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Am 1. September ist am Londoner Bahnhof immer sehr viel los. Zwischen normalen Reisenden und Schaffnern erblickt man immer wieder Gruppen und Familien, die anders, regelrecht seltsam auf die Passagiere wirken. Sie schieben Gepäckwagen, beladen mit riesigen Koffern vor sich her. Auf dem ein oder anderen Wagen sieht man sogar eine Eule in ihrem Käfig sitzen oder eine Katze ruhig schlafen. Die meisten von ihnen reisen in alltäglichen Klamotten, doch auch hier gibt es merkwürdige Ausnahmen: Erwachsene, die in auffällig gemusterten oder verhältnismäßig schlichten, langen Umhängen durch die Gänge zu schweben schienen.
Eine dieser Familien drängte sich gerade durch eine besonders hartnäckige Menschenmenge und erntete ungläubige Blicke. Ein kleiner Junge von gerade mal 11 Jahren schob stolz seinen Gepäckwagen vor sich her und grinste so breit, dass es den Menschen in seinem Umfeld sofort warm ums Herz wurde. Seine schwarzen Haare waren zerzaust, als hätte er vergessen sie zu kämmen, sein roter Pulli war ihm zu groß, sodass er die Ärmel umschlagen musste und seine braunen Augen leuchteten voller Vorfreude. Hinter ihm ging eine Frau, die Mutter des kleinen, süßen Jungen, eine Hand auf der Schulter ihres Sohnes, und lächelte die Menschen, an denen sie vorbeiliefen entschuldigend an. Ihr Lächeln war genauso warm und ehrlich, wie das ihres Sohnes und sie hatte auch die gleichen liebevollen braunen Augen, jedoch hingen ihre Haare glatt über ihren Rücken und waren auch um einiges heller. Der Vater hingegen sah genauso zerzaust aus, wie der Kleine, und wirkte auch ein wenig gestresster, doch auch er lächelte. Dieser warme, sonnige erste Septembermorgen schien für sie ein besonderer Tag zu sein.
Sie gingen weiter, sahen sich kurz um, ob auch niemand sie beobachten würde und liefen dann direkt auf eine Mauer zwischen zwei Gleisen zu. Und im nächsten Moment warem sie verschwunden. Denn jene Mauer war ein unsichtbarer Durchgang zu einem anderen Gleis, der nur von besonderen Familien betreten werden konnte. Familien wie dieser. Sie fanden sich auf einem riesigen Bahnsteig wieder, ein noch riesigerer Zug wartete darauf, losfahren zu dürfen und pustete schon freudig dichte Rauchwolken in die Höhe und hoch oben an der Wand hing ein Schild auf dem stand "Gleis 9 3/4, Hogwartsexpress". Auf dem Bahnsteig standen hunderte Eltern mit ihren Kindern und verabschiedeten sich, manche schienen es schon gewohnt zu sein, da sie bereits ältere Kinder hatten, für andere jedoch war dies das erste Mal, der erste schwere Abschied. Kleine Kinder klammerten sich an ihre älteren Geschwister, Väter hoben Gepäcktruhen auf den Zug und es herrschte stetiges Geschrei. Ein Mädchen mit wilden blonden Locken hatte seine Eltern verloren und stand hilflos nach Mama schreien zwischen den falschen Familien. Ein anderes Kind, ein etwas älterer, ernst wirkender Junge schrie seiner besorgten Mutter aus dem Zug heraus entgegen, dass er auch wirklich nichts vergessen hatte. Der Anblick war atemberaubend, dem kleinen zerzausten Jungen, der gerade erst dazugestoßen war, stand der Mund weit offen. Seine Mutter wandte sich zu ihm.
"Jetzt geht es bald los, nicht wahr, James?"
Der Junge, James, sah zu seinen Eltern auf. Ihn wurde auf einmal schmerzlich bewusst, dass er seine Eltern nun eine ganze Weile nicht sehen wird. Er würde bald auf sich allein gestellt sein. Was war, wenn die anderen Schüler ihn nicht leiden konnten? Was, wenn es auf seiner neuen Schule doch nicht so schön sein würde, wie er sich immer erhofft hatte? Seine Augen weiteten sich entsetzt und James' Vater schien zu verstehen.
"Keine Angst, mein Junge, du wirst viele neue Freunde finden, du wirst sicherlich sehr beliebt sein. Und du wirst genauso viel Spaß haben wie deine Mutter und ich damals" Er machte eine kurze Pause, lächelte seinen Sohn sanft an. "Ich bring schonmal deinen Koffern rein."
"Danke, Dad."
Und schon war der große Mann mit James' Gepäck verschwunden.
"Mum, ich..."
Seine Mutter legte ihre Arme um ihren Jungen und legte ihren Mund an sein Ohr, um ihm beruhigende Worte zuzuhauchen.
"Sei ganz unbesorgt, Schatz. Die Zeit wird schneller vergehen, als du denkst, und schon sitzt du Weihnachten wieder bei uns Zuhause. Dein Vater hat recht, genieß deine Zeit. Und jetzt ab in den Zug, Schatz, sonst sind alle Abteile voll."
Sie drückte James einen Kuss auf die Stirn und dieser eilte wie geraten zum Hogwartsexpress. Auf dem Weg veranschiedete er sich noch von seinem Vater, nun doch wieder aufgeregt und voller Vorfreude, dann sprang er in den Zug.

Vor etwa 5 Minuten waren sie losgefahren, doch James hatte immernoch keinen Abteil gefunden, in dem noch ein Platz freigewesen war oder der nicht nur von Mädchen belagert worden war. Er war an den unterschiedlichsten Schülergruppen vorbeigelaufen und musste nun fast am anderen Ende des Zuges sein. Er spähte zu einem Abteil hinein. Vier Schüler, vielleicht zwei Jahre älter als James selbst, saßen darin und lachten. Er fragte sich ob sie sich auch in ihrem ersten Jahr in Hogwarts kennengelernt und angefreundet hatten.
James hatte immer davon geträumt, einmal nach Hogwarts zu gehen. Die beste (und auch einzige) Schule für Hexerei und Zauberei in ganz England. An seinem 11. Geburtstag hatte er den Brief erhalten, den Brief den jeder angenommene Schüler erhielt, der ihm sagte, er würde nun bald wie jeder in seiner Familie zuvor, lernen, richtig zu zaubern. Er würde neue Arten der Magie kennenlernen, dunkle und helle, würde lernen sich zu verteidigen und andere dazu zu bringen, sich zu verteidigen. Und all dies würde er mit vielen Leuten in seinem Alter tun. James war dafür sehr dankbar.

Er spähte in das nächste Abteil, so wie es aussah, der letzte. Und er war so gut wie leer. Nur ein Junge saß darin. Ein Junge, der genauso alt aussah wie James . Er hatte genauso wie James schwarzes Haar, aber es war glatter. Seine Augen schimmerten dunkel während er ein wenig deprimiert aus dem Fenster sah.
Klasse, jetzt lerne ich schon im Zug jemanden kennen.
Gespannt klopfte er an das Fenster der Schiebetür und zog sie dann auf. Der andere hatte seinen Kopf gehoben und sah offen und neugierig zu James. Seine dunklen Augen wirkten auf einmal viel wärmer.
"Ist hier noch frei? Alle anderen sind schon voll..."
Er beschloß, dem Jungen nichts von den Abteilen zu sagen, in denen zwar noch Plätze waren, aber der Rest aus Mädchen bestand.
Der andere Junge lächelte erfreut.
"Ja klar, setz dich ruhig. Die Frau mit dem Süßigkeitenwagen müsste gleich kommen, oder?"

The Marauders - From the beginningWhere stories live. Discover now