16: Die Vergangenheit

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Als wir hinaus in die Nacht traten, huschte der Lichtfinger von Jorges Taschenlampe unruhig über den gigantischen, rauchenden Haufen aus Trümmern. Hi und Da schimmerte die Glut, doch das hielt den Mann nicht ab. Er packte sich eine Metallstange und begann, die großen Trümmer zur Seite zu schieben. "Brenda!" "Thomas!" Teresa begann ebenfalls, wild durch die Trümmer zu stolpern und ab und zu hörte man sie quieken, wenn sie auf menschliche Überreste stieß. Eine glühende Hitze ging von der zerstörten Fabrik aus und ich musste den Körper abwenden. "JORGE!", hörte ich plötzlich Teresa schreien und drehte mich wieder herum, um den Gerufenen in Richtung des schwarzhaarigen Mädchens stolpern zu sehen. "Sieh mal!" Sie zeigte auf etwas auf dem Boden und Jorges Gesicht hellte sich sofort auf. Mein Herz klopfte laut - hatten sie Thomas und Brendas Leichen gefunden? "SIE HABENS RAUSGESCHAFFT!", brüllte Jorge jedoch überraschend und die Lichter atmeten sichtlich erleichtert aus. "Brenda kennt den Treffpunkt - sie nehmen die Tunnel! Auf gehts" Mit diesen Worten drehte er sich auf dem Trümmerfeld herum, stapfte an uns vorbei und wies in die Dunkelheit in die Richtung, aus der wir gekommen waren. "Wir treffen sie bei Marcus - er ist der Einzige, der mehr über den rechten Arm weiß als ich. Und - wo wir ihn finden können"

Seit mehreren Stunden streiften wir durch die Gassen zerstörter Wolkenkratzer, deren höhere Geschosse in der Dunkelheit verschwanden. Es war beängstigend, durch diese Geisterstadt zu wandern, wissend, wieviel Leben sie einst gefüllt hatte. Leise knirschten die Steine unter unseren Schuhen, während wir wortlos Jorge folgten. Als der Himmel langsam heller wurde und in allen Farben erstrahlte, erinnerten mich die Rottöne an die Lichtung. Wie wunderschön die Sonnenaufgänge gewesen waren und uns in dem Wissen gelassen hatten, das wir zumindest für den Moment sicher waren. Und nicht allein. Wir hatten all unsere Freunde gehabt - und nun gab es nur noch Thomas, Teresa, Newt, Pfanne, Minho und mich. Von den 40 Jugendlichen, die einst die Lichtung bewirtschaftet hatten, waren nur wir in die 'Freiheit' entkommen. Eine Gänsehaut fuhr mir den Rücken hinab und als Teresa mein Zittern neben mir bemerkte, schlüpfte sie aus ihrer Jacke und streckte sie mir entgegen. "Hier", meinte sie mit fester Stimme und irritiert starrte ich sie an. "Nun nimm schon" Langsam griff ich nach dem Stoff und ihr weiblicher Geruch hüllte mich ein, als ich in den dicken Stoff schlüpfte.

Sie war wieder nett zu mir?

"D-danke", murmelte ich und sie warf mir ein kurzes Lächeln zu, bevor sie an die Spitze zu Jorge verschwand. Die Beiden hatten sich viel unterhalten in den letzten Stunden und schienen ihre Hoffnungen, Brenda und Thomas zu finden, gegenseitig zu heben. Ich wusste, wie schwer es für das dunkelhaarige Mädchen sein musste, Thomas 'verloren' zu haben. Ich konnte mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie schlimm es mir ginge, wenn dasselbe mit Newt geschehen wäre. In jenem Moment lief er Schritt für Schritt neben mir, seine Hand suchte Ab und Zu die Meine und seine Augen huschten immer wieder zu mir herüber, um sicherzustellen, dass es mir auch wirklich gut ging. Was dieser Junge für mich tat und tun würde, war mehr als ein Beweis für Loyalität bis zum Tod. Das, was meine Freunde aus der Lichtung geopfert hatten, um mich zu finden, ebenfalls. Ich hatte eine Gruppe aus Menschen gefunden, die mit mir in einem Boot saß und solange aufeinander Acht geben würde, bis wir alle bis zum letzten Mann sicher waren. "Ab hier-", Jorge wies in der Morgendämmerung auf ein abgestürztes Flugzeug neben der Straße, "-Dauert's nicht mehr lange bis in die Stadt" "Moment- ich dachte es gibt keine Städte mehr?", rief Aris von weiter hinten und Jorge nickte. "Das ist womöglich eine der Letzten. Vor ein paar Jahren sind die Meisten im Chaos versunken, weil die führenden Positionen fehlten. Polizei, Feuerwehr, Krankenwagen, Politiker, Bürgermeister... Anarchie und panische Angst ums Überleben hat die Menschen zu unaussprechlichen Dingen getrieben und nicht selten am Tag gab es Gemetzel auf offener Straße. Als dann irgendwann Ruhe einkehrte-", er bog auf einen Parkplatz mit unzähligen, zerstörten und zurückgelassenen Autos, "-Waren die Meisten tot oder infiziert. Danach haben sich die letzten Gruppen von Überlebenden gefunden aber die Zeiten sind hart. Man weiß kaum, wem man trauen kann und wer einen für ne 475 Wildey Magnum ausliefert. Die Menschen sind misstrauisch und kämpfen erbittert ums Überleben. Die bestialischen Instinkte sind noch immer da" Während Jorge redete, wurde mir bewusst, das wir im Labyrinth ein wahres Traumleben geführt hatten. Viele Leute hätten getötet um dieses Leben zu haben. Und wir hatten so verzweifelt entkommen wollen... "Irgendwann davor hat WCKD ganz klein angefangen und Kinder von ihren Eltern entführt- bevor die Sonne die Welt verbrannt hat. Als sie merkten, das bei ihren Forschungen irgendwas klappt, wurden Arbeiter gesammelt und massenweise in die Wüsten transportiert um die Labyrinths zu bauen. Viele starben an den harten Bedingungen - nicht viel zu essen, den ganzen Tag am Schuften, ausgesetzt in der puren Hitzestrahlung der Sonne..." "Woher weist du das?", fragte Minho plötzlich und Jorge blies etwas Luft zwischen seinen Lippen hindurch. "Hab mal für sie gearbeitet" Abrupt hielt der Läufer inne und wir taten es ihm gleich. "Es war einmal?!", fragte er laut und seine Hände ballten sich zu Fäusten. "Ganz ruhig, Hermano. Ich bin ausgestiegen, hab ne Gruppe gefunden und mich angeschlossen. Ohne mich wärt ihr jetzt schon längst wieder bei WCKD" Minho kniff misstrauisch die Augen zusammen. "Denk mal scharf nach, Junge. Wenn ich immer noch für diese Leute arbeiten würde, hätte ich euch wohl kaum direkt unter ihrer Nase von ihnen weggelotst", sagte Jorge mit vorwurfsvoller Stimme und das leuchtete uns ein. "WCKD hat uns schon einmal getäuscht - woher wissen wir, das sie es nicht wieder tun?", fragte Aris plötzlich schüchtern neben mir und Pfanne nickte zustimmend. "Das könnt ihr nicht wissen", gab sich der Mann geschlagen, doch seine grauen Augen schimmerten überzeugend. "Ich weiß, dass es euch wahrscheinlich ziemlich schwer fällt, irgendjemand Anderem als euch und euren Freunden zu trauen nach allem was ihr durchgemacht habt, aber - ihr müsst mir einfach vertrauen. Ich will genauso zum rechten Arm wie ihr und ich brauch euch Kids, damit er mich reinlässt"

Ach

Deshalb half er uns. Wir waren seine Eintrittskarte. Als hätte er zu viel gesagt, verstummte Jorge nun und Minho nickte. "Gut. Jetzt kennen wir unsere Absichten"

Verloren im Feuer Where stories live. Discover now