12: Jorge

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Die Motoren der zwei Jeeps heulten auf und es gab einen Ruck, als sie losfuhren. Zunächst wusste ich nicht, wo sie hier reingekommen waren doch schon passierten wir einen engen Gang. Eine Art riesiges altes Parkhaus, welches noch ziemlich intakt schien, kam im Anschluss und ich blickte an die Wände. Abschnitt 8, Abschnitt 12... Schließlich verließen wir das Zentrum und unruhig starrte ich aus dem verdreckten staubigen Fenster der einzigen Tür neben mir zurück auf das Einkaufszentrum, in dem meine Freunde noch tief und fest schliefen. Wie würden sie sich morgen fühlen, wenn sie mein Verschwinden bemerkten? Würden sie nach mir suchen? Vielleicht fanden sie die Taschenlampe... Und gingen davon aus, das ich von Cranks verschleppt worden war. Würden sie nach mir suchen? Ich schluckte den Klos in meinen Hals hinunter und klammerte mich an den Henkel in der Tür. "Entspann dich. Wir haben Essen und - eine Gemeinschaft", sprach das dunkelhaarige Mädchen vor mir und probierte ein Lächeln, welches ich ebenso kläglich zu erwidern versuchte. Sie hatte ja keine Ahnung von meiner Gemeinschaft. Würde sie es verstehen? Würde sie mich wieder gehen lassen? Weiterhin starrte ich fest hinaus und versuchte, mir im Dunkeln den Weg zurück einzuprägen. Irgendwie kam ich hier schon wieder raus. Niemand sagte ein Wort, während wir durch die sandige Wüste fuhren. Hoch am Himmel schimmerte der fast volle Mond und warf sein silbriges Licht auf das Gesicht des Mädchens. Sie schien glücklich, wie sie so aus dem Fenster blickte und zurückgelehnt auf der Lederbank saß. Ihr roter Pullover war an manchen Stellen zerrissen und ihre Hose sah mitgenommen aus. Langsam lies ich mich in den Sitz sinken und spürte, wie das Adrenalin einer schläfrigen Entspannung wich. Nicht doch. Angestrengt hielt ich die Augen offen bis sie zu tränen begannen und krallte mich an den Ledersitz unter mir. Wenn ich jetzt einschlief, würde ich meine Freunde vielleicht nie wieder sehen. Eine Weile fuhren wir durch die Wüste, Sandwolken stoben im Licht des Jeeps neben uns auf und ich schloss die Augen. Wo war ich hier nur wieder reingeraten?

"Hey" Ich spürte ein Schütteln an meiner Schulter. "Hey!" Nun wurde mein Arm energisch gepackt und irritiert riss ich die Augen auf. Hatte Newt Cranks gesehen? Ich blickte in das fremde Gesicht eines Mädchens und sofort brachen die Erinnerungen an die vergangenen Stunden wie tosende Wellen über mir zusammen. Meine Schultern sanken und ich spürte erneute Panik aufwallen. Das hier musste ich allein schaffen - ohne die Lichter. "Steh schon auf!" Das Mädchen riss mich aus der offenen Tür und noch leicht schlaftrunken sprang ich auf dreckigen Betonboden. Während ich weitergezogen wurde, blickte ich mich erstaunt um. Ich befand mich in einer Art riesiger Fabrikhalle. Überall vor den hohen Fenstern in ca zwanzig Metern Höhe hingen Gardinen und Stofffetzen. Einige Soldaten wie jene aus dem Einkaufszentrum standen in Gruppen oder Einzeln herum doch jeder von ihnen trug eine Waffe. Ich schluckte und folgte dem Mädchen eine rostige Eisentreppe hinauf. Viele Gesichter drehten sich zu uns und unwohl senkte ich automatisch den Blick. Ich hasste diese seltsame Art von Aufmerksamkeit. "Brenda Liebling- ihr seid wieder da", erklang plötzlich eine rauchige Stimme und abrupt blieb ich stehen und hob den Kopf. Ein etwas schmächtiger Mann erhob sich soeben von seinem Stuhl hinter einem großen Schreibtisch und kam auf uns zu. Er trug alte Klamotten, abgewetzte Lederschuhe und eine abgenutzte Jacke. Seine Haare waren an manchen Stellen bereits gräulich weiß doch die Energie, die er mit sich trug, glich der eines Jugendlichen. Eine Art kindlicher Trotz lag in seinen Augen, welche bereits vor Alter gezeichnet waren - sie wirkten, als hätten sie bereits viele Dinge gesehen. Trotzdem strahlten sie klug und besserwisserisch zu uns herüber. "Ja Jorge und wir haben wen mitgebracht", antwortete Brenda nun und trat zur Seite, um mich freizugeben. Überrascht hielt der Mann inne, ein kurzer interessierter Schatten huschte über sein Gesicht. "Soso- und wer bist du? Wenn ich fragen darf?", fügte er hinzu und ich dachte blitzschnell. "Penelope", meinte ich mit klarer Stimme und Jorge nickte langsam. "Hey Brenda- habt ihr wirklich alles durchsucht? Waren da noch Andere?", fragte er das Mädchen, ohne den Blick von mir zu nehmen und mein Herz begann zu rasen.

Er wusste Bescheid. Er wusste von den Geflüchteten WCKD's.

Deshalb fragte er nach Anderen. Meiner Gruppe. "Ja sonst war niemand dort. Warum?", wollte Brenda misstrauisch wissen und lies sich auf der abgewetzten Couch nieder. Die Stehlampe bestrahlte ihre sanften Züge, die nun zu einem fragenden Ausdruck verzogen waren. "Nur so", murmelte der Mann und ich zwang mich, stehen zu bleiben, als er näher kam. "Du bist nicht aus dieser Gegend. Du kommst von WCKD", raunte er so leise, das nur ich es hören konnte und sofort schüttelte ich den Kopf. "Meine Familie- ich wurde von ihr getrennt und bin auf der Suche-" "Mhm", machte er nur, bevor er sich langsam herum drehte und zurück zu seinem Tisch wanderte. "Muss ja hart sein so durch die Wüste und Ruinen zu wandern. Allein kaum möglich" Mein Herz klopfte laut. Jorge wusste genauso gut wie ich, das meine Gruppe nach mir suchte und sie nur aus den Ruinen in Richtung Berge kommen konnten. Jorge wusste genau woher ich tatsächlich kam. Und das ich keineswegs allein war - sondern auf der Suche nach meiner Gruppe von der sie mich getrennt hatten. "Penelope warum nimmst du denn nicht Platz?", fragte er jetzt und vorsichtig lies ich mich neben Brenda auf die Ledercouch sinken. "Wo sind deine Freunde?" "Welche Freunde?", fragte ich den Anführer und mimte einen irritierten Gesichtsausdruck. "Schluss mit den Spielchen. Erzähl mir lieber wo sich die Anderen verstecken", knurrte Jorge und ich konnte die Ungeduld in seiner Stimme heraushören. "Entweder du sagst jetzt was nützliches oder-", er zog eine Schublade auf und ich hörte metallisches Klingen. Aus dem Augenwinkel sah ich ein silbriges Schimmern unter einem der Kissen. Blitzschnell schoss meine Hand vor und ich konnte mein Glück kaum fassen, als ich eine kleine Pistole in der Hand hielt. "Oder was?"

Verloren im Feuer Where stories live. Discover now