Kapitel 15: Verpflichtungen

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Die tägliche Routine bildete sich nun aus dem Konsum der neusten Zeichentrickserien, die Estella oft von ihren neu Befreundeten empfohlen bekam, aus einigen Trainingseinheiten Kashas, bei denen er in speziellen, eklig durchgeschwitzten Trainingsklamotten, die er nie bereit war regelmäßig zu wechseln, an seine physischen Grenzen stieß, und aus einem großen Block der Datensammlung für Spectre. Kasha machte Crunches, Liegestützen und natürlich Klimmzüge. Bis er wieder das wohlige Nichts in seinem Geist spüren konnte, um die Maschine einfach nur laufen zu lassen. Spectre hatte seinen Datenprozess im digitalen Netz optimiert. Er wusste genau welche Seiten er anwählen musste um einen gewissen, perfekten Arbeitsfluss gewährleisten zu können. Kasha hatte Wissensgebiete, die ihn interessierten, Estella wollte mit ihren digitalen Verbindungen kommunizieren, und Spectre wollte einfach nur neue Daten sammeln. Da Estella durch ihre eigene Kommunikation stetig neue Daten produzierte, erlaubte Spectre ihr ihre Chatfenster immer im Hintergrund offen zu haben. Um Kashas und Spectres Interessen drehte sich vor allem eine der, durch Excavationprogramme angewählte, Seite, die nicht offiziell gelistet werden durfte. Auf dieser Seite tauschten sich Ausgestoßene aus den extremsten Regionen der Pluralen Welt aus, aber auch extrem Datensammelnde wie Spectre waren unterwegs, um auch die hintersten und tiefsten Ecken der Menschen auszuleuchten. Es gab Darstellungen extremster, körperlicher Gewalt, abartige, sexuelle Praktiken, gefährliche Ideologien und zensiertes Wissen zu verspeisen. Kasha nutzte die Absonderheiten um seine Gefühle zu stählern. Er wusste, dass in einem Kampf ein klarer Kopf gefragt war, und den konnte er nicht haben, wenn er schon von dem Anblick eines in ihm steckenden Messers paralysiert sein würde. Deshalb umging er die Bilder von Enthauptungen und abgerissenen Körperteilen nicht, denn er musste stärker werden. In Kasha wuchs allerdings noch ein weiterer Prozess, den dieser passiv wahrnahm, aber nicht zu fassen kriegen konnte. Das Bildmaterial, das er konsumierte, ließ die Musik, die er hörte, immer schwärzer werden. Er war einer De-Evolution zum Opfer gefallen, und nutzte nun die grummeligen Moltöne des schwärzesten Metals, das er finden konnte, um sich wieder zurück in seine Höhle denken zu können. Er nutzte hierzu immer Ohrstöpsel, um Stars Eltern nicht damit zu beunruhigen. Die Musik klang wie ein Friedhof, auf dem eine verlorene Seele um ihre Erlösung bettelte. Für Kasha'aar waren es einfach nur dumpfe Schallwellen, die seine Gedanken abschotteten, und sie somit erträglicher für ihn machten. Spectre war nicht demselben Prozess unterworfen, allerdings war auch er nicht über anstrengende Gedankenabläufe erhaben. Er lag schon des längeren im inneren Konflikt mit sich dazu, wann er seine Datensammlung beenden, und wann er etwas Produktives damit anfangen sollte. Er hatte alle diese Daten, aber tat er es nur für sich, oder um irgendetwas damit bewirken zu können? Es war schon irgendwie eine Verschwendung, sie einfach so nur zu speichern und das war's dann. Er kam zu dem Schluss, dass er die Daten mit einbringen würde in die politisch-philosophischen Diskussionen an Kashas Kneipenabenden. Spectre war nun zu jemandem mutiert, der die Meinung anderer als Mission sah, um sie durch sein Wissen zu einem anderen, besseren Lebensweg umzuleiten. Spectre gab plötzlich Ratschläge zu geistiger Gesundheit und zu Themen wie dem Wahlverhalten eines Kneipengastes, oder der romantischen Beziehung zwischen Ru und Shadow. Zunächst schien das neue Spiel für Spectre eine sehr gute Anwendung seiner Daten zu sein, aber er war nicht gefasst auf die emotionale Ebene seines Handelns. Er bekam Anrufe um drei Uhr nachts an einem Schultag, von verzweifelten Pluralen die sich gerade die Arme aufschnitten, von romantisch Geplagten, die gerade schlechten Sex gehabt hatten, oder die kurz davor waren ihren Freund wegen seines ausufernden Kokainkonsums zu verlassen. Spectre merkte schnell: Er hatte einen Fehler begangen. Alle diese Leben waren nun mit seinem verknüpft. Er hatte Erwartungen, die vom Außen auf ihn wirkten, und denen er nun gezwungen war nachzugehen. Nicht nur das. Sein eigentliches Ziel konnte er nie erreichen. Er verstand das nicht. Die mit dem Freund, den sie verlassen sollte, verließ ihn nicht. Der mit den aufgeschnittenen Armen, wechselte nur darauf jetzt seine Beine zu zerschneiden. Spectres Daten waren völlig wirkungslos bei diesen Pluralen!

Plurale Welt - Ebene 01/03: GeburtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt