Kapitel 16: Bezirk A-75

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Für Star stand endlich der Besuch im Bezirk A-75 an. Brennen hatte Estella überredet endlich mal zu Besuch zu ihm zu kommen. Sein Argument war: Seine Eltern waren nicht da, für zwei ganze Wochen! Das war natürlich auch für die Anderen im Kollektiv klasse, da es dort völlig neue Daten und Drogenkontakte geben würde. Estella kam an...oder, wie würde sie das beschreiben? Sie fuhr sich selbst durch viel zu komplizierte, innerbezirkliche Verkehrsmittelfahrpläne, verwirrende Straßennamen und grimmig dreinblickende Menschenmassen, um, am Ende, ohne jegliche Begleitung, irgendwo vor einem fremden Vorbezirkshaus zu stehen, das nicht besonders einladend aussah. Eben eins so, wie viele hier. Überall regnete es Herbst auf die Straße, sodass das bunte Laub bereits eine cremige Konsistenz erlangt hatte. Die Gebäudefassaden waren verziert und ihre Dächer beugten sich in cartoonhaften Bögen übereinander.

»Als wäre man in der Renaissance aufgewacht«, begutachtete Estella die Anwohnschaft.

Sie klingelte beim Kollektivnamen, der ihr genannt worden war: »Soreno«. Die Tür piepte und öffnete sich, aber auch hier kein Brennen. Nur Musik, die von irgendwo herkam. Estella war schon kurz vorm Umdrehen, aber Kasha bettelte sie an, und das war eine ihrer Schwachpunkte. Sie schmiss ihren Rucksack irgendwo in so eine Linoleumfußbodennische und sah gespannt dabei zu wie dieser, statt liegen zu bleiben, weiter entlangglitt, als ob er auf Glatteis gelandet wäre. Ihr Mund sackte noch mehr - es waren Schnösel! Natürlich waren sie Schnösel. Das passte so gut zu Brennen! Sie öffnete eine schwere Glastür, die in ein Zimmer führte, das von einer minimalistischen Kunstkraft hätte gestaltet worden sein können. Brennen drehte sich zu ihr um. Er hatte gerade an seinem Keyboard geprobt.

»Oh, hey! Schön, dass du da bist!«

Der junge Maskuline umarmte sie im Nur-Befreundet-Style, also nicht länger als eine halbe Sekunde lang, und wandte sich dann wieder seinem Keyboard zu. Estella saß nun so da. Auf einem roten Hüpfball mit ulkigen Noppen.

»Wo gehen wir heute Abend hin?« fragte sich Kasha.

»Wo gehen wir heute Abend hin?« spielte Estella den Ball schnell ins Außen, da sie absolut keine Ahnung hatte, wie sie mit diesem Typ ein Gespräch führen sollte.
»Wir geh'n ins X! Da ist es immer gut!«

»Aha...und...sonst so? Ist das alles an Information, die du darüber hast?«

»Nja«, Brennen zuckte mit den Achseln auf eine Art, die Estella an Nagetiere denken ließ, »du wirst es schon seh'n. Es ist cool da!«

Er spielte weiter. Oh, Mann.

»Im X ises bestimmt gut. Wahahaha!« lachte Kasha.

Das gab sie allerdings nicht nach Außen weiter. Das X war ein angesagter Tanzclub, der sich in einer alten Hausruine befand. Er war ausgestattet mit mehreren Räumen der alten, ursprünglichen Ruine, sowie einem Neuanbau, in dem es Treppen und mehrere Stockwerke gab. Oh, und natürlich gab es auch einen Außenbereich. Um die Ruine herum waren kleine Tonnen im Wikingerstil aufgestellt, die mit brennenden Hexenbesen in ihrer Mitte als Lichtquelle bestückt worden waren. Überall flammte etwas auf, etwas war neonviolett, oder etwas wechselte sein Farbmuster und das UNTZ UNTZ UNTZ, ja das UNTZ UNTZ UNTZ UNTZ UNTZ der Bässe war ein auditiver Brei aus mehreren Himmelsrichtungen. Kasha fand's hier geil. Es gab einige zwielichtige Gestalten in Brennens Freundschaftskreis, die er sofort unter Beobachtung stellte. In der Tat standen er, ein Typ namens Cassius, und ein anderer Typ namens Bimbo, bald in der unteren, rechten Ecke einer, auf Stelzen in die Luft erhöhten, alten Steintreppe der Ruine. Sie besahen sich einen Plastikbeutel mit bunten Pillen.

»Gelbe Smileys. Classical«, scherzte Kasha.

Er hatte den beiden schon bereits erklärt, dass er das Zeug nicht nahm. Durch das silberne Netz wusste er darüber Bescheid, dass MDMA Pillen von der Straße mit seltsamem Zeug gemischt sein konnten, und, dass es nach einem ausgebauten Suchtverhalten zu schweren Hirnschäden kommen konnte. Aber er sagte das ja wohl fucking Cassius und fucking Bimbo nicht. Die beiden sollten gefälligst selbst drauf kommen. Er brauchte Psychedelika.

Plurale Welt - Ebene 01/03: GeburtWhere stories live. Discover now