Kapitel 3: Peeta?

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„WAS WEISST DU ÜBER DIE REBELLEN? WO SIND SIE? WAS SIND IHRE PLÄNE?", schreit mich der Friedenswächter an.
Ich schluchze: „Bitte! Ich weiß gar nichts!"
„Falsche Antwort!", sagt er und der Schmerz der Peitschen breitet sich über meinen Rücken aus. Mein Rücken ist zu schwach um den schwarzen Leder stand zuhalten. Wann werde ich endlich gehen dürfen? Wann kommt Peeta endlich her? Wann kommt mir endlich jemand zur Hilfe?
„Sag uns die Wahrheit! Was weißt du?", fragt er erneut.
Werden sie je begreifen, dass ich keine Ahnung habe?
„Ich wurde nicht eingeweiht! Sie haben mir...", versuche ich zu erklären, doch der erneute Schmerz lässt mich laut aufschreien. Da meldet sich Snow zu Wort.
„Das reicht für heute. Bringt sie rauf!", sagt er kalt.
Schwach schaue ich ihn an, während die Friedenswächter mich fesseln, bis sie meine Augen verbinden. Erneut ein Interview? Oder hat er etwas schlimmeres mit mir vor? Ich halte nicht mehr durch. Ich bin zu schwach. Mein ganzer Körper schmerzt und ist verwundet. Wie soll ich das nur überleben? Ich will nicht mehr! Peeta, ich brauche dich!
Doch, ich. Ich brauche dich. Damals wusste ich nicht, wie sehr dies wahr sein könnte. Ich habe die Wahrheit gesagt, doch im Vergleich wie sehr ich ihn jetzt brauche, war das eine Lüge. Ich muss mich darauf einstellen, dass ich in nie wieder sehe.
Mittlerweile habe die Friedenswächter meinen zerschundenen Körper nach oben gebracht und öffnen eine Tür. Es ist muxmäuschenstill in dem Raum und die Friedenswächter lassen mich fallen und ich höre, wie sie den Raum verlassen. Wo bin ich? Was wollen sie von mir?
Ich höre etwas. Der Atem von jemandem. Ich spüre die Fesseln, die von meinen Wunden genommen werden, und ich spüre, dass ich Augenbinde und Klebeband entfernt werden. Ich war so lange in der Dunkelheit, in der Snow mich gesteckt hat, dass ich meine Augen zukneifen muss. Das grelle Licht und die weiße Farbe brennt in meinen Augen. Doch ich kenne diesen Raum. Hier bin ich nicht zum ersten Mal, auch nicht zum zweiten. Zum dritten Mal bin ich hier.
Das ist das Badezimmer, indem ich immer für die Interviews fertig gemacht werde.
„Cinna?", frage ich und schaue hinter mir. Er geht gerade zu dem Kleiderhaken und nimmt das Kleid. Außer uns ist niemand hier.
Nicht noch ein Interview, indem ich für Snow lügen muss! Ich will das nicht! Ich kann das nicht!
„Alles wird gut, Katniss.", murmelt Cinna in Gedanken, passiv, als ob er gar nicht anwesend wäre. Er nimmt das Kleid und kommt wieder auf mich zu. Ich sehe in seine Augen und sehe seinen glasigen Blick darin. Was ist mit ihm geschehen?
Ich starre ihn an, während er mich mit leeren Blick fertig macht. Er schminkt mich und zieht mir das Kleid an. Er redet nicht und ich auch nicht.
Er sieht noch genauso aus, wie vorher, nur seine Augen stören mich. Er scheint überhaupt nicht anwesend zu sein, nur körperlich hier zu sein. Was hat er?
Es dauert nicht lange und ich bin fertig geschminkt und angezogen. Ich blicke in den Spiegel:
Meine Haare, vor kurzem nur bis zur Hälfte abgebrannt, sind jetzt nur noch kleine Stoppeln auf meinen Kopf, aus denen Cinna keine anständige Frisur hinbekommen kann. Schon letztes Mal war mein ganzer Körper ist mit Branntwunden übersehen, nur mein Gesicht wurde verschont, doch heute haben sich diese Branntwunden verdoppelt und sind mit verschiedenen anderen Wunden ergänzt.
Das Kleid ist weiß wie Schnee und lässt die blutigen Wunden, die mit noch so viel Make-Up nicht überdeckt werden können, noch mehr herausstechen. Das Kleid ist wie ein Sommerkleid geschnitten und endet an den Knien, locker, aber nicht weit, um die Beine spielend. Es hat keinen Ausschnitt, die Schultern sind ganz frei, genau wie die Arme. Das Kleid hat ein Muster, das komplett aus dem Logo des Kapitols besteht. Ganz klein und in unregelmäßigen Abständen ist das goldene Symbol auf dem ganzen Kleid verteilt.
Wollen sie mif jedem neuen Interview es für die Zuschauer noch deutlich machen, dass ich gefoltert werde? Wollen sie damit den Distrikten Angst machen? Was für Gedanken stecken dahinter, die Kleider immer kürzer zu machen?
Dann kommt mir ein furchtbarer Gedanke: Vielleicht erpressen sie so Peeta? Er ist frei, doch er wird immer nur an mich denken. Wird er es überhaupt wagen, etwas zu tun, was der Rebellion helfen könnte? Vielleicht, wenn die Rebellen ihm weiß machen, es könnte mir doch helfen, aber wahrscheinlich eher nicht. Doch wenn er es doch macht, denkt er vielleicht, Snow foltert mich deswegen. Und diese immer kürzer werdenden Kleider würden ihn in den glauben bestärken. Wie soll ich ihm sagen, dass er den Rebellen helfen soll? Dass er weiter machen soll?
Ich spüre, wie ich auf einen Stuhl gesetzt werde und sehe mich um. Ich habe gar nicht bemerkt, dass ich von den Friedenswächtern weggebracht worden bin. Ich bin in dem selben Studio, in dem ich immer die Interviews hatte. Caesar sitzt schon auf seinem Sessel.
„Hallo, Katniss! Bist du bereit fürs Interview? Wir fangen gleich an.", sagt er. Ich nicke bloß. Immer wieder diese Interviews. Was sollen sie bringen?
„Aufnahme in drei, zwei, eins...", schallt es durch den Raum.
„Guten Abend, liebe Zuschauer! Heute haben wir wieder unsere reizende Katniss Everdeen zu Gast. Herzlich Willkommen!", ruft Caesar.
Ich sage nichts, ich bleibe stumm und starre auf den Bildschirm vor mir.
„Nun, Katniss. Der Krieg ist ja im vollen Gange und hat schon viele Opfer gefordert. Was hältst du davon?", fragt Caesar.
Ich atme tief ein und hebe zu einer Antwort an, als ich sehe, dass ich gar nicht mehr auf dem Bildschirm zu sehen bin.
„Peeta?", keuche ich.
Peeta steht mit einem schwarzen Kostüm, der einem Spotttölpel erstaunlich ähnlich sieht, mit einer Flagge in der Hand. Um ihn herum liegen Tote und Schutt und es raucht. An seiner Brust hängt meine Spotttölpel-Brosche. Ich dachte, die hätte ich getragen, als ich ins Hovercraft gehoben wurde. Ich dachte, Snow hätte sie mir abgenommen. Wie ist sie zu Peeta gekommen? Wie hat er sie in die Hände bekommen? Er blickt direkt zur Kamera und sagt in einen wütenden Ton: „Volk von Panem, wir kämpfen, wir wagen, wir wollen endlich Gerechtigkeit!"
Dann ist er verschwunden.
„Nein! Peeta! Peeta, bitte!", schreie ich. Es kommt mir so vor, als würde ich ihn wahrhaftig verlieren. Als würde er verschwinden. Als wäre das mein letzter Augenblick mit ihm.
Schon ist er wieder auf dem Bildschirm. Wieder in dem gleichen Kostüm, wieder mit der Brosche an der Brust, nur diesmal schimmert auch etwas goldenes um seinen Hals. Trägt er das Medaillon. Er schaut in meine Augen. Im Hintergrund ist der Strand aus der Arena zu sehen. Einer unserer letzten Küsse haben wir dort getauscht. Peeta ist im Kapitol, aber er ist nicht in Snows Händen. Wie ist das nur möglich?
„Katniss, ich liebe dich! Wir werden das Kapitol stürzen, für dich, für Annie, für uns alle!"
Wieder ist er weg.
„Peeta! PEETA! Ich liebe dich auch! Bitte, geh nicht!", schreie ich wieder.
Er steht vor einem verkohlten Haufen. Eine Art verschmorter Haufen aus Ziegeln.
„Volk von Panem! Ich bin in Distrikt 12 ... oder das, was nach den Branntbomben davon übrig ist. Sie haben unseren Heimatdistrikt zerstört, wie ihr alle gesehen habt. Wir dürfen das nicht ungestraft lassen!", ruft Peeta in die Kamera. Und wieder bin ich auf dem Bildschirm zu sehen. Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich aufgestanden bin.
„Peeta?", flüstere ich.
„Katniss? Was hältst du vom Krieg?", wiederholt Caesar, als ob nichts gewesen wäre. Bilde ich es mir nur ein? Ist das ganze nicht real? Halluziniere ich? Werde ich verrückt?
Peeta ist wieder da und es sieht noch genauso wie vorher aus.
„Wir sind ein Volk, wir alle! Jeder von uns, überall in Panem sind wir alle dasselbe. Menschen. Ob in Distrikt 2, in 5 oder 13. Selbst im Kapitol.", sagt er.
Und wieder sehe ich nur mich. Ich zerre gegen die Fesseln an meinen Füßen, versuche auf den Bildschirm zu zu laufen. Doch ich schaffe es nicht, ich rühre mich nicht.
Wieder taucht Peeta auf.
„Sollten wir dann nicht alle gleichwertig sein? Sollten wir dann nicht gleichberechtigt sein? Die momentane Situation ist falsch. Unser Geburtsort sollte nicht darüber entscheiden, ob wir unser ganzes Leben lang um unser Überleben und das unserer Familien kämpfen, oder verwöhnt im Kapitol hocken mit mehr Kleidung, als wir in unserem Leben tragen können, mit mehr..."
Mitten im Satz stoppt die Übertragung.
„PEEEEEEETAAAA!", brülle ich den Bildschirm an. Und schon taucht er wieder auf.
„...Essen, als wir essen können, mit mehr Luxus, als wir gebrauchen können, während andere für deren Herstellung sterben! Mit der Rebellion gehört Hunger der Vergangenheit an! Mit der Rebellion gehören Ungerechtigkeiten der Vergangenheit an! Mit der Rebellion gehören Todesstrafen der Vergangenheit an! Niemand sollte entscheiden, wer das Leben und wer den Tod verdient hat! Wir sind ein Volk und wir wollen Gerechtigkeit!"
Peeta verschwindet vom Bildschirm, aber dafür tauche ich nicht auf. Der Bildschirm scheint Feuer zu fangen und dann taucht meine Brosche auf. Der Bildschirm wird schwarz und in großen, rot leuchtenden Buchstaben leuchten die Worte auf:
„WIR SIND EIN VOLK UND WIR WOLLEN GERECHTIGKEIT!"
Die Buchstaben fangen feuer, leuchten immer greller, der Bildschirm fängt dann auch Feuer und alles verbrennt. Dann sehe ich mich. Eie ich mich für Prim freiwillig melde.
„Peeta?", frage ich verwirrt. Da stimmt was nicht. Warum bin ich dort zu sehen? Ist das echt? Eine Halluzination?
Peeta ist wieder da und es wirkt fast so, als würde er durch die Kamera und durch den Bildschirm dirikt auf mich blicken, dirikt in meine tränennassen Augen. Sein Blick fesselt mich mehr als alle Ketten des Kapitols. Ich bin wie beteubt, unbeweglich und stumm. Ich starre in seine blauen Augen, so weich und sanft und zart. Immer mit einem freundlichen Funke darin. Heute fehlt dieser Funke. Stattdessen ist Trauer, Angst und Sorge in seinen Blick eingegraben und lässt ihn wie einen komplett gebrochenen, deutlich älteren Mann wirken. Das ganze lässt ihn gefährlich wirken. Beim Jubel-Jubiläum hat kein Make-Up ihn gefährlich wirken lassen. Jetzt wirkt er gefährlich, tödlich. Als würde ihn nichts stoppen können, sein Ziel zu erreichen. Er wirkt wie Gale, wenn dieser über das Kapitol gebrüllt hat, im Wald. Ernst, gefährlich, tödlich, wild, klug, schnell, mutig. Wie ist das aus Peeta geworden? Dieser ehemals so sanfte Junge ist zu einem gebrochenen Mann geworden.
„Katniss, ... Das hier war dein Zuhause. Jetzt ist nichts mehr davon übrig. Gale hat deine Familie gerade noch daraus geholt, doch es war knapp. Meine Familie ... meine Familie ist tot. Sie haben es nicht mehr geschafft."
Eine große Träne bildet sich und rollt seine Wange herunter. Selbst mit der Träne wirkt er nicht mehr schwach. Trotz der Träne wirkt er immer noch stark, ernst, gefährlich, ...
Katniss, ... Das hier war dein Zuhause. Der Haufen Schutt ist der Ofen vo meinem Haus im Saum. Das war mein Zuhause. Es wurde abgebrannt.
„Snow hat alles zerstört, er zerstört Leben. Er verletzt jeden. Und du willst ihn einfach so davon kommen lassen?"
Das Bild wird schwarz. Ich sehe Peeta. Er steht in einem anderen Haufen Schutt und Asche, ein geschmolzener Metallofen und viel Zerstörtes darum herum. Es sieht aus,als wäre das die zerstörte Bäckerei in der Stadt von Distrikt 12. Ich sehe den Ofen, die letzten Überreste, die von Peetas Leben vor den Spielen noch übrig zu sein scheinen. Des Lebens seiner Familie. Seiner toten Familie. Alles ist zerstört, nichts ist noch heile in ganz Distrikt 12. So habe ich es mir nicht vorstellen können. Er schaut nicht in die Kamera, sondern auf den Boden. Wieder steigen Tränen in sein bereits tränennasses Gesicht. So steht er noch eine Weile da und schaut sich den Schrott auf den Boden an, bovor er sich bückt und den Schutt durchwühlt. Er sucht nach Dingen, die das Feuer vielleicht doch überlebt haben. Doch nichts scheint er zu finden. Immer mehr Tränen sammeln sich in seinen Augen. Ich würde das nicht ertragen, den Anblick meiner Vergangenheit, den Anblick des Lebens meiner Familie. Er dreht sich zur Kamera um. Er schaut direkt in die Kamera, bis der Bildschirm dunkel wird. Und dann ist es wieder wie vorher, er ist wieder vor meinen zerstörten Haus.
„Gerade du solltest ihn für alles bezahlen lassen wollen. Jeder in Panem hat einen Grund, ihn zu hassen. Du erst recht! Katniss, du kannst ihm nicht vertrauen! Hör auf, für ihn zu lügen."
Peeta macht eine kurze Pause und geht einen Schritt auf die Kamera zu. Dann sagt er laut und deutlich: „Katniss, vergiss nicht, wer der wahre Feind ist. Vergiss nicht, wer dir all das antut. Vergiss nicht, ich liebe dich!"
Er bleibt noch ein paar Sekunden stehen, bevor er ausgeblendet wird.
Ich starre, noch immer erstarrt, auf den Bildschirm. Ich spüre die Tränen in meinen Augen und langsam kommt das Gefühl in meinem Körper wieder.
Ich falle auf die Knie und schlinge die Arme um meinen Körper. Ich lege mein Gesicht hinein. Ich schluchze.
„Peeta... Oh, Peeta! ... Ich vermisse dich!", schluchze ich. Ich möchte ihn wieder sehen. Ich möchte Prim wieder sehen. Ich möchte meine Mutter wieder sehen. Und Gale. Und Rory, Posy, Vick und deren Mutter. Ich will Madge wieder sehen. Ich möchte alle wieder sehen. Ich möchte hier raus! Ich möchte alles wieder auf Anfang! Ich will nach Hause! Aber mein Zuhause ist zerstört, nur noch ein Haufen Schutt und Asche und der verkohlte Ofen. Ich kann nie wieder nach Hause.
„Ich vermisse euch alle!", schreie ich verzweifelt.
Mein Leben wurde zerstört. Alles, was ich hatte, wurde zerstört.
„Katniss? Alles wird gut, Katniss!", höre ich wieder Peetas Stimme und ich hebe meinen Blick. Er ist wieder auf dem Bildschirm zu sehen.
„Peeta? ... Peeta. Peeta!", flüstere ich und rufe ich abwechselnd. Er starrt mich direkt an, schaut auf mich herunter. Er trägt ein graues Oberteil, an der meine Brosche hängt.
„Katniss, ich verspreche dir, alles wird gut.", sprach er.
„Peeta, bist du das wirklich? Kannst du mich hören und sehen?", frage ich, noch immer weinend. Ich kann nicht glauben, dass er wirklich zu mir spricht.
Ich spüre Hände, die mich an den Armen packen.
„Peeta!", schreie ich, während ich spüre, wie die Fesseln von meinen Füßen entfernt werden. „Peeta! PEETA!"
Die Friedenswächter zerren mich weg und ich versuche, mich dagegen zu wehren. Ich habe keine Chance gegen sie, doch kann ich es nicht lassen. Ich kann jetzt nicht aufhören, mit ihm zu sprechen!
„Katniss! KATNISS!", ruft Peeta mir zu.
„PEETA! BITTE, PEETA!", brülle ich. „PEEEEEEETAAAA!!"
Die Friedenswächter haben mich schon fast komplett weggezogen. Doch ich kämpfe weiter, ich will nicht gehen!
„Katniss, ich verspreche dir, wir werden uns wieder sehen! Ich verspreche es! KATNISS!", schreit Peeta.
„PEETA!", rufe ich und schon bin ich aus dem Raum und kann ihn nicht mehr sehen.
Es ist, als würde mein Herz brechen. Ich spüre die Angst in mir. Das war vielleicht meine letzte Chance, mit Peeta zu sprechen. Meine vielleicht letzte Chance, mit meinen Liebsten zu sprechen. Und Snow hat auch das verhindert. Ich kann das alles nicht mehr!

Pausiert gefangener SpotttölpelOù les histoires vivent. Découvrez maintenant