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DER FLUG NACH Phoenix fühlte sich länger an als noch vor ein paar Monaten bei meiner Rückkehr nach Michigan. Die knapp vier Stunden zogen sich, obwohl ich die gesamte Sitzreihe für mich hatte.

Kaum berührten meine Schuhsohlen den Boden Arizonas, bekam ich das Bedürfnis, alle zehn Sekunden über meine Schulter zu blicken, um sicherzugehen, dass mein Vater nirgendwo lungerte, um seine neue Familie vom Flughafen abzuholen. Dafür begrüßten mich aber auch Temperaturen, die an den zwanzig Grad kratzten und mich in meinem Michigan-Pullover schwitzen ließen. Ich zog ihn kurzerhand aus und band ihn mir stattdessen um die Schultern, während ich am Gepäckband auf meinen Koffer wartete.

Es dauerte nicht lange, bis meine Mutter mich fand. Als käme ich aus einem Kriegsgebiet zurück, stand sie mitsamt Plakat und Blumenstrauß zwischen den anderen Familien, die die Passagiere der Maschine aus Michigan abholten. Ihre Umarmung war so fest, dass ich beinahe spürte, wie meine Wirbelsäule knackte.

Statt der Heizung mussten wir auf der Heimfahrt die Klimaanlage einschalten. Die Sonne brannte auf meiner Haut, sobald wir aus ihrem Wagen stiegen. Ich vermutete, dass ich nach den Thanksgiving Ferien gebräunt nach Ann Arbor zurückkehren würde.

Meine Tante Victoria erwartete bereits auf der Veranda unsere Ankunft. Die ältere Schwester meiner Mutter war ihr wie aus dem Gesicht geschnitten, auch wenn sie ihre Haare schulterlang trug und nicht in langen Wellen wie meine Mutter und ich. Die beiden hatten jedoch drastisch unterschiedliche Lebensstile geführt. Während meine Mutter die perfekte suburbane Ehefrau und Mutter gewesen war, hatte meine Tante all ihre Zeit in ihre Karriere gesteckt und die Welt bereist. Meine Tante war die Art von Frau, die man als heranwachsendes Mädchen immer bewunderte. Selbstständig, unabhängig und kulturell bewandert.

Ich fiel ihr ebenfalls in die Arme und ließ die zwanzigminütige Ausfragerunde über mich ergehen. Von meinen Collegefreunden über mein Praktikum hinweg wurden alle Themen angeschnitten, während meine Mutter den Auflauf im Ofen inspizierte.

„Du siehst blass aus", kommentierte meine Mutter besorgt, kaum hatte ich meinen Bericht über die Dexter High School beendet. „War der Flug so schlimm?"

Ich musste mir ein Augenrollen verkneifen. „Das ist das Wetter in Michigan, Mom. Als ich heute Morgen zum Flughafen gefahren bin, lagen etwa zehn Zentimeter Schnee."

Ich erwähnte nicht, dass es Blake gewesen war, der mich gefahren und an meinem Terminal abgesetzt hatte. Die halbstündige Fahrt nach Detroit war viel zu schnell vorbeigegangen – was vielleicht auch daran gelegen hatte, dass ich beinahe verschlafen hätte und am Morgen in aller Eile meinen Koffer gepackt hatte.

Meine Mutter schauderte, als könnte sie die eisige Kälte spüren. Ich wusste nicht, wann sie das letzte Mal Schnee gesehen hatte. Vermutlich bei ihrem letzten Trip nach Mammoth Lake, den sie statt auf Skiern in ihrem Hotelzimmer verbracht hatte.

„Warum du nach Michigan gegangen bist, verstehe ich bis heute nicht", kommentierte sie, während sie eine Flasche Wein öffnete. „An der University of Arizona hätten sie auch ein gutes Englischprogramm gehabt. Und Tucson wäre keine zwei Stunden mit dem Auto entfernt gewesen."

Ein Seufzen lag mir auf der Zunge. Seit meiner Einschreibung in Michigan hatte ich bereits das Gefühl gehabt, dass sie meine Entscheidung, nicht in meinem Heimatbundesstaat zu studieren, persönlich nahm. Dabei hatte es weniger mit ihr und mehr mit meinem Vater zu tun gehabt. Aber wenn ich ehrlich war, dann war es manchmal auch eine kleine Erleichterung, mich aus ihrer Reichweite zu begeben und eine Weile nur ich zu sein, ganz ohne ihre warnenden Kommentare oder besorgten Blicke.

all night long | ongoingWhere stories live. Discover now