1 8 | p u z z l e t e i l e

1.7K 204 2
                                    

b l a k e

NORMALERWEISE WAR VINCENT Archer nie ruhig. Er hatte die Energie eines Golden Retrievers auf Crack. Auf ihn war immer Verlass, wenn es darum ging, Worte zu finden, die die Stille durchbrachen und die Stimmung auflockerten.

Ich hätte wissen müssen, dass das nicht zutraf, wenn es um Lissies Wohl ging. Sie schien die einzige Ausnahme zu sein, die er kannte. Sie war die einzige Person, die ihn manchmal vergessen ließ, wer er war. Vielleicht war er bei ihr aber auch nur so unbestritten er selbst und wir alle kannten nur ein Fragment von ihm. Vielleicht bekam Lissie das ganze Mosaik und wir nur einzelne Teile, die wir nie vollständig zusammensetzen können würden.

Ich konnte ihm sein Schweigen nicht verübeln. Ich war mir sicher, dass er innerlich vor Wut und Sorge kochte. Zu hören, dass Lissie eine Verabredung hatte und sich nach dem Spiel nicht zu uns gesellen würde, war (vor allem für Vince) zwar enttäuschend gewesen, doch nicht sonderlich überraschend. Für Bemerkungen über andere Frauen, wie er sie beim Barbecue getätigt hatte, gab es meistens eine Form von Vergeltung. Lissie hatte keine Schwierigkeiten, jemanden zu finden, der sie für den Augenblick von Vince ablenken und ihn (für sie unbewusst) zu einem Eifersuchtsschub verhelfen würde. Es schien wie ein Teufelskreis, denn jedes Mal, wenn Lissie sich für eine Verabredung fertig machte, hatte Vince ebenfalls jemand neues an seinem Arm hängen. Allein dabei zuzusehen, wie sie sich gegenseitig in den Wahnsinn trieben, ließ mich ab und an die Nerven verlieren.

Doch egal, wen von beiden man darauf ansprach – Leugnung und Verdrängung waren alles, auf was man bei ihnen stieß.

Als ich meinen Jeep in der Auffahrt stehen ließ, öffnete ich die Hintertür für Vince, der nicht vorzuhaben schien, Lissie einen Versuch auf eigenen Beinen gewähren zu lassen. Er hob sie aus dem Wagen und marschierte geradewegs auf die Eingangstür zu.

Mein Blick glitt zu Lola, die ebenfalls ausgestiegen war und nun etwas betreten neben der Motorhaube verharrte. In dem Material meiner Jacke ging sie beinahe unter, doch ich bezweifelte nicht, dass sie noch immer fror. Der knappe Rock und ihre offene Bluse hatten nicht sonderlich viel Wärme geboten, auch wenn sie ein Hingucker gewesen waren.

„Ich bin überrascht, dass sie sich auf der Fahrt nicht übergeben hat", kommentierte ich mit einem Blick auf meinen Wagen. Ich hatte bereits damit gerechnet, mit heruntergelassenen Fensterscheiben zu fahren und ihn die nächsten Tage bei der Reinigung stehen zu lassen.

Lola verzog das Gesicht. „Ich glaube nicht, dass sie noch irgendetwas in sich hat, was hätte hochkommen können."

Lola hatte manchmal eine etwas herablassende Art – zumindest wirkte sie auf den ersten Blick wie jemand, der der Meinung war, dass es nur eine Weise gab, auf die man Dinge erledigen sollte. Vorzugsweise ihre. Den Eindruck hatte ich zumindest bei unserer ersten Begegnung bekommen, als sie mich über meine Unpünktlichkeit belehrt hatte, als wäre ich mir selbst nicht der etwa zweihundert Augenpaare bewusst gewesen, die sich auf mich gerichtet hatten, als ich den bereits vollen Hörsaal betreten hatte. Sie schien sich nicht zu schade, ihre Meinung mit jemandem zu teilen, auch wenn das für den ein oder anderen Konflikt sorgte. Es lenkte beinahe davon ab, wie sehr sie sich um Menschen kümmerte.

Sie kannte Lissie nicht sonderlich gut. Die beiden Gespräche, die sie geführt hatten, hatten sie wohl kaum zu verlorengeglaubten Blutsschwestern gemacht. Und trotzdem hatte sie ihr das Gesicht abgetupft, als würde sie sie schon Ewigkeiten kennen.

Was hatte sie zu Beginn des Semesters gesagt? Meine Liebe ist reserviert für wenige, besondere Menschen. Ich war mir nicht sicher, ob das so stimmte. Ich vermutete viel eher, Lola machte für jeden Menschen Platz in ihrem Herzen, der durch ihr Leben spazierte. Und dass zu viele Leute dieses Privileg bereits ausgenutzt hatten. Dass sie nun versuchte, die Menschen glauben zu lassen, dass sie den Schlüssel schon lange weggeschmissen hatte, obwohl man bereits längst eingedrungen war.

all night long | ongoingWhere stories live. Discover now