Kapitel 36: Die Rückkehr

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Tiefe Dunkelheit hüllte uns ein und mein Arm krampfte bereits vom Halten der Taschenlampen. Harriet hatte mir zwei starke Lampen in die Hand gedrückt und mir brühwarm erklärt, dass wir keine Scheinwerfer besaßen. So hielt ich bereits seit Stunden die Lichter vor das Auto, um die zerfallene Straße noch erkennen zu können. Schon vor ein paar Minuten hatte die ebene Fläche in Hügel gewechselt und nun erklommen wir eine steile Straße in Richtung Gipfel. "Gleich sind wir da", versicherte mir Harriet, als wir ein altes Schild passierten und ich spürte Aufregung in meinem Magen rumoren. Warteten die Lichter auf meine Rückkehr? Waren sie erleichtert, mich wiederzusehen? Enttäuscht, dass ich mich erneut selbstständig gemacht hatte? Plötzlich fuhr Harriet von der Straße ab und stoppte den Motor. "Mach die Lichter aus!", zischte sie und ich tat, was sie sagte. "Ducken" So kroch ich in den Fußraum und warf einen irritierten Blick in ihre Richtung. "Was ist?", flüsterte ich und sie zog den Kopf ein. "Hörst du nicht die Motorengeräusche?!" So verstummte ich und lauschte in die Ferne. Sie hatte Recht. Aus nicht allzu weiter Entfernung erklangen Motoren, die langsam näher kamen. "Shit" Wir wussten nicht, ob diese Geräusche von unseren Leuten kamen - oder nicht. Was, wenn es Soldaten waren? WCKD? Ich war selbst überrascht, doch ich spürte keine Panik mehr. Nur noch Ungeduld. Ich war zu erschöpft, um an irgendetwas anderes als meine Freunde zu denken und daran, dass sie nur noch wenige Meter entfernt waren. "Hey! Halt an! Anhalten", erschallte plötzlich eine grobe, männliche Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkam. "Dieses Auto war heute morgen noch nicht hier" Der Motor verstummte, Autotüren öffneten sich. Ich blickte hinüber zu Harriet, die nun lautlos nach ihrer kleinen Pistole auf dem Sitz griff. Ich war unbewaffnet, meine Gewehre und Messer lagen auf dem Rücksitz. Schritte knirschten im Sand und kamen näher. Jetzt klopfte jemand auf die Motorhaube und eine zweite Stimme erklang. "Der ist noch warm. Sie können nicht weit sein. Ey du- check das Auto", erklang erneut die bekannte, männliche Stimme. Schritte kamen näher und Harriets Tür wurde aufgezogen. Sofort sprang das Mädchen auf und richtete ihre Pistole auf - "Jorge?!", rief ich laut und kroch unter dem Sitz hervor. "Y/n, Harriet! Was zur Hölle tut ihr hier draußen?", fragte der große Mann und streckte die Hand aus, um mir aus dem Auto zu helfen. Ich nahm die Geste erleichtert lächelnd an und beobachtete, wie Harriet sich mit einem zweiten, jüngeren Mann abschlug.

Wir waren in Sicherheit.

"Wir hatten was zu tun. Aber ihr habt uns nicht allzu sehr vermisst, oder?", grinste ich frech und Jorge öffnete die Tür eines geräumigen Jeeps. "Ach deine kleinen Freunde schon. Und Vince hat nach dir suchen lassen. Nach euch", fügte er mit einem ernsten Blick auf Harriet zu, die nur mit den Schultern zuckte und sich auf der Rückbank neben mir niederließ. "Jetzt hat er uns ja gefunden"

Wir fuhren nur wenige Minuten bis zum Stützpunkt des rechten Arms und als wir dort aus den Autos sprangen, war ich geschockt. Das noch von den Angriffen WCKDs verwüstete Lager hatte sich nur spärlich wieder aufgebaut, Berge aus Trümmern, verkohltem Stoff und verbranntem Material türmten sich a den Gipfeln auf. Rauch vermischte sich mit der klirrend kalten Luft, peitschender Wind trug den schwachen Geruch von Essen mit sich. Manche Zelte waren wieder aufgebaut oder von den Gewehren und Bomben verschont worden. Ich atmete die schneidend kalte Luft ein und spürte ein Stechen in der Lunge. Langsam lief ich mit Harriet den Hang hinunter, eskortiert von Rebellen. "Ich melde uns bei Vince an", sprach Harriet mit einem Blick auf mich und kurz hielten wir vor einem Zelt inne. "Hey. Du hast das Richtige getan, auch wenn's eine Falle war" Ihre Hand griff mich an der Schulter und schüttelte mich kaum merklich, als wolle sie den Worten ihrer Besitzerin Ausdruck verleihen. Überrascht blickte ich zu Harriet hinauf und entdeckte ein Lächeln auf ihrem noch immer verstaubten Gesicht. "Er hat es verdient, Frischling" Mit diesen Worten drehte sie sich herum und verschwand mit den Rebellen hinter einem der wenigen Zelte. Ich stand selbst noch kurz da, blickte den Silhouetten hinterher und holte ein paar Mal tief Luft, um die Tränen zu verdrängen. Wenn ich nun durch dieses Zelt trat, würde ich Minho nicht finden. Er war nicht hier, er war weit weg an einem unbekannten Ort und wurde in vermutlich diesen Sekunden gefoltert. Mein Herz klopfte panisch bei dem Gedanken daran, dass er womöglich starke Schmerzen empfand und es nichts gab, was ich dagegen tun konnte. Leise trat ich durch den Vorhang und war überrascht, die Betten meiner Freunde leer vorzufinden. Nur ein paar fremde Jugendliche schliefen auf ausklappbaren Matratzen, ihre Bäuche hoben und senkten sich leicht. Wo waren die Lichter? Thomas, Pfanne und Newt konnten doch nicht weit sein... Langsam drehte ich mich wieder herum und folgte leisen, vertrauten Stimmen durch die Dunkelheit. War das Pfanne? Immer weiter trugen mich meine Füße über den unerkenntlichen Boden. Mein Herz klopfte in freudiger Erwartung auf die Gesichter meiner Freunde. Thomas, Pfannes und Newts Silhouetten standen neben mehreren Jugendlichen vor einem Feuer und ihre Stimmen waren gesenkt. Als ich näher kam, bemerkte ich sofort den genervten Unterton in Newts Stimme. "Wir wissen doch nicht einmal, seit wann sie weg sind!" "Richtig, Kleiner. Aber wir wissen, wo wir weitersuchen. Morgen früh bei Sonnenaufgang-", begann eine tiefe, erwachsene Stimme, doch wurde sogleich unterbrochen. "Das ist zu spät! Was, wenn sie sich über Nacht verirren?", sagte Thomas nun laut und Jorge schüttelte den Kopf. "Du willst nachts da raus? Du unterzeichnest dein eigenes Todesurteil!" Thomas verweilte kurz in Stille und hob dann wieder den Kopf. "Ist nicht das erste Mal. Wir werden die Beiden finden" Er klang entschlossen und ich trat zu den Lichtern hinzu. Keiner schien mich zu bemerken. Ich öffnete bereits den Mund, als mir wieder jemand zuvor kam. "Wie konnte sie nur so leichtsinnig sein? Scheint, als hätte sie aus dem ersten Mal nichts gelernt!", knurrte Newt jetzt und ich schluckte. Er war ehrlich sauer. Die Lichter schwiegen, keiner verteidigte mich - und ich wusste, ich hatte gewaltigen Mist gebaut. Schon wieder. "Ich werd nicht den Abend herumstehen, während sie dort draußen ist" Newt fuhr herum - und erstarrte. Er befand sich nur Zentimeter vor mir. Ich blinzelte zu ihm hinauf, während Pfanne und Thomas sich herumdrehten, um ihren Freund zu beschwichtigen. Auch die Beiden warfen mir einen überraschten Blick zu. Newts Augenbrauen zogen sich zusammen, seine Stirn lag in Falten.

Oh oh.

"Wo zur Hölle warst du?!", fragte er laut und ich spürte, wie seine vorherige Panik in Aggressivität umwandelte. "Ich-" "Und warum zur Hölle hast du nichts gesagt?!", unterbrach mich der zweite Anführer sofort wieder. "Ich-" "Warum haust du einfach ab?!", fragte er erneut laut und ich hielt den Mund geschlossen für den Fall, dass er mich erneut unterbrechen würde. Stille herrschte und er blickte mich abwartend mit arbeitenden Kiefermuskeln an. "Also-" "Ist mir auch egal" Mit wütendem Blick schob er sich an mir vorbei und stieß mich unsanft mit der Schulter an. "Newt-", begann ich, doch ohne einen Blick zurück zu werfen verschwand die Silhouette des hübschen Jungen hinter einem der Zelte. Hilfesuchend drehte ich mich zu Thomas und Pfanne. Doch Thomas' Blick war tadelnd, seine Augen musterten mich. Schließlich lief auch er an mir vorbei und verschwand in der Dunkelheit. "Pfanne-" "Y/n. Warum?", unterbrach mich die tiefe Stimme des Lichters und ich richtete mich auf. "Er brauchte Hilfe. Ich konnte nicht zusehen, wie er sich schämt, seine Familie im Stich zu lassen. Ich musste ihm helfen, auch wenn ihr das nicht versteht", erklärte ich wahrheitsgemäß mit scharfer Stimme. Als ich meinen Tonfall bemerkte, sank ich wieder in mich zusammen und wartete nervös auf eine Reaktion. Der sonst so laute und lustige Koch stand eine Weile reglos da, ich spürte seinen Blick in der Dunkelheit auf mir. Ich kaute auf meiner Lippe herum, wissend, dass ich bereits alles gesagt hatte und mich nicht weiter verteidigen konnte. In einer schnellen Bewegung trat Pfanne an mich, schlang seine Arme um meinen Körper und drückte mich fest an sich. Überrascht von dieser Geste erstarrte ich, während sein fremder Geruch mich einhüllte. Er hatte mich noch nie umarmt - das hier war neu. "Wir haben schon Winston und Minho verloren. Noch jemanden zu verlieren - dass schaffen wir nicht", murmelte Pfanne leise in meine Haare und lies mich los. Im schummrigen Licht der Sterne glitzerten seine Augen verdächtig. Rasch wischte er sich mit der Hand übers Gesicht und schniefte leise. Ich war wie gelähmt von seinem plötzlichen Gefühlsausbruch. "Newt hat keine Auge zugetan und alle Suchtrupps angeführt, um dich zu finden. So im Einkaufszentrum - nur viel schlimmer. Er wird das nicht nochmal packen,
Y/n. Er ist schwach, auch wenn er's nicht zeigt. Mag vielleicht der große Macker sein und auf cool tun - aber so hab ich ihn noch nie erlebt. Und ich kenne ihn seit- nun ja- ich denken kann. Du wirst ihn verlieren wenn du nur an dich denkst" Pfanne klopfte mir auf die Schulter und lies mich allein in der Dunkelheit zurück.

Verloren im Feuer Where stories live. Discover now