Kapitel 4 - Geheimnisse

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Der Rollkoffer hüpfte unruhig hin und her, als ich ihn über den breiten Steinweg zog. Links und rechts ragten die weißen Stämme der Birken in die Höhe und bildeten, mit ihren grünen Blättern, eine Allee.

Am Ende des Weges blieb ich stehen und schaute auf. Mehrere Meter vor mir ragte mein neues Zuhause empor. Ein unglaublich riesiges altes Anwesen. Und ich meine wirklich riesig. Es bestand aus weißem Stein, hatte so viele Fenster, dass ich keine Lust hatte sie zu zählen und schwarze Dachziegeln, die im Sonnenlicht bläulich schimmerten. Es gab sogar zwei kleine Türmchen mit Zwiebeldächern und dezenten Goldverzierungen. Das gesamte Gelände war von einer perfekt gerade geschnittenen Wiese umgeben und dahinter begann ein wunderschöner Mischwald. Ich setzte mich wieder in Bewegung und machte die nächsten Schritte in Richtung eines neuen Lebens. Der Eingang befand sich unter einem kleinen Vordach, das auf zwei eindrucksvollen Säulen gestützt war. Ich stieg zwei Stufen hinauf und stand vor einer großen Doppeltür. An beiden Türflügeln befand sich jeweils ein Eberkopf mit Hebeln zum Klopfen. Ich schnippte gegen ein Horn des rechten Ebers. Es war steinhart. Vermutlich Eisen oder Silber. Ich stemmte mich mit der Schulter gegen die schwere Tür und sie öffnete sich unerwartet leicht. Mir klappte die Kinnlade runter. Vor mir erstreckte sich die schönste und edelste Eingangshalle, die ich je gesehen hatte. Naja, um genauer zu sein, bislang auch die Einzige. Meine Füße berührten weißen Mamor und der lichtdurchflutete Raum war in helle Farben getaucht. An der hohen Decke prangte ein monströser Kronleuchter aus durchsichtigen Kristallen, der das einfallende Licht in tausende winzige Regenbogen brach, an den Wänden hingen ein paar eindrucksvolle Gemälde, die irgendwelche toten Verwandten zeigten und vereinzelt standen vergoldete Kerzenständer im Raum. Auch einen reichverzierten Kamin gab es, der vermutlich auch aus Mamor war. Es gab so viele kleine Details, sodass ich sie nicht so schnell erfassen konnte.

>>Mach den Mund wieder zu, sonst kommen noch Fliegen hinein. << Lachte meine Tante und rückte sanft meine Kinnlade wieder an ihren richtigen Platz. >>Ich glaube kaum, dass es hier Fliegen gibt. << sagte ich und machte eine ausladende Geste, die das ganze Haus einbezog. Sie schmunzelte.

>>Ja, dieses Haus ist unglaublich nicht wahr? Alles ist noch genauso wie damals. Nichts hat sich verändert, bis auf... << Sie brach ab und Traurigkeit schwang in ihrer Stimme mit. Sie vermisste ihre Schwester. Meine Mutter. Hier sind sie zusammen aufgewachsen. Das ist der Ort an dem meine Mutter ihr halbes Leben verbracht hat. Und dann ist sie verschwunden.

>>Sophie! Oh mein Gott, du bist endlich wieder da! Ich konnte es ja kaum aushalten, als ich erfuhr, dass ihr herkommt. << Rief eine aufgeregte Stimme. Die Stimme gehörte zu einer etwas molligeren Frau, die am Ende der Halle die Stufen herunter gelaufen kam. Schnell kam sie auf uns zu getippelt und umarmte Sophie stürmisch. Sie kam mir merkwürdig bekannt vor, obwohl ich sie noch nie zuvor in meinem Leben gesehen hatte.

>>Zwei Monate lang haben Johann und ich das Anwesen wieder auf Vordermann gebracht. Das war eine Arbeit kann ich dir sagen, aber die war es uns wert, nicht wahr Johann? << Rief sie über unsere Schultern hinweg Johann zu, der gerade herein kam. Der murmelte nur etwas Zustimmendes, da er gerade damit beschäftigt war, beim Tragen des Gepäcks zu helfen.

Erstaunt schaute ich mich weiter um, während die Frau und Sophie sich weiter noch umfänglich begrüßten. Plötzlich wurde ich in eine Umarmung gerissen und ich starrte verwundert auf die Frau hinunter, die mir gerade einmal bis knapp unters Kinn reichte.

Als mich die kleine Frau wieder losließ und auf Armeslänge von sich hielt musterte sie mich erstaunt.

>>Mein Gott bist du groß geworden und so wunderschön. Genauso zauberhaft wie deine Mutter! << Sagte sie liebevoll.

Immergrün *pausiert* #TeaAward2018Where stories live. Discover now