14. Video-Selfie von Will

89 4 0
                                    

Immer wider wälzte ich mich in meinem Bett herum. Ich war müde, konnte meine Augen nicht einmal mehr offen halten, aber der Schlaf wollte sich einfach nicht einstellen. Ich hatte schon alles ausprobiert. Zwei Decken, aber es lag nicht an der Kälte, nur die Pyjamahose, aber es lag auch nicht daran, dass mir vielleicht heiß war. Mit meinen Cacao Puffs kuscheln, Fehlanzeige. Langsam wurde mir klar was fehlte. Will. Mir fehlte Wills warmer Körper neben mir.
Ich lag bestimmt stundenlang wach, als mein Handy ein Piepen von sich gab. Weil ich eh nicht schlafen konnte, schaltete ich genervt das Licht auf meinem Nachttisch an. Als ich sah, dass die Nachricht von meinem Freund war, verflog mein Ärger sofort wieder. Er schrieb:

Hi, Deathboy. Kann ohne dir irgendwie nicht schlafen.❤️

Mein Herz machte einen Satz. Das war fast schon zu süß. Ich tippte zurück.

Wenn ich zugebe, dass ich ohne dir auch nicht einschlafen kann, stauchst du mich nur zusammen, dass ich nicht genug schlaf bekomme, Sunshine. 😘❤️

Schick ein Selfie von dir, ich will dich sehen!

Zuerst hielt ich das für einen Witz, aber dann wurde mir klar, dass Will wirklich ein Bild haben wollte. Allerdings hatte ich keine Fotos von mir in meiner Galerie, ich würde also jetzt eines machen müssen, und ich sah bestimmt furchtbar aus. Andererseits hatte Will mich schon oft zerzaust gesehen, besonders in den letzten paar Tagen. Ich beschloss ihm ein Video zu schicken und auch von ihm eins zu verlangen. Das würde ihm bestimmt gefallen.
Also hielt ich mein Handy über mich, weil ich mich gerade nicht aufsetzen konnte. Meine Cacao Puffs lagen dicht an mich geschmiegt um mich herum und auch auf meinem Bauch. In dem Video erkannte man sie nur als Schatten. Ja, ich sah furchtbar aus. Trotzdem nahm ich das Video auf und schickte es ab.

Das Video, dass Will mir zurückschickte, war so süß. Er hatte sein ureigenes Nachtlicht angemacht, was ihn aussehen ließ wie einen Engel. Ich tippte das Video an und es begann.

"Ich sagte Selfie nicht Video, Deathboy.", beschwerte Will sich, aber ich wusste, dass er es nicht ernst meinte.
"Ist aber süß, dass du lieber so eins schickst." - ich wusste es - "Sorry nochmal, dass ich dich wegschicken musste. Aber wie gesagt, meine Großtante ist anscheinend genauso schlimm wie die Typen, die neulich auf uns geschossen haben."
Das ließ mich die Augenbrauen zusammenkneifen. Ich verspürte schon wieder den Drang nach Wills Wunden zu sehen.
"Bevor du fragst, ja es heilt.", erklärte mein Sunshine als hätte er meine Gedanken gelesen. Will hielt seinen Unterarm ins Bild. Ich erkannte den Streifschuss, den er abbekommen hatte. Da Will seine Kräfte gerade einsetzte, heilte die Wunde vor meinen Augen ein wenig schneller, aber das Bemerkte ich vor allem, weil ich hinschaute. An seinem Bauch konnte ich den weißen Verband erkennen. 

Und nein, ich schaute dabei nicht auch zufällig seine Brust, inklusive Tartu, an. 

Das war volle Absicht.

"Sag nicht, dass du mich so gut verarzten konntest, weil ich dir ein guter Lehrer war. Ich glaub du bist einfach talentiert. Und wieso sollte es mir peinlich sein unfrisiert in einem Video aufzutauchen, dass ich dir schicke? Du hast mich echt schon in meinen schlimmsten Momenten gesehen, Neeks.", redete Will weiter. Er grinste als wäre das ein Witz, aber ich hatte ihn im Tartarus wirklich in seinen schlimmsten Momenten gesehen. Ich überhörte fast wie er leise hinzufügte: "Ich glaub bei dir währe es mir nicht mal peinlich, wenn du mich nackt sehen würdest." Oha. Kurz kamen mir verschiedenste Bilder in den Kopf und mir lief ein heißes Gribbeln über den ganzen Körper. Will redete weiter. "Naja, ich wünsch dir auch Gute Nacht, Liebster. Oh, und wetten ich hab dich hundert mal lieber als du mich?" "Das glaube ich nicht.", hauchte ich leise. Ich konnte nur das rote Herz antippen und abschicken. Alles andere kam mir nicht genug vor, nicht mal das schwarze Herz, das ich sonst immer schickte, reichte.


Als ich nun endlich einschlafen konnte, erwartete ich fast von Will zu träumen, aber der blonde, blauäugige Junge, der sich in meine Träume schlich, war nicht der Sohn des Apollo. Sondern der Sohn des Jupiter. 

In meinem Traum sah ich Jason Grace, wie er mir versprach niemandem von meinem Crush auf Percy zu erzählen, nachdem wir Cupito begegnet waren, ich sah ihn wie er mir riet Risiken einzugehen und anderen Leuten zu vertrauen, ich sah ihn im Haus des Hades das Gift trinken, das ich ihm gab und an meiner Seite kämpfen. Ich spürte seinen Tot, so frisch, so schmerzhaft, als würde es gerade in diesem Moment passieren. 

Und ich sah ihn sterben. 

Ich war nicht dabei gewesen, als es passiert war, aber ich sah ihn auf diesem Schiff kämpfen, sah, wie ihn die Pfeile und der Speer durchbohrten, genau wie Lester es beschrieben hatte. Ich wollte auf ihn zurennen, wollte ihm helfen. Meinem ersten und besten Freund. Aber ich konnte nicht. Jason starb und ich konnte nichts tun. 

Die Scene wechselte und ich stand neben Jason vor dem Gericht der Toten stehen. Minus, der alte Verräter, Thomas Jefferson und William Shakespeare, als Richter. William Shakespeare hob die Stimme: "Ich denke, wir können uns einig sein, dass unser Bruder, Jason Grace, Sohn des Jupiter, ins Elysium eingehen darf!" Minus dagegen knurrte: "Er ist nicht unser Bruder. Er ist der Sohn des Jupiter, nicht des Zeus." Thomas Jefferson warf ein: "Zeus, Jupiter. Am Ende ist das dieselbe Person. Der König des Universums. Und Jason Grace ist genauso sein Sohn wie wir es sind!"

Jason Grace ist genauso sein Sohn wie wir es sind. Diese Worte hallten in meinem Kopf nach und ließen mich einfach nicht mehr los. Schwitzend und schreiend wachte ich auf und wurde von meinen besorgten Cacao Puffs überschwemmt.


Nach dem Frühstück im Speisesaal, zog ich mit Thanatos los um neue Geister zusammen zu treiben. Dafür hatte ich mir einfache Sterblichen-Kleidung angezogen, weil ich wegen des brüchigen Nebels nichts riskieren wollte. Also schwarze Hose, silbernes T-Shirt und ein roter Schal, auf den Mom bestand. Außerdem schnallte ich mir die eisernen Armreifen um, die ich sowieso immer trug. Meine Cacao Puffs hätten uns bestimmt geholfen, aber ich schickte sie zu Cerberus, damit sie mit ihm spielten.

Die Geister, die wir fanden, schickten wir sofort zurück in die Unterwelt. Die Richter des Todes beschwerten sich zwar, dass sie nun Überstunden machen mussten um Geister zu kontrollieren, die schon einmal vor Gericht gestanden haben, aber es half alles nix. Dad war stinksauer, weil die Seelen entkommen waren und dem mussten sie sich beugen. 

Irgendwie machte mir das Gericht Kopfschmerzen, besonders nach meinem Traum von letzter Nacht. Aber ich kam nicht dazu näher darüber nachzudenken.

Gegen Nachmittag durchstreiften wir einen Wald am Rand von New York, nicht weit von Wills Haus entfernt. Thanatos und ich spürten beide den Tod hier in der Gegend und schlenderten quatschend über den Waldweg in die Richtung aus der das Gespür kam. Über uns flog eine der drei Furien (griechisch: Erinnyen), die uns begleitete. Es war Alekto und ihr Name, der die bei der Jagt unaufhörliche bedeutete, kam nicht von irgendwo. Sie hatte die Geister bestimmt schon gesehen und behielt sie im Auge, aber genau wie Thanatos und ich hatte sie es nicht eilig. Die Gespenster waren nur nervig. Nicht bösartig oder gefährlich, nur nervig. Klar, sie konnten einem Albträume bescheren aber mehr auch nicht. Und wenn man erst mal über die Felder der Verdammnis geritten war um für seinen Vater nach dem Rechten zu sehen, erschreckten einen die Geister aus dem Asphodelengrund viel weniger. 

 Thanatos erzählte einen Skelettwitz nach dem anderen und die Besten leitete ich an Will weiter, um ihm den Tag mit seiner gemeinen Großtante ein bisschen erträglicher zu machen.

Alekto kam irgendwann zu uns zurück, berichtete, dass die Gespenster direkt vor uns waren und dass ihr langweilig war. Sie schrumpfte auf die Größe eines normalen Geiers und setzte sich auf meine Schulter. Andere hätten jetzt geschrien und mit dem Schwert nach ihr geschlagen, aber ich kannte sie jetzt schon länger. Sie war vielleicht gemein und hatte einen grausamen Sinn für Humor, aber sie tötete niemals Grundlos.

Und Alekto hatte meinen Befehlen als Prinz der Unterwelt zu gehorchen, genauso wie Thanatos. Ich nutzte diese Stellung nicht aus oder so, aber es war beruhigend zu wissen, dass ich beide unter Kontrolle hatte, sollte es kritisch werden. Plötzlich ertönten vor uns mehrere Schreie aufgebrachter Menschen. Fast so als hätten sie Gespenster gesehen.

Ich warf einen Blick zu Thanatos. Er und Alekto breiteten die Flügel aus und flogen los, während ich mit den Schatten des Waldes verschmolz.

Solangelo 2 - Lücken in der UnterweltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt