43. Thoughts

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I feel loved when I see your face

But all these scars, I can't replace

- Little Mix, >Towers<

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Zum bestimmt sechsten Mal schob ich das alte Hemd, in dem ich schlief, hoch und betrachtete meinen Bauch im Spiegel. Dort war bereits eine kleine Wölbung, allerdings war ich schon seit Calebs Geburt nie wirklich schlank gewesen. Normalerweise sah ich nach jeder Mahlzeit aus, als wäre ich im dritten Monat schwanger. Ich fand es erschreckend, dass ich es erst jetzt – im zweiten Monat – herausgefunden hatte. Was hatte mich so lange gebraucht? Ich hatte meine morgendliche Übelkeit erst spät bekommen, vielleicht lag es daran. Nach dem Telefonat mit Louis hatte ich meine Kinder abgeholt und diese ziemlich bald dann auch ins Bett gebracht. Ich hatte das Gefühl, ich würde sie immer weniger sehen. Sicher bildete ich mir das nur ein, aber wenn das Baby erst geboren sein würde, würde ich noch weniger Zeit mit den Kleinen verbringen können. Ein weiteres Baby würde so viel Arbeit schaffen. Mittlerweile war es eine Stunde nach Mitternacht und ich wanderte immer noch in der Wohnung hin und her, da ich nicht schlafen konnte. Meine Gedanken hielten mich wach. Ich legte mich in mein Bett und kuschelte mich unter meine Bettdecke. Seufzend betrachtete ich das Babyfon auf meinem Nachttisch. Noch hörte ich nur Zoes gleichmäßigen Atem. Bald wäre da noch ein Babyfon. Und ich konnte mich einfach noch nicht darüber freuen. Also tat ich das, was ich in solchen Situationen oft unbewusst machte. Eine Pro- und Kontraliste. Kontra: ein Baby war Arbeit, ein Baby kostete Geld, ich bräuchte eine größere Wohnung, neue Kleidung für das Kind und mich eventuell, ein Kind war nichts kurzzeitiges, ich würde es mein ganzes Leben lang 'an der Backe' haben. Kinder kosteten Zeit und jetzt – wo ich quasi in der Öffentlichkeit stand – würden sie unter einem gewissen Druck stehen. Pro: ... es war ein Baby. Babys waren unter Umständen extrem süß. Ich könnte zusehen, wie ein weiteres kleines Lebewesen beginnt zu laufen, zu sprechen, zu leben. Im Moment lebte in mir ein kleines Wesen mit schnellem Herzschlag, dass keine Ahnung hatte, in was für eine verwirrte Welt es gelangen würde. Eine Welt, in der man für alles verurteilt wurde. Welche Musik man hörte, welche Kleidung man trug, wen man liebte. Alles spielte eine Rolle für die Gesellschaft – ob sie es nun zugab oder nicht.

„ So eine Sch ... - so ein Mist." fluchte ich und drehte mich auf den Rücken. Ohne es wirklich zu merken wanderten meine Hände mal wieder zu meinem Bauch. Ich mochte die Welt nicht, in der meine Kinder und mein zukünftiges Baby aufwachsen würden. Ich mochte die Welt nicht, in der ich aufgewachsen war. Ich würde die Qual des Erwachsenwerdens meinen Kindern so gern ersparen. Ich wünschte, sie würden immer klein bleiben. Immer so fröhlich, leichtgläubig und ... jung. Der Gedanke daran, dass meine Kinder erwachsen werden würden, jagte mir Tränen in die Augen. Sie würden mit dem selben Mist klarkommen müssen wie ich. Dem Geld, das man nie genug hatte, die zeit, die man nie genug hatte und die Liebe, die man immer falsch verteilte. Es war schon ziemlich lange her, dass ich mitten in der Nacht in meinem Bett lag und Tränen vergaß aus so einem blöden Grund. Außerdem hatte ich in den letzten tagen viel zu oft geweint. Aber zumindest konnte ich dies jetzt auf meine Hormone schieben. Es war etwa zwei Uhr nachts, als ich endlich einschlief. Jedoch wurde ich zehn Minuten später wieder geweckt, da jemand ein Sturmklingeln veranstaltete. Grummelnd erhob ich mich aus meinem Bett und schlurfte in Richtung Wohnungstür.

„ Mummy? Wer ist das?" ertönte Calebs leise Stimme. Er stand im Türrahmen seines Zimmer und rieb sich gähnend seine Augen.

„ Ich weiß es nicht, Honey." Ich drückte auf den Summer und öffnete die Tür ein winziges Stück, damit ich hinaus spähen konnte. Endlich hörte das Dauerklingeln auf und man hörte Schritte, die die Treppe hoch eilten. Kaum erblickte ich den brünetten Schopf, runzelte ich meine Stirn und öffnete die Tür etwas mehr.

Blueberry Blue » l.t.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt