4 4 | u n b e z w i n g b a r

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l o l a

DIE KALTEN METALLKANTEN meines Schlüssels bohrten sich in meine Handfläche, als ich vor der Wohnungstür verharrte, meine Faust anhob und zweimal gegen das Holz klopfen ließ.

Ich wartete, schulterte die Reisetasche, die ich eilig gepackt hatte und zwang mich, einen weiteren Atemzug zu nehmen. Das hier war nicht der Moment, in dem ich wieder einknickte, meine Sachen in meinem Wagen verstaute und zurück zu meiner Mutter fuhr, die über meinen plötzlichen Aufbruch verwundert gewesen war, mich allerdings nicht so sehr zurückgehalten hatte, wie ich es von ihr erwartet hätte. Vielleicht, weil sie genauso sehr wusste wie ich, dass es an der Zeit war, dass ich mich wieder in mein Leben zurückkämpfte.

Als auf der anderen Seite der Tür Schritte ertönten, drückte ich meine Schultern ein kleines bisschen mehr durch. Sie schwang vorsichtig auf, gewährte mir einen Blick auf Kennedy, die mich verwirrt musterte.

„Hast du deinen Schlüssel verloren?"

Mein Mund klappte auf, doch es kam kein Ton heraus. Das war kein bisschen, wie ich mir meine Reunion mit Kennedy ausgemalt hatte, als ich mit meinen Sachen in meinen Wagen gestürzt war. Ich hatte sehr viel mehr Freudentänze und Fußküsse erwartet, vielleicht ein Versprechen, einmal im Monat wegzusehen, wenn ich mir eine Schüssel Cinnamon Toast Crunch vor ihren Augen in den Rachen schaufelte.

„Das ist alles?", fragte ich fassungslos und ließ meine Tasche mit einem dumpfen Knall zu Boden sinken. „Ich verschwinde für Wochen und du bist nicht mal ein kleines bisschen überrascht, dass ich wiedergekommen bin?"

Kennys Gesichtszüge wurden sanfter, die Haltung ihrer Schultern etwas weniger angespannt. „Ich wusste doch, dass du wiederkommst. Natürlich kommst du wieder, Lola."

Ich machte einen Schritt auf sie zu, sie trat einen in meine Richtung, bis wir uns über der Türschwelle trafen und sie mich in ihre Arme zog. Ich würde es Kennedy nie sagen, weil sie es wahrscheinlich nur mit einem finsteren Blick quittiert hätte, doch sie war wirklich gut in Umarmungen. Vermutlich, weil es sich anfühlte, als würde ihre Wirbelsäule unter keinem Gewicht der Welt nachgeben – als würde ich mich mit allem, was ich hatte, an sie lehnen können, ohne befürchten zu müssen, dass sie ebenfalls ins Wanken kam.

Kennedy war eine unbezwingbare Konstante. Nichts würde sie je in die Knie zwingen, dessen war ich mir sicher.

Ich nahm einen tiefen Atemzug, während ihr Geruch nach Vanille und frischer Wäsche sich wie eine Decke über mich legte. Ihre Hände glitten über meine Schultern, schienen sich zu versichern, dass noch alles am richtigen Ort war, bevor sie sich von mir löste, meine Tasche vom Boden klaubte und in unsere Wohnung trat.

Meine Augen glitten über unsere chaotische Einrichtung, die Zierkissen, die über dem Samtsofa verteilt waren und schließlich zu diesem eingerahmten Bild von Johnny Depp, das mich in diesem Moment vor Glück fast zum Weinen brachte, einfach weil es sich so sehr nach Zuhause anfühlte.

„Ich habe dein Video gesehen", sagte sie, als sie meine Tasche auf dem Esstisch abstellte und hinter die Kücheninsel trat, wo sie sich vor meiner überstürzten Ankunft wohl gerade einen Tee gemacht hatte. Sie zog den Beutel an der dünnen Schnur durch das heiße Wasser, während sie mich beobachtete. „Aber ich glaube, mittlerweile hat das schon jeder, der in dieser Stadt wohnt."

Ich hatte nicht darüber nachgedacht, als ich den Clip auf meiner Instagram-Seite hochgeladen hatte. Hatte es mir nicht noch einmal angeschaut, bevor ich es ohne Kommentar gepostet hatte. Es schien wie ein heftiger Stilbruch – im Vergleich zu meinen restlichen Posts, die ich bisher immer nur nach gründlichem Überlegen veröffentlicht hatte. Die Bilder, die ich auch nur hochgeladen hatte, wenn ich zufrieden mit jedem Aspekt gewesen war. Aber bei diesem Video war es mir völlig egal gewesen, dass ich ungeschminkt war und man mir ansah, dass ich vor nicht allzu langer Zeit einige Tränen vergossen hatte. Das alles hatte keine Bedeutung gehabt. Nicht, wenn ich diese Worte hatte loslassen müssen, die schon seit dem Tag in der Schule nur darauf gewartet hatten, gehört zu werden.

all night long | ongoingWhere stories live. Discover now