Kapitel „10"

123 9 2
                                    

Ich höre Geräusche vor meiner Zelle und schrecke sofort auf. Die Tür wird geöffnet und vier Friedenswächter in Uniformen treten ein. Voller Angst drücke ich mich mit all meiner Kraft direkt an die Wand, an der ich hänge.
„Bitte! Tut mir nichts!", flehe ich mit dicken Tränen in den Augen.
„RUHE!", brüllt einer der Friedenswächter mich an und schlägt mich mit aller Kraft. Ein lauter Schrei voll Schmerz kommt aus meinem Mund.
Leises Flüstern, nicht weit von hier entfernt, erklingt in meinen Ohren.
„Haben Sie das gehört? Woher ist das gekommen? Das klang nach ihr!"
Die Worte kommen überraschend und scheinen hier einfach nicht hinzugehören. Die Stimme kommt mir bekannt vor und ich durchwühlen meine Erinnerungen. Ein Schrei. Ich erinnere mich an einen Schrei. Was ist passiert? Wer ist das?
Die Friedenswächter kleben mir meinen Mund zu, bevor ich um Hilfe schreien kann, denn, auch wenn ich kein gutes Gefühl habe, könnte ein Hilferuf, nur ein einziger, mich doch endlich aus dieser Lage befreien. Ängstlich blicke ich die Friedenswächter an. Ich kann sehen, wie einer von ihnen seine Arme hebt und spüre, wie sich die Ketten von meinen Handgelenken lösen und meine Arme schlaff herunterfallen. Ich bin zu schwach, um mich auf den Beinen zu halten und kippe fast um, doch der andere Friedenswächter fängt mich noch rechtzeitig auf, bevor ich auf den Boden falle. Sie lösen auch die Ketten an meinen Füßen und fesseln mich wieder, sodass sie mich wegschleppen können. Ich suche nach den Mann, der eben gesprochen hat, doch ich sehe niemanden außer den Friedenswächtern. Wo ist er? Er klang doch gerade noch so nah! Er muss hier irgendwo sein!
„Wo ist sie bloß? Ich bin mir sicher, dass sie es war!", höre ich einen anderen Mann sagen, dessen Stimme mir diesmal nicht bekannt vorkommt. Die Stimme des ersten Mannes schien jünger zu klingen, doch beide klingen reif. In seiner Stimme schien auch noch etwas zu sein, vielleicht Wut oder Trauer. Ich kann es nicht wirklich sagen. Ich versuche um Hilfe zu rufen, doch kommt kein Geräusch aus meinem zugeklebten Mund. Die Friedenswächter schleppen mich durch eine Tür in der entgegengesetzten Richtung der Stimmen, immer weiter weg.
„Da ist sie! Dort!", höre ich die bekannte Stimme hinter mir. Ich werde von den Friedenswächtern umgedreht und spüre etwas scharfes an meinem Hals. Ich sehe sie, die beiden Männer. Ein Mann um die 40 mit dichten, grauen Haar und blauen Augen - ihn kenne ich nicht - und ein Junge, 19 Jahre alt, groß, mit dunkler Haut und glatten, dunklen Haaren und grauen Augen. Wie ich. Gale. Gale ist hier! Nein, das darf nicht sein!
Ein Schmerz fährt über meinen Arm entlang und aus dem Augenwinkel kann ich dessen Ursprung erkennen: Einer der Friedenswächter fährt mit einem Messer darüber. Ich sehe mein Blut auf den Boden tropfen. Ich hätte vor Schmerz geschriehen, wenn ich könnte.
Seine Augen, Gales Augen, blicken direkt in meine, eine kleine Träne bildet sich darin und fließt seine Wange hinunter. Verzweiflung. Ein mir so bekanntes Gefühl. So habe ich doch in der letzten Zeit kaum etwas anderes gefühlt.
Ich höre sein leises Flüstern, seine Lippen bilden einen Namen: „Katniss."
Hilflos sehe ich ihn an, versuche meine Atmung zu regulieren, damit die Klinge nicht in meinem Hals schneidet. Ich kann mich nicht wehren, nicht befreien, ihm nicht sagen, er soll fliehen. Ich kann nur bewegungslos in den Armen des Friedenswächters hängen, der mich töten wird.
Schwärze legt sich für ein paar Sekunden über meine Augen, bis ein Schmerz am Hals mich aus der Dunkelheit holt. Ich sehe die neue Szene an, die sich vor mir abspielt: Gale kauert auf den Boden, den Blick auf mich geheftet, mehrere Schritte weiter vor, als er eben noch war. Der andere Mann hält die Waffe auf den Friedenswächter hinter mir. Doch auch die Friedenswächter waren alle vier bewaffnet und die, die mich nicht festhalten, Zielen auf Gale und dem Mann. Sie werden sterben, wenn sie nicht fliehen. Sterben oder schlimmeres. Und sie werden nicht fliehen, solange ich lebe.
Vielleicht sollte ich sterben? Vielleicht ist der Tod ja angenehmer als das hier? Vielleicht täte ich Gale damit einen Gefallen? Gale ... soll nicht ... leiden.
Mit einem schnellen Ruck lehne ich mich in die Klinge, ich spüre meinen Hals aufreißen, die dem Druck der Klinge nicht stand hält, ich spüre das heiße Blut an meinem Körper hinunter fließen, ich spüre meinem Mund mit aller Kraft Luft holen, doch Blut ist überall. Mein Mund füllt sich damit. Ich sehe Gales Panik, als er mich sterben sieht. Langsam wird alles verschwommen, langsam verschwindet alles und dann ... dann bin ich tot.

Es tut mir leid, es tut mir einfach so leid.

Pausiert gefangener SpotttölpelWhere stories live. Discover now