Kapitel 6 Peetas Sicht: Lügen?

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Kaum dass der Bildschirm aus ging, erzählt Beetee schon weiter, seine Stimme hat allerdings seinen hochkonzentrierten Klang und sein Interesse verloren. Die ganze Stimmung im Raum ist anders. Alle wirken angeschlagen und keiner achtet auf irgendwas. Jeder scheint nur seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, bis Beetee das Ganze beendet.
„Ich glaube, das hier wird nichts mehr. Wir verschieben das auf morgen um die selbe Zeit. Geht.", sagt er. Es ist, als käme seine Stimme von weit her. Wie ein flüstern aus dem Nachbarhause. Leise und unbedeutend.
„Peeta?", fragt Beetee, doch kann ich nicht antworten. „Peeta, kannst du mich hören? Peeta!"
Wie eiskalter Regen, wie ein Schlag ins Gesicht, so werde ich aus meiner Starre geholt. Ich schaue Beetee an, noch immer nicht fähig, zu reden.
„Alles in Ordnung mit dir?", fragt Beetee, als ich mit Mühe die Kontrolle über mich zurück gewinne.
„Ja. Alles gut. Wieso fragst du?", versuche ich ungezwungen zu wirken.
„Weil du seit dreißig Minuten den Bildschirm anstarrst und »Das ist meine Schuld.« murmelst. Die anderen sind vor zehn Minuten gegangen.", spricht Beetee wie zu einem verängstigten Tier.
Bei mir ist alles gut.", erkläre ich.
„Es wird schon, Peeta. Wir holen sie da raus. Es wird nicht mehr lange dauern. Ein paar Tage noch, dann hast du sie wieder."
Ich bin mir nicht sicher, ob mich das freuen oder mit erst recht Angst machen sollte.
„In ein paar Tagen kann er ihr alles mögliche antun. Er kann sie töten." Meine Stimme ist tonlos.
„Vielleicht hättest du nicht kommen sollen. Und morgen solltest du auch nicht kommen."
Diese Worte wecken mich endgültig aus meiner Starre.
„Da liegst du falsch! Ich muss alles wissen! Ich muss es wissen, egal was los ist. Ich brauche sie, Beetee. Ich liebe sie. Ich kann es nicht aushalten, unwissend zu sein. Nichts ist schlimmer als Unwissenheit. Die Angst macht dich fertig, die Sorge bringt dich um. Du willst ihr Gesicht sehen, dich um die kümmern. Du willst ihr helfen, doch weißt du nicht, wie. Du hast solche Angst um sie. Du stellst dir jede Sekunde vor, was Snow ihr antun kann, was er mit ihr machen kann und glaubst, dass du nicht ansatzweise weißt, was sie durchmachen muss. Du glaubst nicht mal annähernd das zu treffen, was Snow für sie ausgedacht hat. Ich muss alles wissen. Es nicht zu wissen macht dich verrückt. Sie ist die Liebe meines Lebens."
Zunächst scheint es, als wolle Beetee etwas erwidern, dann seufzt er und sagt: „Dann muss ich dir etwas zeigen."
Wer dreht sich um, zu dem Bildschirm hin und tippt auf ein paar Tasten.
Zunächst scheint die Szene auf dem Bildschirm vollkommen fremd und nicht interessant. Doch dann merke ich, was dort zu sehen ist. Das Studio, indem Katniss immer interviewt wurde, ist zu sehen. Katniss sitzt auch dem gleichen Holzstuhl wie immer, Caesar neben ihr in dem Sessel.
Ich scheine mich in all der Zeit immer mehr an Katniss' verwundeten Körper gewöhnt zu haben. Der Körper, bei dem man kaum erkennt, dass es Katniss ist. Hier hingegen ist sie fast komplett frei von irgendwelchen Wunden. Ihr Gesicht hat nicht die kleinste Verletzung und ist vom leichtem Make-Up bedeckt. Sie weint. Ihre Haare sind zu einem schönen, kleinen Dutt am Kopf gemacht. Ihr Körper ist rot und voller Branntwunden, die vergeblich versucht wurden zu überschminken. Katniss trägt ein Kleid in einer weinroten Farbe. Kleine, goldene Stickereien mit Dingen aus der Natur bedecken das schöne Kleid. Blumen. Vögel. Bäume. Und noch etwas, dass ich nicht erkennen kann. Dieses Kleid endet ungefähr mittig des Unterschenkels und fällt weit. Es hat einen spitzen Ausschnitt und ist frei von Ärmeln.
Katniss sieht Caesae an, der gelassen aussieht.
„Guten Abend, meine lieben Zuschauer! In den vergangenen Wochen ist sehr viel passiert. Doch wie sollen wir diese Geschehnisse verstehen, wenn wir das Ereigniss nicht verstehen, durch das alles anfing? Genau aus diesem Grund haben wir wieder eine ganz spezielle Person zu Gast! Willkommen, Katniss!", sagt Caesar sogar sehr fröhlich. „Nun, Katniss. Erzähl uns doch von dem letzten Tag in der Arena. Erkläre uns, warum du den Pfeil ins Kraftfeld abgeschossen hast. Erkläre uns, was damals wirklich geschah."
Ungläubig sehe ich den Bildschirm an. Es kann nicht sein, dass diese Aufnahme erst vor kurzem entstand. Sie muss älter sein, doch habe ich sie noch nie gesehen.
„Ich ... kann mich selbst kaum erinnern ... Alles ist ... wirr ... unecht ... als wäre es bloß ein Traum ... ich weiß nicht, wie ich das erklären kann ...", antwortet Katniss leise, ihre Stimme noch so klar wie früher. So klar wie lange nicht mehr.
„Wegen des Schlags auf deinen Kopf?", bohrt Caesar nach.
„Nicht nur ... es ist schwer zu erklären ... es ging einfach plötzlich alles drunter und drüber ... es ging alles so schnell ... es blieb keine Zeit, nachzudenken.", erklärt Katniss. Ich habe diesen Moment vor meinen Augen, als ich ihre Stimme hörte. Damals wollte ich sie lebend aus der Arena bekommen. Hätte ich nur gewusst, dass tot die bessere Alternative gewesen wäre.
„Wissen Sie, was ich meine?"
„Ich denke, schon.", antwortet Caesar.
„Das kommt alles zusammen. Ich erinnere mich nur noch an wenige Bruchstücke, doch ich kann nicht sagen, ob es wirklich so geschehen ist.", meint Katniss.
„Woran kannst du dich noch erinnern?", fragt Caesar hochinteressiert.
Katniss überlegt. Man kann sehen, wie sehr sie sich anstrengen muss.
„Ich habe mit Johanna den Draht ausgerollt. Sie hat mich angegriffen. Die Kanone hat geknallt. Ich stand am Baum und da waren Finnick und Enobaria. Peeta hat nach mir gerufen. Das Kraftfeld flog in die Luft. Alles durcheinander. Ich weiß nicht, was zuerst geschehen ist.", flüstert Katniss leise und flussartig.
„Doch warum hast du den Pfeil abgeschossen? Was ist da passiert?", bohrt Caesar weiter.
„Ich weiß es nicht. Es gab keine Zeit, nachzudenken, wie bereits gesagt. Es war alles bloß Impuls, was da passiert ist. So funktionieren die Hungerspiele nunmal. Wer keinen guten Impuls hat, überlebt den ersten Tag nicht."
Impuls. So hat sie sich in diese Lage gebracht. So habe ich sie in diese Lage gebracht. Als erstes entscheidet immer der Impuls.
„Danke, Katniss. Das war sehr interessant. Damit können wir das für heute beenden. Vielen Dank und bis zum nächsten mal!", ruft Caesar und das Bild wird schwarz.

Na, habt ihr keine Ideen, wie es weiter gehen könnte?

Pausiert gefangener SpotttölpelWhere stories live. Discover now