32. Mum

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Though you give me no reason

For me to stay close to you

- Calvin Harris, >Outside<

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Ich schenkte meiner Tochter ein erschöpftes Lächeln und strich ihr ein paar Haare aus der Stirn, nachdem wir endlich aus den Eingangstüren des Brixton Management getreten waren. Für Mitte Juni wurde es langsam immer wärmer und ich konnte den Herbst schon kaum erwarten, obwohl der Sommer noch nicht mal ganz begonnen hatte. Klar liebte ich die Sonne und das Eisessen gehen und so weiter, aber da ich sowieso die meiste Zeit in einem Büro saß, dessen Klimaanlage drei von fünf Tagen in der Woche nicht funktionierte, konnte ich es nicht wirklich genießen. Desto erleichterter war ich, wenn ich endlich Feierabend hatte und den mit meinen Kindern verbringen konnte. Oder wie heute, mit Alex und Jared. Wir wollten alle gemeinsam mit den Kindern ins Kino gehen. Den Titel von dem Film hatte ich schon längst vergessen, doch es ging mir hauptsächlich darum mit meiner besten Freundin Zeit zu verbringen. Meine Pläne wurden jedoch wenige Sekunden später zerstört von einer unerwarteten SMS.

Mum: Lilo? Komm bitte ganz schnell.

Ich: Was ist denn los?

Mum: Komm einfach bitte.

Ich: Nach Nottingham?

Mum: Ja, bitte beeile dich.

Ich: Sag mir bitte, was los ist

Mum: Komm jetzt bitte, es ist dringend.

Ich: Wie dringend?

Mum: DRINGEND.

Ich: Auf einer Skala von eins bis zehn?

Mum: Werd ja nicht frech, junge Dame.

Ich: Ich bin nicht frech, ich will nur Klarheit.

Mum: Lilo. Ich als deine Mutter bitte dich, steig in dein Auto und fahr zu mir. Bitte.

Ich: Okay, ich komme. Soll ich Lola Bescheid sagen?

Mum: Nein.

Seufzend packte ich mein Handy ein und eilte zu meinem Auto. Ich hatte echt keine Ahnung, was hier vor sich ging, aber langsam machte ich mir Sorgen. Meine Mum hatte noch nie so gebettelt. Schon gar nicht, wenn es darum ging mich zu sehen. Also setzte ich mich und Zoe ins Auto, schaltete mein Navi an und rief Alex an, um sie zu beten Caleb für mich mit abzuholen. Außerdem entschuldigte ich mich tausendmal, dass unser Treffen heute wahrscheinlich nicht klappen würde. So lange wie ich jetzt fahren würde ... Am liebsten würde ich ja gerne in London bleiben, aber wenn wirklich etwas mit Mum wäre ... Meine Laune war heute sowieso nicht die beste und ich wusste, dass Mum es nur schlimmer machen konnte. Ich konnte mich nicht mal daran erinnern, wann ich das letzte mal mit ihr gesprochen hatte. War es an Weihnachten gewesen? Nein, sie hatte im März Geburtstag, da hatte ich sie auch angerufen. Gesehen hatte ich sie jedoch seit Weihnachten nicht mehr. Für mich war das nichts schlimmes. Ihre Gegenwart trieb mich in den Wahnsinn und ich wusste, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte. Ich war mit Mum nun auf dem Kriegsfuß seit ich ... seit ein paar Jahren. Obwohl eigentlich schon immer. Die Fahrt schien mir schier endlos zu sein und als ich dann auch noch eine halbe Stunde im Stau stand, war ich kurz davor durchzudrehen. Zoe war noch in London eingeschlafen, weshalb ich nicht mal ihre Gesellschaft hatte - darüber hinaus wurmte es mich, dass sie nachts nicht mehr schlafen würde. Nach knappen drei Stunden Fahrt entdeckte ich schließlich das Ortsschild von Nottingham und konnte mir ein erleichtertes Seufzen nicht verkneifen. Da ich den Weg nun kannte, schaltete ich das Navi aus und klemmte mir mein Handy zwischen Schulter und Ohr, nachdem ich die Nummer meiner Mutter ausgewählt hatte. Ich konnte nur hoffen, dass mich die Polizei nun nicht erwischte.

Blueberry Blue » l.t.Where stories live. Discover now