Als ich das Vereinsheim an Charlottes Seite betrat, machte Daniel sich bereits an dem Whiteboard an der Kopfseite des Raumes zu schaffen.
"Ihr seid spät", kommentierte er ohne sich umzudrehen.
Ich blickte auf die Uhr, es war erst fünf vor sechs: "Du bist zu früh", gab ich zurück. Charlotte lachte leise: "Fünf Minuten reichen locker zum umziehen".
Aus der Richtung des Whiteboards drang ein ungläubiges Schnauben, was vielleicht den Anstoß dafür gab, dass wir uns schneller als je zu vor umzogen.
Keine drei Minuten später saßen wir fertig, mit zusammen gebundenen Haaren, geschlossenen Westen und behandschuhten Fingern auf unseren üblichen Plätzen und warteten lediglich auf Tyler und Oliver.
"Erst eine Woche lang das Training schwänzen und dann auch noch den Betrieb aufhalten", beschwerte Daniel sich, als Oliver schließlich hinter Tyler aus der Umkleide trottete.
"Sorry", nuschelte Oliver, grinste verlegen und schüttelte sich das Haar aus der Stirn. Zu Marthas und meinem Leidwesen stellte er immer noch seine Justin Biber Frisur zur Schau, obwohl diese schon seit Jahren out war. "Hatte viel von der Schule zu tun".
"Ja natürlich und den Weihnachtsmann gibts wirklich", Martha blickte von ihrem Handy auf und verdrehte die Augen.
Olivers Gesicht nahm einen leichten rosa Ton an, der sich jäh verflüchtigte als Daniel Martha zu Recht wies, das Handy in die Umkleide zu legen.
"Also. Ersteinmal habe ich mit Mrs Tolsky telefoniert. Jim ist aufgewacht und es geht ihm den Umständen entsprechend. Nicht blendend, ein bisschen benommen aber im Großen und Ganzen okay".
"Klingt ja gut", sagte Charlotte und Samuel nickte zustimmend.
"Was glaubt ihr was mir ein Stein vom Herzen gefallen ist, ich hatte schon Angst ich würde meine Lizenz verlieren", lachte Daniel. Allerdings war es nicht sein übliches, herzliches Lachen, das einen ganzen Raum füllen könnte. Stattdessen war es leiser und drückte seine Nervosität nur zu deutlich aus.
"Wegen sowas verliert man doch nicht die Trainerlizenz", überlegte Samuel, während Martha gleichzeitig fragte: "Du hast einen Trainerschein?".
"Ruhe Harper! Und ja den hab ich", wies Daniel Martha erneut zu Recht, diese verdrehte als Antwort lediglich die Augen als Daniel sich gerade zum Whiteboard drehte und begann die heutigen Übungen und Aufgaben vorzustellen.
"Wir fahren heute aus der Bucht raus, die Wellen sind super um die Sprünge ein wenig spannender zu machen", erklärte er uns und grinste dabei wie ein Honigkuchenpferd.
Ich sah zu Charlotte hinüber, die in etwa genau den gleichen besessenen Ausdruck im Gesicht hatte, wie unser Trainer.
"Deswegen wird Christina heute nicht dabei sein, ich will euch für die Wettkampfbedingungen rüsten und im Freiwasser würde sie noch nicht stehen können". Da hatte er wohl oder übel Recht.

Das Wasser war eisig, da half auch der Neoprenanzug kaum. Wir schoben unsere Bretter ins hinein, die Wellen schlugen kalt gegen unsere Körper und durchnässten uns binnen Sekunden. Auf Daniels Kommando bestiegen wir die Boards, zogen die Segel hoch und steuerten hintereinander auf die Engstelle zu, die Bucht und den Rest des Meeres von einander trennten. Ein eigenartiges Hochgefühl machte sich in mir breit, während ich mein Board durch die Wellen trieb, der Wind an meinem Segel zerrte und eisiges Salzwasser in mein Gesicht schnitt. Das hier war besser als das Surfen in der Bucht, besser als Pizza-Hawaii auf dem Sofa mit Scott und Rebecca. Das hier war Freiheit.

Das Gefühl der Freiheit hielt exakt so lange, wie wir uns auf dem Wasser befanden. Die Wellen schüttelten uns ordentlich durch, wir hoben von der Oberfläche ab, sanken Meter tief ein. Das Salz war überall, brannte in Augen und Nase, doch für den Moment störte es nicht. Meine Hände unter den Handschuhen waren starr gefroren und meine Füße fühlten sich an, als könnte ich sie nicht richtig von dem Surfboard lösen.
Als wir schließlich frierend aber glücklich in die Bucht zurück kehrten, sah ich ihren silberblonden Haarschopf schon von weitem.
"Was macht sie denn hier?", auch Samuel hatte Christina aus der Ferne erkannt. Er dümpelte langsam neben mir her.
"Keine Ahnung", zähneknirschend starrte ich auf den blonden Fleck am Strand.
Samuel schüttelte seinen Kopf, sodass seine roten Haare in alle Richtungen flogen und ich einige Wassertröpfchen abbekam.
"Ich glaube sie versteht es einfach nicht".
"Vermutlich nicht. Aber irgendwie versteh ich's ja auch", gab ich zu und erinnerte mich flüchtig an unser "Gespräch" auf dem Schulflur.
Samuel verzog das Gesicht: "Ja klar, am Anfang muss man irgendwie hartnäckig sein aber hier kann sie niemand gebrauchen". Seine Worte waren hart. Aber wahr. Christina behinderte uns.

Ghosts of EleoWhere stories live. Discover now