1 4 | k r i s t a l l k u g e l

1.7K 191 12
                                    


l o l a

BEVOR BLAKE HARRISON über meine Türschwelle getreten war, hatte ich mir noch nie Gedanken darüber gemacht, wie meine Wohnung auf männliche Besucher wirkte. Es war eher selten, dass überhaupt ein Wesen mit XY-Chromosomen einen Schritt ins Innere unserer Wohnung setzte. Kennedy war nicht unbedingt für ihre Männergeschichten bekannt und ich mied es, sie mit mir nach Hause zu bringen. Nicht nur, weil ich Angst hatte, dass unter ihnen auch nur ein Psychopath war, der von nun an vor meinem Wohnkomplex kampieren und mir beim Schlafen zusehen würde, sondern auch, weil es einfacher war, direkt nach dem Sex zu verschwinden, als knapp hundert Kilo Masse aus seiner Wohnung zu vertreiben.

Aber jetzt, wo ausgerechnet Blake in meinem Wohnzimmer stand und mein Blick über unsere Einrichtung glitt, fragte ich mich, ob der Krimskrams, den Kennedy und ich regelmäßig auf Flohmärkten und Trips zu Secondhand-Läden ansammelten, nicht doch eher chaotisch und weniger trendy war, als ich es mir immer einreden wollte.

Unser gesamter Wohnbereich war eher das Gegenteil von minimalistisch. Hinter unserem Samtsofa, das irgendwo zwischen aprikot und rosa lag, ragten Regalbretter aus den Wänden, getrennt durch eine Ausbuchtung, die wir taubenblau gestrichen und mit jeder Menge eingerahmter Grafikprinte behangen hatten. Auf den Holzbrettern rechts und links davon sammelten sich einige Romane, die in dem Bücherregal in meinem Zimmer keinen Platz mehr gefunden hatten. Einige Stapel mit wissenschaftlichen Magazinen, die Kennedy als Abendlektüre bezeichnete, wenn ich mich durch meine Reality-TV-Shows zappte (auch wenn sie immer mit einem Ohr zuhörte und nicht umhinkam, ihre Meinung zu kommentieren, auch wenn ich nicht gefragt hatte). Dazwischen abstrakte Vasen, Duftkerzen, eine Topfpflanze, ein altes Radio, das eher aus Dekozwecken als aufgrund seiner Funktionalität dort stand. Und das schlimmste, das mir nun die Röte in die Wagen trieb – ein eingerahmter Druck von Johnny Depp in seinen jungen Jahren. Als wir das Bild aufgestellt hatten, hatten wir uns modern und unabhängig gefühlt, doch nun, wo ich befürchten musste, dass Blakes Blick sich jeden Moment darauf fixieren würde, fühlte ich mich vielmehr wie eine Vierzehnjährige, die ihre Zimmerwände mit Postern ihrer Lieblings Boyband plakatiert hatte.

Der Rest des Wohnbereichs war nicht viel besser. Ich befürchtete, dass Blakes Synapsen völlig überflutet mit Eindrücken waren, als er in der Mitte des Raums verharrte und sich umsah, als hätte er noch nie etwas faszinierenderes entdeckt.

Als seine Augen sich auf die Polaroid Bilder hafteten, die neben einem frischen Blumengesteck (danke, Kennedy) auf unserem Wohnzimmertisch lagen, riss ich mich von ihm los.

„Ich könnte etwas Zucker vertragen", meinte ich und ging in Richtung meines Schlafzimmers. Ich ließ meinen Rucksack neben meinem Kleiderschrank sinken und trat an mein Bett heran. Im Augenwinkel sah ich Blake, der im Türrahmen stand und mich beobachtete.

Unter der Überwurfdecke zog ich eine Plastikbox hervor, in der ich meinen Vorrat an Cinnamon Toast Crunch und anderem Süßkram aufbewahrte, die von der WHO ganz sicher nicht als nährreich erklärt worden wären. Ich nahm die aktuelle Packung heraus und verstaute die Box wieder dort, wo sie hingehörte.

„Okay", kommentierte Blake gezogen und hob eine Augenbraue. „Gibt es seit neustem Einbrecher, die es auf Frühstückscerealien abgesehen haben, oder habe ich etwas verpasst?"

Ich warf ihm einen trockenen Blick zu, als ich an ihm vorbei trat. Unsere Schultern streiften sich, doch ich zwang mich, in Richtung Küche zu gehen. „Kennedy ist ein Gesundheitsfreak. Industrieller Zucker ist für sie eine Todsünde. Ich will nicht jeden Abend gesteinigt werden, wenn sie entdeckt, wie viel ich davon esse."

Blake schnaubte leise, als er mir folgte. „Sie und Zach würden sich ziemlich gut verstehen. Er ist der festen Überzeugung, dass Zucchini-Brownies genauso schmecken wie die mit Zucker."

all night long | ongoingWhere stories live. Discover now