♦ Kapitel 27 ♦ - ,,Man hat uns ,,die Hexenzwillinge'' genannt.''

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''Jade? Wo bist du?'', hörte ich Jane nach mir rufen.

''Ich bin hier!'', lachte ich leise.

Sie würde mich schon hören.

Sekunden später stand sie vor mir und schaute auf mich herab. Ihre Stirn war gerunzelt, ihre Augen blickten irritiert auf mein Handy, das auf meinem Schoss lag. Ob sie schon einmal ein solches Ding gesehen, geschweige denn benutzt hatte?

Sie lächelte mich an, setzte sich neben mich hin und blieb für einen Moment still. Wir sassen hier - auf dem weitläufigen Dach des Schlosses - und ließen unsere Füsse über dem Abgrund baumeln. Wir genossen den Anblick, der sich uns bot. Die Sterne warfen ein schwaches Licht auf uns herab, der Mond war hinter ein paar Wolken versteckt. Nebelschwaden stiegen langsam schlangenartig empor. Es war ein traumhafter Anblick.

''Das ist gefährlich'', sprach sie ihre Gedanken nach ein paar Minuten Stille aus und deutete auf den Abgrund.

Ich zuckte mit den Schultern.

''Ich weiß, doch trotzdem gefällt es mir hier oben. Hier oben fühle ich mich frei von allen Sorgen, Ängsten und Problemen, verstehst du?'', fragte ich, einen Seitenblick auf sie werfend.

''Ich weiß, was du meinst. Ich war noch nie wirklich hier oben'', gestand sie mir dann.

''Wie lange lebst du schon hier?'', wollte ich dann wissen.

''Genau weiß ich das nicht, aber schon Jahrhunderte lang.''

''Und du warst nie hier oben?''

Sie schüttelte den Kopf.

''Oh.''

Einen Augenblick lang schloss ich die Augen und atmete tief ein. Dann fragte ich sie etwas, was ich sie eigentlich schon immer hatte fragen wollen.

''Wie kommt es, dass Alec und du zu den Volturi gehören?''

Ich kannte ihre Geschichte nicht, ich hatte immer nur gehört, wie schrecklich ihr Leben vor den Volturi doch war.

Jane war in der kurzen Zeit, in der ich schon hier war, eine sehr wichtige Person für mich geworden und ich möchte sie nun ganz verstehen lernen. Ich möchte für sie da sein und eine Stütze für sie sein, wenn sie mich braucht. Denn dafür waren Freundinnen doch da, nicht wahr? Sie halfen sich gegenseitig, wenn einer in Not war. Sie waren für den anderen da, egal wie spät es auch war. Sie waren wie Geschwister für einander, welche sich gegenseitig beschützten. Egal vor einem Junge war, der es nicht ernst meinte oder gar vor einer Person, die einen bedrohte. Ihnen war nichts peinlich voreinander, sie erzählten sich wirklich alles. Sie vertrauten sich bedingungslos.

Jane seufzte laut auf. Sie erzählte diese Geschichte wohl nicht gerne.

Dann begann sie – auf ihre Hände blickend – zu erzählen.

''Wir sind in England um 800 nach Christus geboren. Unseren Vater haben wir nie kennengelernt, unsere Mutter hat uns im Stich gelassen. Da waren wir etwa 12 Jahre alt. Man hat uns ,,die Hexenzwillinge'' genannt, da unser Dorf glaubte, wir hätten Hexenkräfte. Jedenfalls ist ab da an alles bergab gegangen. Wir lebten in Armut, teilten uns ein kleines Zimmerchen. Alec hat nach Mutters Verschwinden gearbeitet um Geld zu verdienen. Doch dann ist er schwer erkrankt. Er erkrankte an Lepra. Ich habe mich um ihn gekümmert und nebenbei gearbeitet. Dies war eine anstrengende Zeit für uns gewesen. Eines Tages war ich so verzweifelt, da mich niemand bei sich anstellen wollte. Ich meine, wer gab einer ,,Hexe'' schon Arbeit? Da habe ich drei uniformierte, wohlhabende Männer entdeckt. Was ich damals nicht wusste, war, dass es die drei Meister waren. Einem davon habe ich die Brieftasche geklaut. Dann habe ich mich unter die Menge gemischt und mich vor ihnen versteckt, da sie es bemerkt haben. Ich weiß nicht, was passiert wäre, wenn sie mich gefunden hätten... Sie haben das Dorf nach mir abgesucht, sogar die Leute nach mir gefragt. Da haben sie erfahren, wer ich war. Daraufhin haben sie uns ,,Hexenzwillige'' eine Zeit lang beobachtet, da sie den Leuten Glauben geschenkt hatten. Kurz nach unserem 15.Geburtstag hat unser Dorf uns gefangen genommen, um uns auf dem Scheiterhaufen zu verbrennen. Alles ging so schnell. Sie ketteten und an zwei Holzpfeiler an. Dann zündeten sie den Scheiterhaufen an. Das Holz fing zu brennen an. Zuerst war da diese unerträgliche Hitze, dann kamen die Schmerzen. Es waren Todesqualen. Zuerst hat es mir die Haare versengt, dann hat sich langsam meine Haut abgeschält. Es hat nach verbranntem Fleisch gerochen. Doch ich habe keinen einzigen Ton von mir gegeben, Ich habe still vor mich hin gelitten. Doch trotzdem hielten Alec und ich uns währenddessen die ganze Zeit an den Händen. Dann vernahmen wir plötzlich Schreie. Es waren die Dorfbewohner, welche grausam abgeschlachtet wurden. Es waren unsere Retter in Not, es waren die Meister der Volturi. Sie haben uns aus dem Feuer geholt und uns kurz vor unserem Tod in ihresgleichen verwandelt. Vorbei war unsere Armut, wir entwickelten uns zu mächtigen und starken Vampiren.''

Sprachlos starrte ich sie einfach nur an. Ich wünschte niemanden so eine schwere Kindheit, wie sie es hatte. Das hatte niemand verdient, vor allem kein Kind.

''Oh Gott, das tut mir schrecklich Leid!'', hauchte ich geschockt.

''Weisst du, meine Erinnerungen sind alle so verschwommen. Mittlerweile habe ich das meiste davon sowieso vergessen... Doch ich habe eine zweite Chance bekommen, dafür bin ich den Meistern auf ewig dankbar, Jade.''

Ich kaute auf meiner Unterlippe.

''Jetzt bist du aber dran, erzähl etwas von dir, was ich noch nicht weiß.''

''Ich hatte eine Zwillingsschwester – ja, ich bin auch ein Zwilling, wie Alec und du es sind. Ihr Name war Ava. Sie war auch gleichzeitig meine beste Freundin. Auch wir hatten eine schwere Kindheit. Unsere Mutter starb bei unserer Geburt, unser Vater hatte, als wir sechs Jahre alt waren, einen Unfall in seiner Firma. Von da an lebten wir in Waisenhäuser. Dort haben wir schwere Zeiten durchgemacht. Jedenfalls war alles noch einigermaßen in Ordnung bis vor einem Jahr. Denn Ava hat angefangen, sich komisch zu benehmen. Öfters einmal kam es vor, dass sie für mehrere Tage einfach verschwunden ist. Ich habe mir immer große Sorgen um meine kleine Schwester gemacht. Natürlich habe ich versucht herauszufinden, was los war, doch sie hat immer abgeblockt und mich angemotzt, dass es ihre Sache sei, was sie mache. Doch dann ist sie wieder einmal verschwunden. Mittlerweile war ich es mir gewohnt. Aber eines war anders, denn sie ist nie wieder zurückgekommen. Ich bin dann aus dem Waisenhaus geflüchtet. Ava habe ich gesucht, manchmal bin ich sogar Tage lang durch die selbe Gegend gestreift. Ich bin vielen Hinweisen nachgegangen, habe Leute nach ihr gefragt. Doch niemand hat sie je gesehen. Geld und Essen habe ich mir geklaut, Ausweise gefälscht. Manchmal wenn ich kein Geld hatte, habe ich sogar auf der Strasse geschlafen. Einmal sogar hatte ich Kokain probiert – ich weiß, ich war dumm und jung. Ab da an habe ich nie mehr irgendwelche Drogen – abgesehen von Alkohol – angefasst.''

''Wie war sie so?''

''Sie war ein Sonnenschein. Sie hatte immer gute Laune und hat jeden immer zum Lachen gebracht. Ach, sie war wunderschön - Innen wie auch außen. Noch nie habe ich eine so liebevolle Person gesehen mit so einem goldigen Charakter. Sie hat sich um jeden einzelnen gesorgt. Sie war glücklich, wenn es andere waren. Ava war einfach perfekt in meinen Augen. Ich wollte schon immer so sein, wie sie es war. Wir waren ein Herz und eine Seele...''

''Wenn sie noch am Leben ist – davon bin ich fest überzeugt – werden wir sie finden, das verspreche ich dir, Jade.''

''Danke, Jane'', lächelte ich sie traurig an und umarmte sie.

Lächelnd erwiderte sie die Umarmung und tätschelte mir sanft den Rücken.

Minuten später löste ich mich sanft von ihr und strich mir die Haare, die meine Sicht ein wenig behinderten, aus der Stirn.

''Ich glaube, es ist besser, wenn wir wieder hineingehen, es ist kalt geworden'', meinte ich und rieb mir über die Arme, als eine Brise heran wehte.

''Ich vergaß. Natürlich, komm, die Meister erwarten uns sowieso schon längst.''

Sie richtete sich blitzschnell auf und hielt mir die Hand hin. Dankend ergriff ich ihre kalte Hand und ließ mich auf die Beine ziehen. Dann ging sie vor mir in die Hocke und bedeutete mir, auf ihren Rücken zu springen. Dies tat ich dann auch. Sie wusste, dass meine Fähigkeiten mich im Moment zu sehr erschöpften.

''Ich danke dir, Jane. Für das Gespräch und für einfach alles.''

''Das kann ich dir nur zurückgeben'', lächelte sie mich sanft an, dann flitzte sie los.

''Das kann ich dir nur zurückgeben'', lächelte sie mich sanft an, dann flitzte sie los

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