all night long | ongoing

1 5 | s c h l u p f l o c h

b l a k e

LOLA SCHIEN NICHT, als würde sie meinen Witz sonderlich komisch finden, aber wenn ich ehrlich war, wann tat sie das schon?

Stattdessen warf sie mir einen finsteren Blick zu und schob sich einen weiteren Löffel Cinnamon Toast Crunch in den Mund, der ganz falsche Gedanken auslöste. Himmel, ich hatte noch nie jemanden gesehen, der so verführerisch Müsli aß wie Lola. Der Metalllöffel glitt über ihre rosigen Lippen und nachdem sie gekaut hatte, folgte ihre Zungenspitze, die sie befeuchtete.

Ich wollte wissen, ob sie nach Zimt schmeckte.

Ich war mir ziemlich sicher, dass ich die Antwort schon kannte. Und trotzdem wollte ich es aus erster Hand erfahren.

Es sollte verboten sein, noch vor einer halben Stunde weinend über den Campus zu laufen und in mir eine Sorge auszulösen, die ich schon seit unserem Aus in den Play-offs der letzten Saison nicht mehr verspürt hatte, nur um jetzt auf dieser Couch zu sitzen und unmögliche Gedanken in mir heraufzubeschwören. Lolas Gegenwart war wie ein garantiertes Schleudertrauma – in einem Moment wollte ich sie in meine Arme ziehen und ihr gut zureden, im nächsten wären meine Hände am liebsten unter den Saum ihrer Leggings gewandert.

Da sie aber noch immer darauf beharrte, mit Sportlern meiner gleichen nichts anfangen zu wollen, behielt ich meine Finger auf meiner Seite der Couch. Nach einer ehrlichen Antwort suchend glitt mein Blick durch ihr chaotisches, aber gleichzeitig doch so aufgeräumtes Wohnzimmer. Ich war mir sicher, dass jeder noch so kleine Gegenstand seinen festen Platz hatte, von dem er nur selten verrückt wurde.

„Den Superbowl gewinnen", meinte ich mit einem Schulterzucken. „Vielleicht mal Europa bereisen. Außerhalb von den Vereinigten Staaten habe ich bisher nicht viel von der Welt gesehen."

Lola hob eine überraschte Augenbraue. „Du warst noch nie in Europa?"

Aus ihrem Mund klang es beinahe absurd, dass ich den Atlantischen Ozean noch nicht überquert hatte. Es verriet mir, dass Lola eine andere Kindheit als ich gehabt hatte. Eine, die vermutlich nicht beinhaltete, mein Lunchgeld zwei Mal durchzuzählen und aufzuteilen, damit es auch sicher für die Woche reichte.

„Wäre es nicht für den Football wäre ich vermutlich noch nie außerhalb von Chicago gewesen", gestand ich und zuckte mit den Schultern, als wäre es keine große Sache. Dabei war Fernweh ein so ausgeprägtes Gefühl, das mich mit einem Blick auf Reiseblogs und Videokanälen immer wieder überfiel. Ich wollte in Venedig in einer Gondel durch die Kanäle treiben, in London Fish and Chips essen und in Paris auf dem Eiffelturm stehen. „Flugtickets sind ziemlich teuer."

Lola vergrub ihre Zähne in ihrer Unterlippe, ihr Blick in die Ferne gerichtet, als wäre sie in Gedanken wo ganz anders. Vielleicht dachte sie an all die Urlaube zurück, die sie mit ihrer Familie erlebt hatte. Auch wenn sie es sich nicht anmerken ließ, bekam ich immer mehr das Gefühl, dass Lola aus einer Gegend kam, die aus einer geschlossenen Wohnanlage und sehr grünem Rasen bestand. Ich konnte sie mir beinahe vorstellen, wie sie in einer Privatschule die Schulbank gedrückt und ihre Nase in Büchern vergraben hatte. Das Bücherregal in ihrem Zimmer, auf das ich einen schnellen Blick hatte erhaschen können, wirkte wie eine Erinnerung daran, dass ich keins besaß. Meine Textbücher stapelten sich auf meinem Schreibtisch, wo sie lieblos und wenig organisiert abgelegt wurden, wann immer sie aus meinem Rucksack wanderten.

„Darüber musst du dir bald vermutlich keine Gedanken mehr machen", kommentierte sie irgendwann, als sie wieder zu mir in die Gegenwart zurückkehrte. „Mister MVP."

Ich verdrehte die Augen. „Ich weiß nicht, ob das Ironie war oder ich von dir einfach keine Komplimente gewohnt bin."

Lola griff nach einem der Zierkissen und warf es in meine Richtung. „Du hast jetzt schon knapp hundert Touchdowns geworfen. Deine Completion-Rate liegt bei fast achtzig Prozent. Die Wolverines waren seit neunzehnhundertsiebenundneunzig nicht mehr so nahe dran, die Playoffs zu gewinnen, wie in den letzten zwei Jahren, in denen du als Starting Quarterback gespielt hast. Vor was hast du Angst, Harrison?"