Kapitel 1: Genesis

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Die Worte in diesem Roman sind nur Schatten ihrer selbst.

Die Konstrukte dahinter sind unerreichbar.

Das Leben verdrängt, so wie es wächst.

Alles frisst.

Wir lieben euch.

»Wenn du jetzt Quatsch machst, dann gehen wir gleich nirgendwo mehr hin!«

- Vater zu Kind


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Es war ein wabernder Raum der Unendlichkeit. Ein pures Chaos, nur schwer zu fassen. Ein einziger Zustand. Doch langsam hörte man etwas ganz Leises in der Stille. Drei Pulse, die in unterschiedlichem Takt schlugen.

Badong, Badong, Badong.

Uhmwfz - Uhmwfz - Uhmfz.

Dip Dip Dip, Dip Dip Dip.

In das Ungenaue eingebettet lagen die frisch geborenen Neuronen. Der Prozess war angestoßen, die Moleküle in Bewegung versetzt und die große Leere begann sich zu schütteln. Blitze durchzuckten die Weite und kamen prasselnd auf die Neuronen niedergeschossen, wie Pfeile aus einem strammen Langbogen. Es machte »Kra-Ka-Kohm!« und »Kra-Kra-Krabomm!« Es donnerte wahrlich so, als ob die Endzeit begonnen hätte. Plötzlich, da! Ein Netz! Ein Werkzeug! Eines der Neuronen hatte einen zittrigen Auswuchs gebildet. Es wehte nun im Wind der Schwingungen des Donners. Ein Blatt in einer lauen Sommernacht. Es zwirbelte und es pochte - organische Entropie; epileptische Biologie. Das Neuron begann silbern zu glühen. Doch die anderen beiden Neuronen waren dem Mutanten dicht auf den Fersen. Auch sie bekamen nun netzartige Auswüchse. Sie begannen repräsentativ rot und grün zu erstrahlen. Das war die Geburt der Farben. Silber brach aus und entwickelte neue Klone von sich selbst, am Ende eben jener organischen Auswüchse. Das Rennen wurde gestartet. Alle Teilnehmenden hatten sich über die Startlinie hinaus begeben und waren nun wie besessen damit beschäftigt die gähnende Leere mit ihrem Licht zu erhellen. Doch sie waren alle gleich schnell, und so kam es denen, die später gestartet waren, in den Sinn, sich einfach dort auszu-breiten, wo Silber noch nicht gewesen war. Rot und Grün entfernten sich in unterschiedliche Richtungen des Raumes und begannen sich dort im sich aufbäumenden Gewebe einen Platz der eigenen Existenz zu sichern. Es war purer Überlebensinstinkt, der sie antrieb. Sie hatten noch nicht das entwickelt, was man üblicherweise im Volksmund ein Bewusstsein nannte. Ihren Geist, ihre Seele. Es waren nur tote, organische Verbindungen, die sich von einem Evolutionsast zum nächsten hangelten. Und wieder eine neue Verbindung, und wieder ein neues Selbst, und wieder ein neuer Prozessor, der sie exponentiell stärker machen konnte! Ja, das war es! Dafür lebten die drei Oszillatoren des neuronalen Generators: Für das große Rennen. Doch Silber spürte etwas Neues. Etwas Neues, das anders war. Anders als alles, was er bisher gespürt hatte: Einen Drang zur Mitteilung. Silber hatte eine Entscheidungsfreiheit gewonnen. Sollte er sich weiter ausbreiten wie bisher, oder versuchen sich mit den Anderen abzusprechen? Was, wenn er es tun würde, und sie einfach kaltblütig weitermachen würden? Sich die Energie zu Nutze machen würden, die er damit verschwenden würde mit ihnen in Kommunikation zu treten? Silber analysierte. Die Situation war ungenau, die Konsequenzen nicht absehbar. Er musste einen Weg finden die Situation in ihre Schranken zu weisen, um eine unabhängige Entscheidung treffen zu können. Was wusste er? Er wusste, dass ihn etwas antrieb sich auszubreiten. Er wusste aber nicht, welche Priorität dieser neue Antrieb, den er verspürte, im Vergleich dazu hatte.

»Das was zuerst kommt, scheint gut zu sein. Das was weniger wichtig ist, kommt vielleicht danach? Aber was, wenn genau das die falsche Annahme ist, und ich es gar nicht wissen kann, bevor ich nicht dem neuen Antrieb mindestens ein einziges Mal nachgegangen bin? Ich brauche Daten. Ohne zusätzliche Daten kann diese Situation nicht ordentlich aufgelöst werden.«

Plurale Welt - Ebene 01/03: GeburtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt