Kapitel 23: LSD

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Estella wachte mit einem dröhnenden Schädel aus Schuldgefühlen auf. Sie wusste genau, was gestern hier gelaufen war. Sie ließ Rory seinen Schönheitsschlaf beenden, während sie den Boden der Wohnung nach Kippen, ausgelaufenen Bierflaschen, Getränken und allem möglichen anderen nicht identifizierbaren Dreck absuchte. Sie besorgte sich einen Besen und kehrte, während der Körper eindeutig immer noch unterschwellig high war. Von was genau, war schwer zu sagen, aber es fühlte sich an wie ein Kater, der einfach nur deshalb keiner war, weil das Gehirn immer noch in irgendwelchen Chemikalien schwamm, und deshalb gar nicht wirklich registrieren konnte, ob da jetzt irgendwo etwas wehtat, oder vielleicht doch nicht. Sie konnte schlecht mit den Frühaufstehenden kommunizieren. Zu stark musste der Eindruck gewesen sein den Kasha bei ihnen hinterlassen hatte, und sie sah es irgendwie auch trotz allem nicht ein Kashas Kritik für ihn zu ernten. Zum Glück würde Kasha, sobald er aufwachte, sowieso neue Kippen brauchen, und sie fühlte sich so unwohl in diesem Schlachtfeld, dass sie es als gute Chance empfand sich gleichzeitig noch eine morgendliche, überzuckerte Orangenlimo zu besorgen. Estella fragte kurz in der Küche nach, ob es okay wäre, wenn sie etwas an einem Kiosk holen würde, ob, und wo es hier so etwas gab, um dann möglichst schnell Reißaus nehmen zu können. Sie lief durch die Ruhe eines Sonntagmorgens in einem völlig normalen Vorbezirk und reflektierte darüber, was geschehen war. Die Wirkung des Kokains hatte weder sie noch Spectre daran gehindert Kasha aus dem Körper zu kicken. Sie hatten einfach relativ schnell Besseres zu tun gehabt. Spectre hatte sich die volle Zeit hindurch mit Datenanalysen beschäftigt, so fokussiert wie er es sonst nicht gewohnt war arbeiten zu können. Estella hingegen hatte den unteren Ruinenbezirk erkundet, aufgrund eines plötzlichen Mutschubs, der sie angetrieben hatte. Selbstverständlich hatte sie den Namen »Brennen« im Außen fallen hören, aber das war immerhin auch der Typ gewesen, der sie eigentlich immer nur enttäuscht hatte, und sie hatte eigentlich kein Interesse daran von seinem neuen Leben mit seiner neuen Partnerin zu hören. Letztlich war es ja auch nicht so, als ob sie nicht Kashas Gefühle auch irgendwie nachvollziehen konnten. Er war nur der einzige, der dann direkt auf Kriegsfuß mit seiner Umwelt ging und so wirklich gar nicht erlauben konnte, dass andere eben anders waren, anders fühlten und andere Arten von Leben führten. Er konnte sich, anders als sie, auch perfekt von Rorys Verhalten und von dem der anderen Balkonbewohnenden von gestern Nacht absondern. Für Estella war es vielmehr so, dass sie Rory überhaupt erst an diesen Ort gebracht hatten. Dabei wusste Estella ja, um was für eine Art von sozialem Milieu es sich da handelte, und, dass ein zugekokster, selbsternannter Gangster von der Straße dort grundsätzlich einfach nicht gerne gesehen war. Vielleicht hatte das Koks sogar ihre unterdrückten Gefühle von Neid und Hass auf Brennen und seine perfekte Welt unterstützt. Vielleicht hatte sie insgeheim sogar gewollt, dass Kasha diese Szene mal ordentlich aufmischte. Spectre hatte seinen Spaß für sich gehabt und da keine ernstzunehmenden, negativen Konsequenzen aus der Sache für sie erwachsen waren, hatte er auch keine Probleme mit dem was passiert war. Estella setzte sich auf einen Steinvorsprung bei einem schön hergerichteten Ziergarten, ließ ihre eben gekaufte Limo aufschäumen und genoss einfach nur die Ruhe im Ort. Kasha meldete sich so langsam, dass er jetzt wieder da war und bereit dazu war Rory aus diesem Schlachtfeld zu bergen, in dem er sowieso nur von Feindlichen umzingelt lag. Als sie die WG zum letzten Mal betraten war Rory aufgestanden und hatte sich bereits ein Bier aufgemacht. Er saß in der Küche herum und unterhielt sich mit den anderen Frühaufstehenden. Trotzdem war er ziemlich erleichtert Kasha zu sehen, der ihm auch sofort ein Kippenpäckchen in den Schoß schmiss.

»Nice!«

Die beiden setzten sich wieder auf den Balkon raus und bauten den obligatorischen Morgenjoint.

»They are still smoking the gras«, hörten sie eine der gehässigeren Stimmen durch den Flur zischen.

Diese Leute trauten sich auch am nächsten Morgen selbst nüchtern noch nicht sie direkt anzusprechen. Estella verstand, dass das nur ein gewisses Maß an Furcht bedeuten konnte. Kasha verstand nur, dass es eben Schlappschwänze waren. Er hatte jetzt anderes zu klären.

Plurale Welt - Ebene 01/03: GeburtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt