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"Das Größere Wohl. Gellert Grindelwald ist bekannt als der bisher wohl größte und gefährlichste schwarze Magier der Zauberergeschichte. In seinen jungen Jahren wurde er wegen schwarzmagischen Aktivitäten dem Durmstrang-Institut, seiner bisherigen Schule und Heimat, verwiesen, woraufhin er nach England reiste und dort erste Pläne für seinen späteren Wahn und dessen Umsetzung schmiedete..."
Remus las mit einem gespannten und vorsichtigem Tonfall die verblichenen Worte auf dem alten Pergament vor. Er schien zu befürchten, dass, wenn er es zu laut wiedergeben würde, die Geschichte sich wiederholen könnte.
Still überflog er eine paar Seiten, in denen anscheinend nichts Wichtiges mehr geschrieben war, nur seine Lippen bewegten sich, als würde er weiter vorlesen, aber keinen Ton herausbringen.
"... sein Hauptziel war natürlich das Stürzen der Geheimhaltungsgesetze, die es Zauberern zu dieser Zeit verbaten, Kontakt zu Muggeln aufzunehmen und diesen von der Existenz unserer Magie zu erzählen. Grindelwald verabscheute die Unterdrückung des Ministeriums und das stetige Versteckspiel mit den Nichtmagischen, seiner Meinung nach war es für beide Partien besser, die Magie allgemein bekannt zu machen. Muggel, die unterlegene Rasse, wären dann zufrieden, befehligt und beherrscht zu werden, während Zauberer und Hexen regieren und zaubern durften, ohne sich verstecken und verstellen zu müssen. Dieser Theorie nach würde es für beide Seiten einen Vorteil bieten, das Größere Wohl wäre durchgesetzt."
"Das ist doch krank!", unterbrach James seinen Freund, dessen Gesichtsausdruck immer entsetzter geworden war, je weiter er gelesen hatte. "Wie kann man nur denken, dass es einfach so besser wäre? Die würden uns doch nur wieder unterdrücken und dann müssten wir die ganze Arbeit erledigen."
Remus nickte nur geschockt, seine Augen huschten über die nächsten Zeilen, auf der Suche nach Hinweisen.
"Unter dieser Parole wütete Grindelwald auf ganzen Kontinenten, Nichtmagier wurden getötet, unzählige Menschen mussten obliviiert werden, sein Wahn wurde immer größer. Kurz vor seinem Sturz jagte er sogar Muggelstämmige, zerstörte ganze Dörfer, bis er eines Abends von Albus Dumbledore aufgehalten und besiegt wurde. Dieses Duell wird wohl als das Größte seiner Art beschrieben. Grindelwalds Ahnänger wurden genauso wie er selbst verhaftet und verbringen heute noch ihre Zeit in den Gefängnissen der Zaubereigemeinschaft."
Es herrschte Stille. Nicht auf diese angenehme, konzentrierte Weise, wie es sont in Bibliotheken der Fall war. Nein, diese Stille war anders. Bedrückend, angsteinflößend, und obwohl niemand mehr ein Wort sagte, war es laut.
James unterbrach ihr Schweigen zuerst.
"Naja, wenn das mal keine Dunkle Organisation ist, dann weiß ich auch nicht."
Wieder nickte Remus. Er starrte nachdenklich auf das Regal ihm gegenüber, nicht fixiert auf eines der Bücher, es war eher, als würde er hindurch schauen.
"Aber Grindelwald kann diesen Krieg nicht anführen, er ist ja immernoch in Gefangenschaft."
"Er hat Muggel und Muggelkinder ermordet. Genau davon war doch bei den Blacks auch die Rede." James wusste nicht so recht, was er von all dem halten sollte. Einerseits erschien es plausibel, dass zumindest das Ziel das Selbe war, andererseits wirkte es vollkommen absurd.
"Lass uns noch nach anderen Sachen suchen, auch wenn ich bezweifle, dass wir etwas finden werden. Das ist bestimmt alles in der Verbotenen Abteilung."

Nach einer weiteren Stunde Suchen und Durchstöbern hatten die beiden Jungs keinen einzigen weiteren Hinweis gefunden. Nichts von Dunklen Magiern oder Massenmorden. Auch Sirius und Peter hatten nichts gefunden, was sie nicht auch in VgddK lernen würden.
Die Vier beschlossen, nach dem Abendessen noch einmal unter James' Tarnumhang in die Verbotene Abteilung zu schleichen, in der Hoffnung, dort mehr Hinweise auf Kriege zu finden, und gingen nun schweigsam nebeneinander her in die Große Halle.
James lief ein paar Schritte hinter den anderen Jungs, er dachte immernoch darüber nach, was Remus ihm vorgelesen hatte. Wenn Dumbledore ihn aufgehalten hatte, wusste er doch bestimmt mehr über diesen Grindelwald. Würde es etwas bringen, den Direktor nach Hilfe zu fragen?
"James!"
Der Junge schreckte zusammen und drehte sich ruckartig um. Vor ihm stand ein Mädchen, von dem er gehofft hatte, sie nicht wiederzusehen, bis er wieder neue Informationen aus der Blackfamilie brauchte.
"Narcissa. Hallo."
Ihre blonden Haare schimmerten wie immer, in dem kalten Licht wirkten sie wieder einmal silbriger, als sie waren. Ihre Augen blickten James aufrichtig traurig an.
"Warum gehst du mir aus dem Weg? Was ist passiert?"
"Tu ich nicht. Ich geh dir nicht aus dem Weg."
Ihr Blick wurde noch trauriger. Sie sah aus wie ein kleiner Hund, James fühlte sofort Mitleid.
Warum will ich nochmal nicht mehr mit ihr reden?
"Ist es wegen meiner Familie? Ich hätte dir sagen müssen, dass sie radikaler sind als du. Aber es sind nur leere Worte, glaub mir doch bitte."
Ihre Stimme war ganz leise, hoffnungslos. Entweder sie wickelte James gekonnt um ihren Finger, oder sie vermisste ihn wirklich.
"Nein, schon okay. Aber... wieso hast du mich sofort verteidigt, wenn es nur leere Worte sind?" Verständnislos sah Narcissa ihn an. James seufzte. "Naja, du hast sofort gesagt, ich wäre kein Blutsverräter und so. Wären es nur leere Worte von Orion gewesen, hättest du nicht lügen müssen."
Sie öffnete den Mund, sagte aber nichts. Ihr Blick war nicht mehr verständnislos. Sie wich seinen Augen aus, nicht mehr in der Lage, nach oben zu schauen.
"Das war... ich meine..."
"Narcissa, sag mir einfach die Wahrheit. Planen die einen Krieg oder nicht?"
Nun seufzte sie. Verzweifelt.
"Ich will es dir ja sagen, aber ich kann nicht..."
"Tun sie es oder nicht? Ja oder nein?", unterbrach James das Mädchen, das ihm einst so am Herzen gelegen hatte. Er war sich nicht so ganz sicher, wann es passiert war, doch sie hatte ihn enttäuscht und nun... war sie ihm so gut wie egal.
"Ja..."
Warte, was?
"Und... kämpfst du für oder gegen sie?"
"Gar nicht."
Sie flehte ihn mit ihrem Blick an, nicht weiter zu fragen. Sie wusste, welche Worte jetzt aus seinem Mund kommen würde. Doch James musste es wissen. Er musste es ausnutzen, dass sie ehrlich antwortete. Sie tat es sonst viel zu selten.
"Und wer führt sie an?"
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Das schöne Blau ihrer Iris verschwamm und glänzte nun traurig.
Ihre Stimme zitterte, als sie antwortete.
"Ich weiß es nicht. Es ist ein Mann. Er sieht gefährlich aus. Jeder hat Angst vor ihm. Und niemand nennt ihn beim Namen."
"Warte... was?"
"Sie nennen ihn Meister oder Dunklen Lord, aber nie einen Namen. James, bitte..."
"Jaja, ist ja gut."
Mit diesen Worten drehte er sich um und ging. Er sagte nichts mehr, blickte nicht zurück. Er hörte nur Narcissas Schluchzen quer durch den Gang, spürte die Blicke der anderen Schüler in seinem Rücken. Doch James konnte nicht länger vor ihr stehen. Er hatte mitlerweile einen richtigen Hass auf alle Slytherins. Andromeda hatte ihn beim Frühstück nicht eines Blickes gewürdigt, Schniefelus hatte Lily zum Weinen gebracht, Lucius Malfoy, ein älterer Schüler, hatte andere Erstklässler verarscht und beleidigt und von Professor McLaggens wollte er gar nicht erst anfangen. Alle waren sie gleich. Nur leere Worte. Und er war so felsenfest überzeugt gewesen, dass Narcissa genauso war, und auf einmal stand sie vor ihm, bettelte um Vergebung, ohne zu wissen, was sie falsch gemacht hatte, weinte, während sie ihm bei seinen Nachforschungen unterstütze. Sie wusste, dass sie Ärger bekommen würde, und hatte ihm trotzdem viel mehr verraten, als er erwartet hätte. Dieses Mädchen verwirrte James. Er hasste sie und gleichzeitig war sie ihm wichtig. Und je länger er sie angesehen hatte, desto mehr hatte er sie wieder ins Herz geschlossen.

Auch beim Abendessen redete der Junge nicht. Egal wie oft Sirius lispelnd versuchte, ihn aufzuheitern, egal wie sehr Remus diesen Malfoy beleidigte, egal wie liebenswert Peter lachte. James brachte kein Wort heraus.
Ein starker, gefährlicher Anführer, und nicht einmal seine Anhänger trauen sich, seinen Namen zu sagen?
Und dann schoss ihm ein zweiter Gedanke ihn den Kopf.
Marlene war ein Halbblut.
Sirius ein Blutsverräter.
Lily war Muggelstämmig.
Wer würde alles in Lebensgefahr schweben, nur wegen der Wahnvorstellung eines Mörders?

The Marauders - From the beginningWhere stories live. Discover now