32

45 4 7
                                    

Natürlich hatten sich alle wie verrückt darüber gefreut, dass Sirius nun endlich wieder der Gruppe angehörte, doch irgendwas war anders.
Während Remus ihm gelassen die Pläne für neue Streiche mitteilte und Marlene ihm kichernd Zöpchen in die Haare bund, wirkte Sirius' Blick gehetzt. Immer wieder huschten seine Augen quer durch die Halle zu seinen Verwandten, nur um umso Schuldbewusster zurück zu seinen Freunden zu kehren.
James machte sich furchtbare Sorgen. Der Junge der hier vor ihm saß, war anders als der, den er letztes Jahr seinen besten Freund genannt hatte. Er war ruhiger, trauriger und aß kaum etwas.
Dorcas schaufelte sich ihre zweite Portion auf den Teller, doch bei Sirius erkannte man nicht einmal, ob er schon angefangen hatte, zu essen.
Die Große Halle leerte sich, immer mehr Schüler machten sich auf den Weg in ihre Häuser und auch Lily Evans war irgendwann froh, eine Ausrede zu haben, um den Tisch zu verlassen.
"Leute, ich bin müde. Gute Nacht", richtete sie sich knapp an Marlene und Dorcas; Alice, die sich im Laufe des Abends neben sie gesetzt hatte, stand ebenfalls auf.
Keiner der Jungs verabschiedete sich von ihr, wieso sollten sie auch. Lily Evans hatte nicht ein einziges Wort an sie gerichtet, obwohl sie sich alle Mühe gegeben hatten, sie in die Gruppe einzubeziehen. Sogar James hatte sich zusammengerissen.
Doch als Marlene irgendwann keine neuen Strähnen mehr in Sirius' Haaren fand und Dorcas satt war, erhoben auch sie sich und verabschiedeten sich von den Jungs.
Bald waren die vier Freunde so gut wie alleine in der Großen Halle, Professor McGonagall stand aufrecht und stolz vor dem Lehrertisch, um auf die übrigen Schüler aufzupassen.
Ihre braunen Haare waren streng zu einem Knoten gebunden und ihre Augen waren verengt, als sie ihren Blick über die Tische schweifen ließ.
James wurde wieder von Remus angetippt, der vorsichtig auf Sirius zeigte. Seine grauen Augen blickten verzweifelt und schuldbewusst zwischen seinen Freunden umher, doch er mied ihre Augen, als würde Sirius sich nicht mehr trauen, bei ihnen zu sitzen. Seine Hände zuckten nervös neben seinem Besteck umher und auf einmal fiel James auf, wie gerötet seine Haut um die Augen herum war. Als hätte er tagelang geweint.
James hasste es, seinen Freund so zu sehen. Er wollte sich nicht vorstellen, was seine Eltern ihm angetan hatten.
Vorsichtig hob er seine Hand über den Tisch und legte sie auf die von Sirius, die unter der Berührung sofort ruhig liegen blieb.
"Sirius, was ist passiert?"
Doch der Junge schüttelte nur traurig mit dem Kopf.
"Rede mit uns, wir sind doch für dich da", versuchte nun auch Remus sein Glück, doch Sirius Kopf schüttelte sich nur noch schneller und verzweifelter und aus seiner Kehle drang ein hoher, gequälter Ton.
Peter, der neben ihm saß, legte schweigend seinen Arm um Sirius' Schultern.
Doch egal wie sehr James und die anderen sich bemühten, jeder Versuch, ihn zu beruhigen, jedes Wort der Zuneigung, schien Sirius nur noch nervöser zu machen.
Er zuckte jedes Mal zurück, wenn einer der Jungs seine Hand hob, nur um Sirius das Messer aus der Hand zu nehmen, welches er so fest hielt, dass seine Knöchel weiß hervortraten, oder um ihm die Haare aus den Augen zu streichen, oder nur um sie ihm beruhigend auf den Arm zu legen.
Nichts schien dem Jungen zu helfen.
Hoffnungslos und panisch blickte James sich in der Großen Halle um, sie war nun bis auf zwei Slytherins und Professor McGonagall komplett leer. Und Bellatrix Black und Lucius Malfoy schienen immernoch in ein tiefes Gespräch versunken zu sein.
James würde es nicht wundern, die beiden bald knutschend unter dem Tisch liegen zu sehen.
"Sollen wir vielleicht hoch gehen? In den Schlafsaal?", Peters Stimme war mitfühlend und leise, wieder einmal dachte James, dass er gleich ein Tablett frisch gebackener Kekse hervorzaubern würde, so wie er es schon so oft bei seinen Briefen gedacht hatte.
Sirius nickte kaum merkbar und hätte Remus sich nicht ebenfalls erhoben, hätte James immernoch auf eine Reaktion von seinem besten Freund gewartet.
Schweigend liefen die Jungs nach oben, die Gänge waren leer und quälend lang, die Stille war kaum auszuhalten. Doch Sirius schien es zu genießen.
"Drachenblut", lautete das Passwort zu Beginn des neuen Schuljahres und sogar die Fette Dame schien die bedrückte Stimmung zu bemerken und schwang wortlos beiseite.
Der Gemeinschaftsraum der Gryffindors bildete einen krassen Gegensatz zu den Hallen und Gängen von Hogwarts. Nahezu jeder Schüler des Hauses saß hier mit seinen Freunden in irgendeiner Ecke, hier und da sah man sogar mal einen Hufflepuff herumhüpfen. Die älteren Schüler hatten Butterbier und Feuerwhiskey besorgt und hüteten ihn wie ihre eigenen Kinder, damit keiner der jüngeren Schüler die Getränke mit Apfelsaft verwechselte und sie für eine Masseneskalation verantwortlich wären.
Alle feierten ausgelassen ihr Wiedersehen, es war laut und jeder lachte.
Unter normalen Umständen hätte James mit ihnen gefeiert, doch Sirius' nachdenklich auf dem Feuerwhiskey ruhender Blick gefiel ihm ganz und gar nicht. Seufzend zog er seine Freunde Hand in Hand durch die tanzenden Schüler, hier und da hörte man das laute Puff einer Kamera, die einen schönen Moment festhielt, doch James wollte einfach nur noch in seinen Schlafsaal.
Während er die Treppen hinauflief und noch einmal über die Schulter zurückblickte, erkannte er über die Köpfe der Gryffindors hinweg Lily Evans neben Alice am Kamin, Marlene, die sich an einen älteren Schüler hielt, in der Hoffnung, er würde ihr ein Gläschen gönnen. Dorcas sah man nirgendwo.
Seine Freunde - und Evans - schienen sich zu amüsieren und es beruhigte ihn, dass er sich nicht um mehr als einen Sirius kümmern musste.
Mit vereinten Kräften schoben sie den traurigen Jungen in den Schlafsaal, in dem alles noch genauso aussah, wie letztes Jahr. Die Bilder, die sie an die Wände geklebt hatten, Bücher von Remus, die er hier vergessen hatte. Alles lag noch genauso da, nur die Betten waren frisch bezogen.
Sirius ließ sich erschöpft auf sein Bett am Fenster fallen und schloss bereits die Augen, als Remus warnend ausrief: "Hey, wag es nicht. Du glaubst doch wohl nicht ernsthaft, dass wir dich einfach schlafen lassen, oder?"
Sirius hob schwach den Kopf und blickte einem nach dem anderen in die Augen, bei James ließ er sich besonders viel Zeit.
"Es tut mir leid", seine Stimme war heiser und leise, als hätte er geflüstert.
"Was tut dir leid?", Peter hingegen klang, als würde er gleich anfangen, zu heulen.
"Alles. Alles was ich angerichtet habe, dass ich euch da mit reinziehe-"
"Wo ziehst du uns mit rein?"
Wieder schüttelte er den Kopf.
"Ich habe in den Sommerferien James einen Brief geschrieben, in dem ich gesagt habe, dass ich nichts mehr mit euch zu tun haben will." Er fuhr sich durch die Haare und seine Stimme wurde lauter "Weil ihr was besseres verdient habt, als ein verdammtes Reinblut, dem vorbestimmt ist, ein Todesser zu werden."
James wurde hellhörig. "Todesser? Was ist das?"
Sirius schien mit sich selbst zu kämpfen, als wüsste er etwas, aber dürfte es nicht sagen.
"Todesser sind Anhänger dieses Dunklen Zauberers, der Leute ermordet."
Mehr sagte er an diesem Abend nicht. Er verriet keinem von ihnen, was genau Todesser taten, wer der Dunkle Zauberer war, was sein Ziel war und wieso er diesem Zusammenschluss angehören sollte. Nicht einmal Remus fand heraus, was das für die Zaubererwelt bedeuten sollte.
Irgendwann, als der Lärm aus dem Gemeinschaftsraum schon lange verschwunden war, beschlossen sie, einfach schlafen zu gehen und Sirius morgen weiter zu löchern.
Im Laufe des Abends, während Sirius sich selbst immer öfter ein Monster genannt hatte, war Remus Lupin immer schweigsamer geworden.
Und das letzte, was James hörte, bevor er einschlief, war die Stimme des Jungen mit den vielen Narben.
"Du bist kein Monster, Sirius, wirklich nicht. Nicht du."

The Marauders - From the beginningWaar verhalen tot leven komen. Ontdek het nu