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Schwer atmend rannte ich durch die Straßen von Manhattan. Ich wendete meinen Blick nach hinten. Verdammt. Sie waren noch immer an mir dran. Meine Schritten wurden noch schneller, trotz des schweren Schwertes, das an meiner Seite hinab hing. Ich durfte nicht erwischt werden.

Als ich diesen Gedanken vollendet hatte, so schnell war er auch wieder verflogen, da ich gegen eine harte Brust stieß und fiel. Jetzt konnte ich meine Flucht komplett vergessen. Mein Blick wanderte zu dem Gesicht des jungen Mannes, der auf mich herabblickte.

Bevor ich reagieren konnte, reichte er mir auch schon seine Hand, zog mich auf die Beine und raunte mir ein einziges Wort ins Ohr. "Lauf."

Kaum hatte er es ausgesprochen sprintete ich um die nächsten Ecken, aber ich konnte noch sehen wie er mit den Soldaten sprach. Er hatte mich gerettet. Na toll...jetzt war ich ihm wohl oder übel was schuldig, wenn ich ihn je wieder sah.

Außer Atem kam ich bei mir zu Hause an. Die Taschen mit den geklauten Lebensmitteln landeten unsanft auf dem Tisch. Nein, das Essen war nicht für mich oder meine Familie. Es war für die Menschen, die nichts hatten.

Ich war sozusagen der Robin Hood in unserer Zeit. Nur weiblich. Und eben nicht in der Zeit als es Robin Hood gab. Komplizierte Geschichte.

"Schon wieder?" Mein Mum kam die Treppen herab und blickte missbilligend auf die geklauten Sachen. Das einzige wozu ich im Stande war, war ein einfaches Nicken.

Meine Mutter war sehr autoritär und unterstützte mein 'anderes Ich' nicht wirklich, jedoch würde sie aber auch nie und nimmer ihre eigene Tochter verraten. Schon aus dem Grund nicht, da es ihrem Ruf schaden würde.

Meine Familie war eigentlich sehr wohlhabend. Oft, meiner Meinung nach zu oft, waren wir auf Bälle und ähnliches eingeladen. Meine Laufbahn als Diebin wäre da nicht gerade so angebracht. Vorallem, da mein Vater der Ratgeber des Königs war.

Und trotzdessen war er die liebste Person, die ich kannte. Mein Bruder hingegen war das komplette Gegenteil. Seit er Teil der königlichen Garde ist, hatte ich ihn in diesen drei Jahren vielleicht zweimal gesehen. Und jedes Mal kannte ich ihn noch weniger.

Die meisten würden vermutlich gerne in meiner Haut stecken, aber ich nunmal nicht. Ich hasste es. Aber ich liebte es die Armen zu unterstützen. Da die Kaufleute genug hatten, bediente ich mich halt ab und an bei ihnen. Und das eben kostenlos.

Alle fürchteten mich, doch niemand kannte mich. Sie kannten meine Kleidung, aber nicht mein Gesicht. Dieses war gut unter einer Maske verborgen.

Umgezogen und mit den Sachen bepackt, machte ich mich auf in die ärmeren Viertel von Manhattan. Gut bedacht verteilte ich das Essen und alle waren so dankbar. Das liebe ich so sehr. Die Menschen waren selbst für die kleinsten Dinge dankbar.

Die Leute in höheren Schichten waren mit nichts und wieder nichts zufrieden. Sie wollten immer mehr. Ich verabscheute sie. Schnell waren die Tüten leer und ich zog meine Kreise.

In unserem Viertel war ich gern gesehen und die meisten mochten mich zudem. Alle dachten, dass ich das kluge und unschuldige Mädchen von nebenan war. Aber das war ich nicht. Ganz und gar nicht.

Jeden Abend trainierte ich mit meinem Schwert. Ich übte. Schneller und besser musste mein Umgang werden. Ich hatte noch nie jemanden getötet, aber ich würde es tun, wenn es denn nötig wäre. Aber ich verfolgte einen größeren Plan, den ich irgendwann ausführen werde.

Gelangweilt ließ ich mich mit einem Buch aufs Bett fallen. 'Die Geschichte der Welt'. Immer und immer wieder las ich in dem Buch, das mir mein Vater geschenkt hatte.

Man hat vieles in der Schule gelernt, aber vieles wurde entweder verschönert oder ganz weggelassen. Und ich wollte schon immer die wahre Geschichte kennen.

Oft dachte ich über ein Manhattan nach, das nicht von einem König geherrscht wird. Ich wollte ein unabhängiges Amerika mit einem Präsidenten. Mit einer Demokratie.

Nach dem 4. Weltkrieg rieß jedoch der derzeitige König, Henry I, die Macht an sich. Man wusste nicht viel über ihn. Nur selten ließ er sich auf Bällen blicken. Er hatte einen Sohn in meinem Alter. Seine Frau war bei seiner Geburt verstorben. Zudem war er die Bosheit in Person. Menschen hingen oder erlagen anderen Todesursachen, wenn sie etwas taten, was ihm nicht in die Karten spielte.

Neben dem hatte er eine riesige Mauer um Manhattan errichten lassen. Keiner darf die Mauer überschreiten. Wenn man erwischt wird, droht einem die Enthauptung. Und dies vor den Einwohnern, um ihnen zu zeigen, was mit Verbrechen geschieht.

Viele wollten bereits wissen was hinter der Mauer liegt, aber nie kam jemand dazu. Die Lehrer erzählten uns, dass dahinter Unheil und der Tod auf uns warten würde. Aber könnte man den Angestellten des Königs Glauben schenken? Wohl kaum.

Ich dachte viel mehr, dass uns hinter der Mauer ein Leben in Frieden erwarten würde. Zumindest hoffte ich das. Ich wollte ein unbeschwertes Leben. Und das außerhalb eines Käfigs.

Die KriegerinWhere stories live. Discover now