Kapitel 20: Magische Trüffel

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Kasha'aars aufgeschobener Gerichtsprozess, bezüglich des Widerstandes gegen die Ratsgewalt, hatte mittlerweile seine heiße Phase erreicht. Sie hatten immer mehr offizielle Briefe bekommen und Spectre hatte sich zu allen Schikanen begeben, wie dem Erfassen der Fingerabdrücke oder einer Bildnahme aller Körpermerkmale, die zur Identifizierung ihres Körpers dienen konnten. Zur Verhandlung würde ihr Körper zurück zum Bezirk A-75 reisen müssen. Rory gingen die Behörden mit einer etwas heftigeren Gangart an, indem sie ein volontierendes Kollektiv der Wache dazu aufforderten auszusagen, dass Rory sie angeblich sexuell bei ihrem Einsatz bedrängt hätte. Rory und Kasha trafen sich schlussendlich wieder, auf der Wartebank, die außerhalb des Gerichtssaales zu ihrer Verhandlung aufgestellt war.

»Wie is' dein Plan?« fragte Kasha.

»Ich hab dir doch gesagt, ich brauch' keinen! Da passiert eh nix! Da passiert eh nix«, das zweite Mal sagte er es in seiner piepsigen Nervstimme, während sein Körper, übertrieben weit ausgeholt, nach hinten weggestreckt, ausgiebig mit den Achseln zuckte.

Kasha'aar war leicht beunruhigt, obwohl er nicht auf dem Zeugenstand befragt werden würde. Spectre hatte den Körper in ein teures, modisch höchst adäquates Hemd verpackt, das perfekt ausgewählt war um so wenig wie nur möglich von Kashas Muskeln zu zeigen und seine Konturen so schwächlich und schmal wie nur irgendwie möglich wirken zu lassen. Er hatte sich die offenen, roten Haare zu einem korrekt geflochtenen Pferdeschwanz gebunden, und trug eine Brille, die er eigentlich gar nicht brauchte. Er hatte Estella gebeten sich drei Tage vor Anbruch des Verfahrens nicht das Gesicht zu waschen, da ein verfettet, bepickelt glänzendes Gesicht nun mal unschuldig schäbig aussah; Mitleid erregte. Estella fand das zwar widerlich, aber tat was auch immer Spectre wollte um hier möglichst glimpflich bei wegzukommen. Rory hatte dieselbe Grundidee verfolgt. Er saß da in einer teuren Weste, mit einem Aufdruck, der ein in Flicken gesticktes Muster nachahmen sollte, und ihn wie eine unschuldige Kuschelbärchenlehrkraft wirken ließ. Darunter trug er allerdings gut kombiniert ein schickes Hemd mit einer klassischen, roten Krawatte. Spectre war beeindruckt, selbst seine Schuhe waren qualitativ hochwertige Lederschuhe. Gut gestimmt von der Bedachtheit seines Kollegen betrat Spectre nun dem Aufruf entsprechend den Gerichtssaal. Die Polizeikräfte waren sich ihrer Sache wohl auch echt sicher gewesen. Sie saßen nämlich da wie auf einem Hip-Hop Coverfoto. Ein Gesicht grimmiger als das andere. Ein Kopf am Schädel kahlgeschorener, maskuliner und gorillahafter, als der andere. Diese Typen verstanden eindeutig nichts vom Spiel, war sich Spectre nun sicher. Er benutzte bei seiner Aussage vor Gericht haufenweise komplizierte Fachwörter, die er normalerweise als abstoßend betrachtete. Spectre beschrieb die rohe Ungehaltenheit der Polizei und konnte nicht bestätigen, dass Rory mit dem Streit angefangen hätte. Ihm wäre es nur um seinen, unter starken, asthmatischen Anfällen leidenden Freund Krani gegangen, als er hatte mit ansehen müssen, wie dieser von den Uniformen misshandelt worden war. Rory setzte dem in seiner Aussage noch nach und beschrieb genau dasselbe Geschehen um den Hornbrillenträger. Darüber hatten Spectre und Rory sich bei ihren Aussagen geeinigt. Die Polizeikräfte erzählten alle eine leicht unterschiedliche Geschichte, so, als ob das Geschehen zu lange in der Vergangenheit läge und sie so viel andere, schreckliche und absurde Dinge dazwischen erlebt hätten, dass es für sie unmöglich wäre sich an die Kleinigkeiten zu erinnern. Das Justizkollektiv ließ mit vier inneren Stimmen gegen drei innere Stimmen einen Beschluss fallen, der verlautete, dass diese Angelegenheit zu unbedeutend für den Pluralen Rat war um noch weitere Steuergelder an sie zu verschwenden. Als sie aus dem Saal traten feierte Rory sich selbst und erwähnte immer wieder:

»Hab's dir doch gesagt, gar kein Problem! Ich hab' meine Connections!«

Spectre spekulierte eher, dass er nichts dergleichen auf die Reihe gekriegt hatte, da er sonst nicht so einen Aufwand mit seiner Kleidung und ihren Aussagen betrieben hätte. Wahrscheinlich war der Prozess zu ihren Gunsten entschieden worden weil Krani einige Zeit im Krankenhaus liegen hatte müssen, nachdem ihm am Tag nach der ganzen Sache der Brustkorb wehgetan hatte, und weil die Uniformen offensichtlich nicht wussten, wie man das Spiel richtig spielte. Kranis Aussage wurde, aufgrund der Umstände, separat verhandelt, aber seine Krankenakte spielte sich definitiv zu ihren Gunsten aus. Sie hatten nochmal Glück gehabt, dass unter den Uniformen keine Silbernen gewesen waren.

Plurale Welt - Ebene 01/03: GeburtOnde histórias criam vida. Descubra agora