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James hatte sich nie darüber beschwert, nachsitzen oder Strafarbeiten schreiben zu müssen. Es war nie so weit gekommen, dass er ernsthaft Ärger bekommen hatte. Als wäre da jemand, der ihm vor eben solchem Ärger beschützen würde. So wie er seine Mutter kannte, hätte sie ihm schon um die fünfzig Heuler geschickt, wenn sie von allem gewusst hätte.
Wie er die Slytherins mit kleinen Raketen abgeworfen hatte, nachdem Schniefelus sich mal wieder mit Malfoy über Muggel lustig gemacht hatte.
Wie er dank gewisser Kontakte zu älteren Schülern Butterbier aus Hogsmead bekommen hatte und mit seinen Freunden im Schlafsaal das baldige Ende ihres ersten Schuljahres gefeiert hatte.
Wie er Schüler auf dem Gang umgerannt hatte, wie er jedem, der ihn auch nur einmal merkwürdig angesehen hatte, die Haare weggezaubert hatte.
Er hatte nie ernsthaften Ärger bekommen. Auch Sirius, Remus und Peter nicht.
Lily Evans hatte die Schäden, die die vier Jungs angerichtet hatten, meistens zusammen mit ihrer Freundin Alice Fortescue beseitigt und die Unruhestifter danach ordentlich angeschrien. Halb Hogwarts hatte seine Haarpracht nun Lily zu verdanken.
Niemand hatte James dafür verurteilt, dass er, um Marlene aufzumuntern, eine Horde Gartengnome in der Großen Halle freigelassen hatte.
Immer hieß es nur "Nachsitzen, Mister Potter!".
Doch nun, am vorletzten Schultag, saß er neben seinen Freunden im Büro des Schulleites Albus Dumbledore.
Es war ein merkwürdiges Büro. An den Wänden hingen Gemälde von Ehemaligen Schullleitern, einer davon der Ururgroßvater von Sirius, Phineas Nigellus, der seinen Nachkommen dauerhaft missbilligend betrachtete. Auf den Schränken und Regalen standen komische Geräte, die alle zischten und summten. Durch die großen Erkerfenster schien die warme Sommersonne hinein und tauchte den Raum in ein gemütliches Licht.
Alle Sorgen, die während des Jahres in James hochgekocht waren, alle Gedanken, die er sich um Remus gemacht hatte, der immer wieder wegen "familiären Problemen" nach Hause musste und mit Verletzungen wiederkam, all das schien wie weggeblasen. Das Einzige, das jetzt noch in seinem Kopf war, war die Angst, für all seine Streiche bestraft zu werden.
Er saß Dumbledore gegenüber. Seine Freunde an seiner Seite. Der Schulleiter starrte die Schüler an, und diese starrten genauso zurück. Seit sie das Büro auf Professor McGonagalls Bitte betreten hatten, hatte niemand ein Wort geredet. Es schien, als würde Albus Dumbledore durch die Augen der Jungs in sie hineinschauen und versuchen herauszufinden, was sie hatten erreichen wollen.
Die halbmondförmigr Brille war auf der krummen Nase des alten Mannes nach unten gerutscht und endlich bewegte er sich. Er schob die Brille an ihren gewohnten Platz, seufzte und hielt eine mit kleinen, grünen Süßigkeiten gefüllte Schüssel zu den vier Freunden.
"Mag einer von Ihnen vielleicht ein Zitronenbonbon?", fragte er und zum Ersten Mal regte sich auch sein Gesicht. Ein feines, sanftes Lächeln zeichnete sich darauf ab.
Die Jubgs schüttelten verstört die Köpfe und Sirius gab ein verneinendes "M-mh" von sich.
Wieder seufzte Dumbledore.
"Ihr fragt euch sicherlich, wieso ich eich an solch einem herrlichen Tag habe zu mir rufen lassen."
Er wartete eine Reaktion ab, doch immernoch redete keiner der Schüler. Als wöllten sie nicht, dass sie sich durch einen noch so kleinen Fehler selbst verraten.
"Nun, mir ist durchaus aufgefallen, dass ihr vier... nunja, sagen wir mal, ihr hattet euren Spaß. Im Großen und Ganzen nicht sonderlich schlimm, was ist denn schon dabei, wenn man eine Toilette flutet. Ich selbst habe die Vorhänge an meinem Bett angezündet, als ich Schüler war. Ihr braucht absolut keine Angst haben. Eure Eltern werden von nichts erfahren."
Misstrauisch beäugte James den Mann.
Was will er dann von uns?
Remus war der Erste, der das Wort ergriff.
"Sie wissen von all unseren Streichen?"
Seine Stimme klang überrascht, nahezu entgeistert.
Wieder schnunzelte der Schulleiter.
"Aber natürlich, Mister Lupin. Dies ist meine Schule. Jedes noch so kleine Geheimnis kommt mir zu Ohren."
"Und wieso haben sie uns her bestellt?", fragte nun auch Sirius. Dieser schien genauso misstrauisch wie James zu sein, seine Augenbrauen waren zusammengezogen und seine Augen leicht verengt.
James fiel auf, dass er im Laufe des Jahres immer seltener und immer dezenter gelispelt hatte. Sirius redete mittlerweile völlig normal, selbst wenn er sich über etwas aufregte.
"Nun, das ist eine andere Sache. Es geht um ihre nächtlichen Wanderungen in die Bibliothek."
Peter zog schwarf die Luft ein und wimmerte kurz und leise.
"Keine Angst, Mister Pettigrew, keine Angst. Ich habe lediglich ein paar wenige Fragen an Sie alle.", schon wieder schmunzelte er und schon wieder zeigte James kein Anzeichen einer Reaktion. "Mister Potter, liege ich richtig in der Annahme, dass Sie zu einem Geburtstag im Kreise der Familie Black eingeladen waren?"
Sirius neben ihn zischte abfällig, während James selbst nur vorsichtig nickte.
"Ist an jenem Geburtstag irgendetwas vorgefallen, von dem Sie mit gerne berichten würden?"
Was denn? Thema Schlammblüter oder Thema Krieg?! Suchen Sie sich etwas aus.
"Nein, Sir."
"Sind Sie sich sicher, Mister Potter?"
Albus Dumbledore hatte eine vertrauenswürdige Miene aufgesetzt, in seinen blauen Augen schimmerte eine gewisse Sorge, als hätte er eine Vorahnung und wöllte nur die  Bestätigung der Schüler.
James nickte.
"Nun gut. Wieder zurück zu Ihren Ausflügen. Sie sind natürlich nicht erwischt worden, weil ich das so wollte. Ich erwarte nun im Gegenzug, dass Sie mir ehrlich antworten.", die drohenden Worte des Schulleiters waren ein harter Gegesatz zu seinem so sanften Gesichtsausdruck. "Wonach suchen Sie?"
James überlegte fieberhaft. Ausreden waren genau seine Stärke. Er konnte dem Mann doch nicht einfach sagen, dass draußen vielleicht ein Krieg aufzog, es sich aber auch nur um einen falschen Alarm handeln können.
Bis auf gewisse Unfälle in der Muggelwelt hatte es keine sonderlich schlimmen Vorfälle mehr gegeben.
Doch während James noch überlegte, antwortete bereits jemand auf Dumbledores Frage. Die Stimme des Jungen mit den hellbraunen Haaren war erstaunlich ruhig, während er sagte: "Gelernt. Wir haben gelernt. Wir hatten Sorge, wir würden durch ein paar Prüfungen in Verteidigung gegen die Dunklen Künste fallen. Und offiziell Nachhilfe zu beantragen, wäre eher eine Demütigung für uns gewesen."
Remus fuhr sich durch die Haare. Alle starrten ihn an. Selbst Dumbledore schien überrascht darüber, das ausgerechnet Remus Lupin ihn anlog.
"Also habt ihr euch heimlich gegenseitig geholfen?"
"Ja, Sir."
"Nur gelernt? Sonst nichts?"
"Ja, Sir."
Sirius starrte den vernarbten Jungen mit den tiefen Augenringen immernoch verwundert an, doch James war fasziniert von Dumbledores Reaktion. Der Schulleiter wusste zu 100%, dass er gerade angelogen wurde. Er wusste, dass diese Geschichte nur eine Ausrede war. Doch er schien auch zu merken, dass er, wenn selbst der so strebsame Remus Lupin nichts verraten wollte, nichts aus den vier Freunden herausbekommen würde.
Er schien die Grenze zu bemerken.
Dumbledore nickte langsam.
"Also, sind wir uns einig. Sie lernen nachts für Prüfungen, spielen zum Ausgleich für die harte Arbeit Ihre Streiche und bekommen kaum Konsequenzen dafür."
Wiede schmunzelte der Professor, während die Jungs erneut verwirrt drein schauten.
"Und wir sind uns des weiteren einig, dass sie bei gewissen... Fragen, die sich durch Bücher nicht klären, auf mich zukommen können?"
Als James nun merkte, dass sie wirklich keinen Ärger bekommen würden musste auch er schmunzeln. Dieser Mann war doch verrückt.
Er nickte begeistert und auch Sirius begann zu grinsen.
Peter klatschte begeistert in die Hände und Remus schlug sich kichernd mit der flachen Hand auf die Stirn.
Der berühmte Schulleiter von Hogwarts wusste von dem Krieg da draußen, das war schon mal klar. Sonst hätte er James und seine Freunde nicht in sein Büro bestellt. Er versuchte nicht, die noch so jungen Schüler davon abzuhalten, sich vorzubereiten. Im Gegenteil. Er unterstützte sie und bot ihnen seine Hife an.
James wusste nicht wieso Albus Dumbledore das tat, doch in seinem Magen machte sich das Gefühl von Sicherheit breit, eine gewisse Beruhigung breitete sich in ihm aus.
Albus Dumbledore würde sie beschützen.
Der Schulleiter starrte James an, es war wieder dieser durchdringende Blick, bei dem keiner ein Wort sagte, und begann aufmunternd zu lächeln.
Er machte eine Handbewegung und eine Schüssel erhob sich vom Schreibtisch des Schulleiters.
"Mag einer von Ihnen vielleicht nun ein Zitronenbonbon?"

The Marauders - From the beginningWhere stories live. Discover now