil es dich überhaupt nichts angeht und du Phil mit deinem Mitleid auch nicht weiterhilfst?", gibt sie schnippisch von sich.

„Ach, Phil! Oh nein. Er war doch so ein lieber Junge..."

Sie tut so, als hätte sie den bissigen Kommentar ihrer Tochter nicht bemerkt. Wahrscheinlich ist sie Clems Art einfach gewöhnt und wenn ich so drüber nachdenke, sollte ich mir von ihrer Gelassenheit eine Scheibe abschneiden. Aber in diesem Fall macht es mich eher wütend und ich bin froh, dass Clem sich nicht einfach so abwimmeln lässt. Woher nimmt sie bloß den Mut, immer ihre Meinung zu sagen?

„Mum, ich mein's ernst. Müsst ihr euch darüber unterhalten, als wäre es das einzige, das auf der Welt passiert? Ja, er hatte Pech – um es mit der Untertreibung des Jahres auszudrücken. Aber denkst du, er will, dass jetzt jeder über ihn spricht, als wäre er gestorben? Er ist immer noch derselbe Mensch und ich bin mir ziemlich sicher, dass sein Gehirn keinen Schaden durch den Unfall erlitten hat." Die roten Haare zittern vor Aufregung und ihre Augen leuchten. Es ist fast schon  lustig zu beobachten, wie sie sich zurückhält. Würde sie nicht mit ihrer Mutter sprechen, hätte sie bestimmt in jedem zweiten Satz ein Schimpfwort versteckt.

Ihre Mutter seufzt, verdreht die Augen und erinnert mich dabei so sehr an sie - wäre das Thema nicht so bedrückend, hätte ich vielleicht gelacht. Dann wirft sie Noahs Mum einen vielsagenden Blick zu. „Meine Tochter, wie sie leibt und lebt."

Tessa, die Mutter meines Freundes, lacht. „Immerhin setzt sie sich für die Dinge ein, die ihr wichtig sind." Dann wendet sie sich Clem zu: „Wahrscheinlich bringt dich das noch in einige Schwierigkeiten, aber ich finde, das ist eine gute Eigenschaft."

Nicht ohne Stolz lächelt Clem sie an. „Danke."

„Das könntest du auch gern mal versuchen, Noah", neckt Tessa den Jungen neben mir.

„Klar, Mum", sagt er nur schwach lächelnd.

Ich glaube, er ist mal wieder in die Sorgen um Phil versunken. Es ist so typisch Noah, dass er sich selbst vergisst, während er sich überlegt, wie er andere Menschen glücklich machen kann. Immer, wenn er sich so den Kopf über etwas zerbricht, kommt er mir meilenweit entfernt vor, auch wenn er unmittelbar neben mir sitzt.

„Wenn ihr wollt, könnt ihr gern einen Film sehen – Clem hat einen ziemlichen Haufen an DVDs. Ihr müsst nicht den ganzen Abend mit uns alten Schachteln verbringen und unserem Getratsche zuhören", schlägt Clems Mum wenig später vor.

„Netter Versuch mich loszuwerden", meint Clem grinsend.

„Hat's geklappt?"

„Und wie." Da steht sie auch schon auf und ohne uns anzusehen verlässt sie den Raum. „Na los, Noah... Und Maya. Worauf wartet ihr?", hören wir sie bereits aus dem Flur rufen.

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