34 - Eleanor

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ELEANOR

Laut Wörterbuch ist ein Mauerblümchen ein umgangssprachlicher Ausdruck für eine Person oder Sache, der wenig Beachtung zuteilwird.

Normalerweise würde ich allen zustimmen, die mich als genau das bezeichnen, doch in diesem Moment ziehe ich, warum auch immer, die Schublade auf, in die ich wieder und wieder gesteckt werde. Ich breche aus, will das Bild zerstören, das andere immer von mir haben und gehe auf Phil zu.

„Kann ich dir helfen, Phil? Was ist denn passiert?" Ich versuche, ruhig zu klingen, aber meine grauen Augen sind weit aufgerissen.

„Ach, ich lieg hier nur so rum", murmelt er sarkastisch. „Ist ziemlich bequem."

Ich werfe einen Blick über die Schulter. Schüler, die ich nicht kenne, gehe an uns vorbei durch die Aula und sie starren. Mein Atem wird schneller, meine Hände schwitzig und ich spüre ein beklemmendes Drücken in meinem Brustkorb – aber ich ignoriere es. Oder versuche es zumindest. Denn hier geht es nicht um mich.

Es geht um Phil, der am Boden liegt. Phil und seinen Rollstuhl. Phil, dem ich gerade dreimal dabei zugesehen habe, wie er versucht, sich selbst wieder auf das sperrige Ding zu hieven. Nur um zu bemerken, dass der Rollstuhl ihm dabei immer wieder davon rollt. Phil, der trotz aller Anstrengung zurück auf den Boden rutscht.

„Okay. Das ist jetzt... jetzt nicht so leicht für mich. Und ich hoffe, ich komm dir nicht zu nahe, aber... bitte, lass mich dir aufhelfen."

Er sagt kein Wort und mir wird immer unwohler zumute. Doch dann, dreht er den Kopf in meine Richtung. Ich kann genau sehen, wie seine Augen glitzern und mehr über seinen Schmerz verraten als alles andere. Phil presst die Lippen aufeinander und erst nach ein, zwei Sekunden bemerke ich, dass er nickt.

„Gut", flüstere ich und mache ein paar Schritte auf ihn zu. Meine Kehle ist trocken, mein Puls steigt. „Also... wie... wie soll ich am besten...?"

Er stützt sich mit den Händen ab und hievt seinen Oberkörper hoch, sodass er bereits am Boden sitzt. Okay, okay, ich kann das. Ich kann das. Ich muss. Ich kann das.

„Greif am besten von hinten unter meine Arme", erklärt er leise.

Ich atme noch einmal tief ein. Dann probiere ich, den achtzehn-Jährigen hochzuheben und es funktioniert erstaunlich gut, auch wenn sein Körper meinem so nahe ist, dass mir das Blut in den Kopf schießt. Noch bevor ich darüber nachdenken kann, wie ich ihn jetzt, so in der Luft hängend und eng an mich gedrückt, auf seinen Rollstuhl bekomme, wird das Gestell genau in die richtige Position gerollt. Vor lauter Phil kann ich kaum etwas sehen, außer seinen blonden Haaren und der flauschigen grauen Weste, die er trägt. Weitere Hände schließen sich um seinen Körper und helfen mir, ihn auf dem Rollstuhl abzusetzen.

Kurzatmig. Rasendes Herz. Aber wow, ich fühle mich lebendig.

Wie lächerlich es doch ist, dass ich so ein großes Ding daraus mache... Und trotzdem: das hier hätte ich vor ein paar Monaten niemals getan.

„Phil, was tust du denn?", fragt Palma besorgt und auch Dex, der neben ihr steht, mustert uns fragend. Die beiden müssen mir geholfen haben. Puh... Keine Ahnung, was ich sonst gemacht hätte.

Der blonde Junge dreht sich um, sodass er uns ansehen kann. „Ich wollte mir einen Eistee kaufen." Sein Finger deutet auf den Getränkeautomaten, wenige Meter von uns entfernt. „Aber der... der Knopf dafür ist zu hoch." Jetzt schaut er an uns allen vorbei. „Da komm ich nicht ran, wenn ich sitze. Ich hab versucht, mich aufzurichten... mit meinem rechten Bein. Aber die Feststellbremsen funktionieren nicht mehr. Als ich mich am Rollstuhl abgestützt hab, um aufzukommen, ist das beschissene Ding einfach weggerollt."

FeuerwerkWhere stories live. Discover now