Kapitel 22: Kokain

0 0 0
                                    

Also machten sich das Starbound Kollektiv erneut auf die Reise zu Bezirk A-75. Kasha'aar wartete eine ganze Stunde lang auf Rory, bevor dieser mit einem schwarzen Aktenkoffer in der Hand bei der Bahnhofskneipe aufschlug. Die Wartezeit war aber völlig in Ordnung gewesen, da Spectre sie nutzte um das Treiben des sozialen Milieus um sich herum zu analysieren, und Kasha erst beim Eintreffen seines Kumpels wieder in den Körper gelassen wurde. Naja, dafür, und zum Bier trinken.

»Da ist das ganze gute Zeugs drin«, waren Rorys erste Worte, während er ein paar Mal auf seinen Koffer klopfte.

Kasha hatte schon fünf Bier getrunken, extra langsam, weil er wusste, dass Rory sicherlich auch noch mindestens eins bestellen würde, sobald er ankam. Dem war auch so. Bevor Kasha irgendetwas sagen konnte legte Rory erstmal mit einem sehr unerwarteten Thema los.

»Hey, nochmal danke für das beim letzten Mal. Nicht nur wegen diesen Asis, sondern auch wegen der Zeit mit Stella davor. Cassy wollte eigentlich schon immer mal raus in den Körper und ein bisschen Spaß für sich selbst haben, aber sie hatte sich einfach nie so richtig getraut. Meine anderen Befreundeten würden sowas einfach nicht verstehen. Irgendwie, als dann die Trüffel angefangen haben zu wirken, hat sie einfach zu mir gemeint, ich soll sie halt jetzt mal in den Körper lassen. Ich musste da nachgeben, Mann. Verstehst du?«

Kasha nickte und drehte an seinem Bierglas.

»Schon gut.«

Sie tranken ihr Bier aus, umgeben von einem Haufen am Bahnhof gestrandeter Pluralen. Die, die im Anzug warteten, waren meistens vertieft in ihre Geschäftsgespräche. Der Rest mischte sich aus Alkoholkranken, Sportfans, die auf der großen Wandprojektion einem Fußballspiel folgten, und vereinzelt Wandernden, deren Ursprung nicht klar festzustellen war. Der Körper hinter der Theke war immer derselbe Glatzkopf. Elegant und aufgeschlossen bediente die Glatze den Schmelztopf der Gäste. Kasha'aar mochte die Vorstellung sehr, dass sie die irren Drugheads waren, die mit einem Aktenkoffer voll von, wie er annahm, Kokain, Cannabis, MDMA und vielleicht noch einem Überrest an Speedpaste waren. Selbst die best Analysierenden würden nichts mit diesen beiden ungleichen Gestalten am selben Tisch anfangen können. Ein Körper, der im Business-Casual Look und einem schwarzen Aktenkoffer, in aller Ruhe, ohne am Digitalpad zu quatschen und ohne einen einzigen, angespannten oder gestressten Gesichtsmuskel an sich aufzuweisen, mit einem anderen Körper redete, der in einer braunen, über die Jahre hinweg völlig verschlissenen Kunstwildlederjacke da saß, in einem wild glitzernden Edelsteinoberteil, einer zerrissenen Baggyhose, die ein Paar Arbeitsschuhe überdeckte, während beide sich einige Kippen drehten. Welche Art von Zusammenhang würde man schon zwischen zwei solcher Gestalten herstellen können? War das Kashas Rechtskraft? Oder Kashas Bruderkollektiv, das nicht viel von seinem Lebensstil halten konnte? Aber dafür gingen sie viel zu freundschaftlich miteinander um. Es war einfach perfekt so. Kasha wusste natürlich warum Rory in diesem Outfit steckte. Die Polizei interessierte sich nicht für Anzüge im Hemd mit Aktenkoffern. Die interessierte sich nur für deplatziert wirkende Chimas, die ohne ein klares Ziel durch den Bahnhof zu streifen schienen, sich immer wieder in Gruppen von mehreren Chimas trafen und dann wieder ausschwärmten. In diesem Look war Rory zu hundert Prozent sicher.

»So funktioniert eben das Spiel«, scherzte Kasha, indem er Spectres Lieblingssatz ins Innen hinein nachahmte.

Dieser zuckte nur mit den Achseln, denn, ja, so war es. Aber selbst wenn jemand sie durchsuchen würde und die Drogen finden würde, würde die Menge wahrscheinlich nicht ausreichen um ihnen etwas anzuhaben. Die große Toa hatte die Reisegesetzte weitaus mehr verschärft als die Drogengesetze, und nur bei einem nachgewiesenen, wirtschaftlichen Handel mit eingeschmuggelten Singletgütern, unabhängig welcher Natur sie genau waren, konnte die Polizei auch jemanden festnehmen. Wobei Kasha wahrscheinlich wirklich in dieser Klamottenkombination als ein typischer Käufer und Rory als ein typischer Verkäufer eingestuft werden würde. Die neue Lieferung vom Fliegerass aus dem zweiten Weltkrieg würden sie morgen erst noch persönlich abholen müssen. Rory konnte sowieso nichts lange aufbewahren ohne es selbst zu konsumieren. Es gab mal wieder eine Privatparty der Leute vom besetzten Haus, aber diesmal von einer anderen WG, an einer anderen Stelle des Bezirks. Lag wohl ziemlich weit draußen, aber sollte angeblich den Weg wert sein. Es war immerhin Pluralisnacht, der größten Feiertag der Pluralen, an dem sie ihre Unabhängigkeit von den Singlets feierten, die bösen Geister vertrieben und alle Masken trugen, die sinnbildlich dafür standen, dass sie jetzt hier in der Pluralen Welt endlich ohne Masken leben konnten, sich von ihnen in ihrem Alltag befreit hatten. Die Tradition war eben eine Maskeradenparty, aber Kasha und Rory waren nicht die Typen für Maskeraden. Estella hatte zwar gebettelt, aber Kasha ließ sich da nich erweichen, und überhaupt kam die Entscheidung viel zu spontan, um noch irgendetwas Passendes aufzutreiben. Er würde außerdem dieses Mal besser auf den Körper aufpassen. Die Idee war heute Abend zur Privatparty zu gehen, vielleicht höchstens ein bisschen zu kiffen, dann morgen den Tag über zu trippen und unter keinen Umständen dabei in irgendwelchen Seitenstraßen zu laufen. Doch die ganze Scheiße begann schon direkt damit, dass Rory und Kasha'aar sich plötzlich doch bei den sich so unauffällig im Bahnhof treffenden und wieder auseinanderschwärmenden Chimas wiederfanden, weil Rory einfach noch Cannabis brauchte. Er wusste genau, wie man diese Typen angucken musste, damit sie auf einen zukamen und einen zu einem versteckten Seitenausgang mitnahmen, an dem es grundsätzlich abartig nach Pisse roch.

Plurale Welt - Ebene 01/03: GeburtWhere stories live. Discover now