Kapitel 34

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Zuerst ist alles hell. Ich bin geblendet. Kann nichts sehen oder hören.
Fühlt es sich immer so an? Hoffentlich muss ich das nur einmal durch machen.
Doch ehe ich mich versehen kann, verändert sich um mich herum alles. Die Dunkelheit kehrt zurück. Genau wie damals, als ich gestorben bin.
Ich kann mich nicht erinnern wie viel Zeit vergeht oder ob sie überhaupt vergeht.
Es ist dunkel. Einfache und unheimliche Dunkelheit umgibt mich.
Vielleicht bekomme ich die Dunkelheit ab, weil ich so viele böse Sachen getan habe. So viele Menschenleben geraubt habe und das aus Spaß.
Fast befürchte ich, dass genau das der Plan sein könnte. Mir Schuldgefühle bereiten, damit ich es beim nächsten mal besser machen kann.
Oder soll es mich zum nachdenken anregen?
Egal was es ist, es nervt. Ich will es nicht besser machen. Eher würde ich es gern noch schlimmer machen.
Vielleicht habe ich wirklich nichts auf der anderen Seite gelernt.
Vielleicht sollte ich den Menschen solche Dinge auch nicht antun. Vielen ergeht es dann so wie mir. Sie trauern ihrer Schwester oder Bruder, Tanten, Onkel, Bekannte oder Eltern nach.
Hrm, ein großer Konflikt. Aber es liegt Krieg in der Luft, da werden nun einmal Opfer verlangt.
Als ob ich da auch nur einen verschone, der sich uns in den Weg stellt.
Der sich mir in den Weg stellt.

Ich reiße die Augen auf und fahre mit den Oberkörper, Luft hechelnd, nach oben.
Was ist passiert?
Besser, wo bin ich?
Ich schaue mich erschöpft um. Ich befinde mich in einem Bett. Aber es ist nicht meins. Es ist Kol seins. Als ich es das letzte mal gesehen habe, lagen hier nackte Frauen Leichen drinnen herum. Ich hoffe ja, dass er den Bezug gewechselt hat.
Sofort kneife ich die Augen zusammen als die Sonnenstrahlen meine Augen blenden. Das schmerzt.
Das Fenster ist geöffnet. Ich kann alles hören. Die Tiere draußen im Wald. Das rascheln der Blätter im Wind. Und einen Herzschlag. Meinen Herzschlag.
Oh mein Gott, sie haben es geschafft.
Dennoch kommt es mir zu einfach vor. Viel zu einfach. Wo sind die Konsequenzen? Wo bleibt die Rache derer Hexen, welche sich nicht auf Esthers Seite geschlagen haben?
Viele dürften das ja nicht sein. Sie verfolgt ja schließlich auch ein Ziel mit einem Hintergrundgedanke.

Über die Konsequenzen die noch auf mich zukommen werden, will ich jetzt gar nicht nachdenken.
Meine Lungen saugen sich gierig mit frischer Luft voll, während ich für einen Augenblick die Augen einfach schließe und meinen Herzschlag genieße.
Ich hätte ja niemals gedacht, dass ich den so vermissen würde. Das ich das Leben so vermissen würde.
Es ist schon komisch jetzt wieder zu leben. Aber auf der anderen Seite, freue ich mich wirklich. Es ist unbeschreiblich wie ich die Welt wieder wahrnehme. Alles auf der Seite der Lebenden ist viel heller und farbenfroher. Lebendiger und irgendwie auch freundlicher. Im Moment zumindest.
Auf der anderen Seite war alles dumpf. Dort gab es keine Hoffnung und keinen Trost. Nur die Ewigkeit, die einem vorhält was für Fehler man begangen hat. Man sieht wie die Menschen die man einst geliebt hat, weiter leben. Ungeniert ihr Leben genießen und schlussendlich sterben.

Ich lasse mich zurück ins Bett sinken und fahre mir mit den Händen übers Gesicht.
Ich kann es immer noch gar nicht fassen.
Wer hat schon daran geglaubt, dass ich wieder zurück von den Toten komme? Also so richtig daran geglaubt hab ich nie. Natürlich wusste ich, dass es zu schaffen ist, ohne Gegenwehr zumindest.

Ich seufze und sehe an mir herunter. Jemand hat mich sauber gemacht und mir neue Kleidung angezogen. Jemand namens Kol.
Ich schmunzle kurz. Natürlich war er es.
Langsam stehe ich auf, bis ich auf der Bettkante sitze und meine Füße über den Boden baumeln. Ja, ich bin immer noch nicht sehr groß. Schade.
Ich fahre mir durch meine zerzausten schwarzen Haare, bis ich mich schließlich dazu durchringe aufzustehen. Ich fühle mich wie gelähmt. Jeder Muskel ist angespannt und sobald ich mich bewege knackst es überall.
Ich strecke mich erst einmal ausgiebig und mein Körper begrüßt mich mit einem knackenden Orchester.
Aber ich muss zugeben, es tut gut. Ich bin nicht mehr so angespannt. Mein Körper fängt an sich erneut leichter zu bewegen, wie es früher der Fall gewesen ist.

Nicht gerade leichtfüßig begebe ich mich nach unten auf der Suche nach Blut. Ich hab unvorstellbaren Hunger.
Doch ehe ich etwas finden kann laufe ich in den Rücken von Kol hinein.
Perplex starre ich ihn an. Wie zum Teufel, konnte ich ihn übersehen?
Er dreht sich zu mir herum und ich beobachte, wie seine Augen anfangen zu leuchten, als er mich erblickt. „Guten Morgen Alex", flüstert er dann und mustert mein Gesicht und meinen Körper besorgt. „Geht es dir gut?" Ein leichtes Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen, während ich seine Rehbraunen Augen ansehe und sein kastanienbraunes Haar betrachte. „Ja. Mir gehts tatsächlich gut", antworte ich schließlich. Hätte ich fast vergessen.
Kol grinst mich zufrieden an. „Gut. Und ich nehme an, dass du Hunger hast", stellt er fest und deutet auf eines seiner manipulierten Flittchens, die er am Leben gelassen hat.
Vermutlich um sie zu ficken. Wunderbar.

Bei diesem Gedanke verdüstert sich meine Miene und meine Laune sofort. Doch der Hunger siegt.
Unter meinen Augen bilden sich die Vampirstriemen und meine Reißzähne treten hervor, während sich meine Augen in ein tödliches Rot färben.
Oh Gott, wie ich das vermisst habe.

Ich schnelle auf sie zu und versenke meine Reißzähne in ihrer Hauptschlagader am Hals. Der süße Geschmack ihres Blutes erfüllt mich mit Befriedigung. Es ist warm und frisch und breitet sich wohltuend in meinem Magen aus und schenkt mir Kraft.
Kraft die ich gut gebrauchen kann.
„Alex...", ermahnt Kol mich amüsiert. Er weiß das ich sie töte. Passt ihm offensichtlich nicht so wirklich.
Als sie fast blutleer ist und somit mein Hunger gestillt, lasse ich von ihr ab und sehe Kol an, der mir einen zufriedenen Blick zuwirft. Ohne ihn aus den Augen zu lassen breche ich seiner kleinen Freundin das Genick. Sie fällt leblos von dem Stuhl und liegt jetzt vor seinen Füßen.
„Ups", sage ich gespielt unschuldig und zucke mit den Schultern.
Ausdruckslos sieht er die Leiche vor ihm an, bevor sein Blick zu mir wandert und er langsam anfängt psychopathisch zu grinsen. „Wie ich dich vermisst habe", flüstert er dann und tritt über die Leiche auf mich zu.
Mit dem Daumen streicht er mir den letzten Rest des Blutes von der Lippe und legt seine Hand dann an meine Wange. Gänsehaut bereitet sich auf meinen ganzen Körper aus.
Ich versuche ruhig zu bleiben, doch es ist nach wie vor schwer in seiner Nähe.
Endlich presst er drängend seine weichen Lippen auf meine. Endlich!
Seine Hände wandern meinen Körper hinab und er hebt mich hoch. Während meine Hände an seinen Hals liegen und ihn nicht mehr loslassen wollen.
Er setzt mich auf der Arbeitsplatte der Kücheninsel ab und drückt sich zwischen meine Beine, während wir wie verliebte Teenager rum knutschen. Auch das sollte man tausend Jahre alten Vampiren, mal erlauben.

Nach einer Weile, mein Zeitgefühl habe ich immer noch nicht wieder zurück, lehne ich sanft meine Stirn gegen seine und sehe ihn an. Seine braunen Augen leuchten vor Freude und Aufregung und ich schmunzle leicht. „Wir haben viel zu bereden Alex", durchbricht er die Stille. Für einen Moment schließe ich die Augen und seufze, bevor sich mich von ihm löse. „Ja ich weiß...", gebe ich ihm leise recht. „...aber bitte nicht heute. Ich muss mich erst mal wieder einfinden und ein paar Dinge regeln"
Verständnisvoll nickt er. „Ja, aber bald..." - „Ich sollte womöglich mal mit den anderen reden und mich blicken lassen...", überlege ich und er grinst. „Das ist eine gute Idee. Schließlich solltest du der Welt zeigen, dass du ganz die Alte bist und das dein Tod nichts verändert hat. Nicht an dir, oder deiner Stärke"
Ich grinse. Oh, er hat recht. Und wie ich das muss.

Alexandria Petrova - The OriginalWhere stories live. Discover now