2 3 | m a r o t t e

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l o l a

DER NOVEMBER BRACHTE die ersten vier Zentimeter Schnee und meine Volljährigkeit mit sich. Einundzwanzig zu sein und mit meinem echten Personalausweis Alkohol an der Bar bestellen zu können war weniger bahnbrechend als ich es mir immer vorgestellt hatte, wenn ich das gefälschte Ausweisdokument über den Tresen geschoben und gehofft hatte, mein Ausschnitt würde den Barkeeper davon abhalten, einen genaueren Blick auf das Bild zu werfen. Wenn überhaupt erinnerte es mich daran, dass ich nur noch etwa ein halbes Jahr vor der wirklichen Welt fliehen konnte, bevor ich endgültig zu einer erwachsenen und vernünftigen Version meiner selbst werden musste, die jeden Morgen um sechs aus dem Bett rollen und so tun musste, als ob mir der Schulbeginn um acht Uhr nicht im Geringsten etwas ausmachte.

Obwohl der Tag, der meine einundzwanzig Jahre auf dieser Erde markierte, auf einen Donnerstag fiel, feierten Kennedy und ich in ihn hinein. Für eine durchschnittliche Bar war es voll, doch für eine Collegebar merkte man, dass nächsten Monat unsere Prüfungen anstanden. Kennedy und ich ließen uns davon nicht beirren, tranken aber bis Mitternacht nur nicht alkoholische Getränke. Sobald die Uhr auf Mitternacht fiel, bestellte ich zwei Tequila Shots, die wir mit einem breiten Grinsen leerten. Es war eine Ausnahme, die Kennedy mir zuliebe machte. Danach liefen wir in unsere Wintermäntel gehüllt durch den Schnee nach Hause. Es war nicht die große Geburtstagsparty, die ich mir mit sechzehn immer ausgemalt hatte, doch wenn ich ehrlich war, war es mir so lieber. Nur Kennedy und ich.

Am nächsten Morgen erwartete mich ein zuckerfreier Geburtstagskuchen mit Geburtstagskerze und Kennedys Geschenk. Meine Mutter rief mich an, versicherte mir, dass sie mit dem nächsten Flug bereits in Michigan sein könnte, doch ich erinnerte sie daran, dass ich in zwei Wochen sowieso nach Hause kommen würde. Danach ging ich in meine Vorlesungen, wo mich niemand gut genug kannte, um zu wissen, dass es mein Geburtstag war. Nicht einmal Blake, der ausnahmsweise schon im Hörsaal saß, als ich die Türschwelle übertrat. Ich setzte mich in eine der Reihen vor ihm, um sicherzugehen, dass ich nicht die ganze Stunde damit verschwendete, seinen Hinterkopf anzustarren und konzentrierte mich auf den Prüfungsstoff, den ich in wenigen Wochen schon in und auswendig kennen musste.

Als ich mich am Abend ins Bett legte, fiel mein Blick auf die Postkarte mit dem Leuchtturm, die auf meinem Nachttisch ruhte. Meine Augen schlossen sich und ich konnte beinahe die Wellen des Lake Michigan hören, die am Ufer brandeten. Blakes Wärme, die mich vor dem Wind schützte. Es kam immer öfter vor, dass es diese Erinnerung war, die mich in den Schlaf wiegte. Vielleicht weil ich ihn so sehr vermisste, dass mein Kopf nur abschalten konnte, wenn ich mir wenigstens zehn Minuten am Tag genehmigte, in denen ich an ihn dachte.

Auch wenn es nie genug schien.

„NIEMAND BRAUCHT SO viel Grünzeug", kommentierte ich, als Kennedy einen weiteren Strauch buntes Gemüse in den Einkaufswagen legte. Er sah schon jetzt aus, wie das Aushängeschild in einem Wartezimmer beim Hausarzt. Ich war mir sicher, dass Kennedys Doktor ihr größter Fan war, wann auch immer er ein Blutbild durchführte. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass es viele Menschen gab, die eine so ausgewogene Ernährung pflegten wie sie.

Du brauchst so viel Grünzeug", entgegnete sie mit einem anschuldigenden Blick in meine Richtung. „Die Grippesaison kommt. Du solltest dein Immunsystem noch etwas stärken, bevor die ersten Bakterienschleudern auf dem Campus in ihre Hände niesen und Türklinken anfassen."

Ich war nicht besonders begeistert von der Idee, noch mehr Vitamine auf meinen Teller zu häufen, doch wenn ich ehrlich war, wusste ich, dass zumindest ein Fünkchen Wahrheit in ihren Worten lag. Auch wenn ich mir sicher war, dass Kennedy schon jetzt die Person war, die am wenigsten Ansteckungsrisiko befürchten musste.

all night long | ongoingWhere stories live. Discover now