My Little Angel #11

57.3K 2.3K 255
                                    

"Helena hat keine Wahl und wird abtreiben.."

Das waren die Worte meines Vaters.
Abtreiben...
Ich soll abtreiben..?
Aber kann ich das überhaupt? Kann ich ein Lebewesen töten? Kann ich mit meinem Gewissen danach noch leben?
Theoretisch hatte ich mir eine Abtreibung auch vorher schon überlegt, da ich einfach nicht reif genug für ein Kind bin. Ich wollte dem Kind nur etwas gutes tun, denn ich als Mutter würde nur in einer Katastrophe enden. Ich bin ja selber noch ein Kind. Volljährig, aber dennoch ein kleines unreifes Kind. Ich kann das einfach nicht.

Aber hat mein Vater wirklich das Recht einfach so die Entscheidung zu treffen?
Gesetzlich definitiv nicht, da ich volljährig bin.
Aber nicht nur gesetzlich. Er hat auch so kein Recht dazu so etwas zu tun! Mein Vater war kein richtiger Vater. Niemals hat er mir gezeigt, wie viel ich ihm bedeutet habe. Er war immer distanziert und kalt. Nie hat er nette Worte für mich gehabt, sondern nur Vorwürfe und Worte, die mir zeigten, dass ich alles falsch machen würde.
Ein Vater sollte normalerweise doch liebevoll sein, oder? Kinder sollten sich doch danach sehnen ihren Vater zu sehen? Habe ich nicht recht?
Ich jedoch habe mich nie nach meinem Vater gesehnt! Nie! In meinen Augen hatte er immer nur die Vaterrolle, aber ein richtiger Vater war er nicht.
Das war er niemals gewesen. Ich weiß auch nicht warum. Warum sie mir gegenüber immer so kalt und distanziert waren. Warum sie mir ihre Liebe nicht richtig gezeigt haben. Warum sie immer so streng und vorsichtig waren. Ich weiß es echt nicht.

Deswegen hat dieser Mann, der sich mein Vater nennt, keinen Recht diese Entscheidung zu fällen. Weder er, noch meine Mutter.

Die Übelkeit, die die Worte in mir auslösten, zwang mich sofort zur Toilette und ich musste mich mal wieder übergeben. Das tat ich oft durch die Schwangerschaft, aber es wurde nur schlimmer, wenn ich mich schlecht fühlte.

Als ich mich wieder etwas unter Kontrolle hatte, machte ich etwas, was ich zuvor nie getan hätte. Ich kletterte aus dem Fenster und lief die Straße entlang so schnell ich konnte. Es war gerade bestimmt fast Mitternacht. Trotzdem war mir alles egal. Schlimmer als bei uns zu Hause konnte gerade nichts sein.

Irgendwann erreichte ich dann einen See und setzte mich auf den Boden. Eine Träne nach der anderen lief über meine Wangen.
Ich fühlte mich so hilflos und verlassen. Niemand konnte mir gerade den richtigen Weg zeigen. Wirklich niemand.
Alles war vorbei.
Nichts hatte mehr Sinn.

Der Wind wehte mir mit seiner kalten Brise durch meine Haare. Es war echt kalt, aber noch lange nicht so kalt wie meine gefrorene Seele.

Ich rappelte mich langsam wieder auf die Füße und schaute mit leblosen Augen auf den kalten und tiefen See vor mir. Der Mond spiegelte sich auf der Wasseroberfläche. Es war ehrlich gesagt eine friedliche Nacht. Eine friedliche Nacht für viele, doch für mich die Hölle.

Dieser See...er könnte mich von meinem Leid befreien. Ich könnte innerhalb von ein paar Minuten sorgenfrei sein! Frei wie ein Vogel!

Meine Hände wanderten zum ersten mal über meinen noch recht flachen Bauch. Manchmal konnte ich es selber nicht fassen, dass sich gerade in mir ein kleines Lebewesen entwickelt. Es war einfach unglaublich! Mit zitternden Händen strich ich sanft drüber.

"Es tut mir Leid, Kleines! Aber ich habe keine andere Wahl! Du merkst doch auch wie ich leide! Ich weiß das es nicht deine Schuld war! Du bist unschuldig und hast dieses Schicksal nicht verdient! Ich weiß, dass du auch leben willst! Aber bitte....bitte... versteh mich! Ich kann nicht anders! Es tut mir Leid! So Leid! Bitte...Bitte verzeih mir", schluchzte ich leise und verzweifelt.

Die Sehnsucht nach einem Ende und der Freiheit war so groß, sodass ich die Kontrolle über mein eigenes Ich verlor.
Einen Schritt nach dem anderen lief ich auf den See zu. Meine seelenlosen Augen schauten nur nach vorne. Irgendwann spürte ich das eiskalte Wasser unter meinen Füßen, das mit jedem einzelnen Schritt höher stieg, bis es dann irgendwann auf Bauchhöhe war. Meine Hände, die immer noch auf meinem Bauch lagen, zitterten. Nicht vor Kälte, nein! Die Kälte spürte ich nicht einmal!
Sondern vor Angst und Verzweiflung.

"Es tut mir so Leid....Bitte....Verzeih mir....", flüsterte ich die ganze Zeit vor mich hin.

Nach einer kurzen Zeit war das Wasser schon an meinem Kinn.
"E..Es tut mir so Leid", sagte ich unter Tränen.
In diesem Moment rutschte ich durch einen Stein unter meinen Füßen aus und tauchte unter.
Hochschwimmen konnte ich auch nicht mehr, denn das Wasser zog mich nach unten.

Es tut mir so Leid! Zu gerne hätte ich dich leben lassen, aber zurzeit hatte ich alles um mich herum vergessen.
Bitte verzeih mir. Aber das ist das Beste für dich und für mich.
Nach und nach verlor ich dann das Bewusstsein und verschwand in der Dunkelheit der Nacht.

My little AngelWhere stories live. Discover now