Kapitel 38

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Noch eine schöne Woche! 

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Throk war ein kräftiger Mann, mit langem, rotem Haar und hellbraunen Augen. Er führte eine Axt mit sich, seine Schultern waren breit und für den Kampf geschaffen. Anders als die Beschützer trug er keinen schwarzen Overall und verhüllte sein Gesicht nicht hinter einer Maske. So konnte Lova auch das Misstrauen in seinem Blick erkennen, als er näher an die Gruppe herantrat.

Er schien Lovas Ankunft nicht mitbekommen zu haben, denn er sah mit gerunzelter Stirn zu seiner Königin hoch. „Was soll das hier?", fragte er, die Stimme laut und durchdringend. Genau wie Mala schien er für das Regieren geschaffen zu sein.

„Diese Frau hat uns um Obdach und Hilfe gebeten", erklärte Mala. „Sie sagt, sie wäre vor drei Jahren in Gefangenschaft der Jäger geraten und ihr wäre erst vor kurzer Zeit die Flucht gelungen. Sie sucht Sicherheit und einen ruhigen Ort, bis die Lage sich beruhigt. Doch ehe ich eine endgültige Entscheidung treffe, will ich deinen Rat hören. Glaubst du, dass wir ihr vertrauen können?" Throk strich sich fahrig durch seinen roten Haarschopf und mustere Lova mit unverhohlener Neugierde. „Ich kann dir nicht sagen, ob sie die Wahrheit spricht", gab er zu und legte den Kopf schief, während seine braunen Augen sich in ihre zu bohren schienen. „Aber ich kann dir sagen, dass die Jäger zu allerhand Grausamkeiten fähig sind."

Mala nickte. „Oh, ja. Damit haben wir ausreichend Erfahrung. Doch all diese Erfahrungen könnten sich wiederholen, wenn sie tatsächlich eine Spionin ist. Dann wäre unser Dorf in Gefahr, unser großer Beschützer... Viggo Grimborn mag tot sein, aber das heißt nicht, dass wir keinen Hinterhalt mehr zu erwarten haben."

Lova hätte ihr sagen können, dass sie irrte. Sie hätte ihr sagen können, dass Viggo lebte, dass sie keine Spionin war, und dass sie sicher keinen Hinterhalt plante. Doch es wäre verschwendeter Atem, denn warum sollten sie ihr glauben? Der verlassenen Frau, die eines Tages auf dieser Insel auftauchte, ohne richtigen Besitz, mit nichts außer der Kleidung, die sie am Leibe trug, und einer Geschichte, die verdächtiger nicht sein könnte. Also senkte sie nur den Blick und schwieg.

„Welchen Zweck hätten die Jäger, uns eine Spionin zu schicken, die kurz vor einem Kältetod steht und in einem ernsthaften Kampf kaum gegen die schiere Übermacht unserer Krieger bestehen kann? Ganz zu schweigen davon, dass ohne die Grimborn-Brüder niemand von ihnen über genügend Intelligenz verfügt, um eine solche Geschichte einzufädeln. Ich schätze, wir können ihr vertrauen, fürs Erste", sagte Throk gnädig, doch seine angespannte Körperhaltung sprach eine andere Sprache. Auch Mala schien zu zögern. „Ich will die Insel keiner Gefahr aussetzen", gab sie zu und musterte Lova eindringlich. „Was erhoffst du dir von uns, Louvisa von Vernell?"

„Ein Obdach", entgegnete die Wikingerin. Ihre Stimme schwankte, da sie in ihren nassen Sachen noch immer zitterte, doch sie bemühte sich, ihre Würde aufrechtzuerhalten. „Ich brauche einen sicheren Ort, zumindest vorübergehend. Ich will meine Zeit bei den Jägern hinter mir lassen." Keines dieser Worte war eine Lüge. Es gab nichts, wonach sie sich gerade mehr sehnte, als einen warmen Platz, an dem sie sich erholen konnte. Und sie wollte vergessen, was sie bei den Jägern gesehen hatte, wollte all das Blut vergessen und die Tode, die sie mit ansehen musste. Dass sie dabei ihren viel zu kurzen Aufenthalt auf den Nördlichen Marktinseln mit dem wohl berüchtigtsten Drachenjäger unter ihnen allen ausließ, war beabsichtigt. „Ich wäre dankbar, wenn ihr mir die Chance dazu geben würdet."

Mala und Throk tauschten einen kurzen Blick, sie schienen sich blind zu verständigen. „Du sagst also, dass du jegliche Verbindungen zu den Jägern kappen möchtest?", fragte Throk dann. „Du willst das Geschehe hinter dir lassen und hier eine Möglichkeit finden, diese Zeit zu vergessen?"

„Was vergangen ist, ist vergangen", antwortete Lova gefasst und wandte sich dann an Mala, die geduldig wartend neben ihr auf der Veranda verharrte. „Haben meine Aussagen sich bewahrheitet, Königin Mala?"

Die blonde Frau nickte erhaben. „Das haben sie", sagte sie lächelnd. „Ich danke dir für deine Geduld." Mala winkte erneut nach Dunja, die bis dahin neben der Veranda auf weitere Befehle gewartet hatte. Sobald sie die Aufforderung ihrer Königin bemerkte, eilte sie mit gesenktem Kopf zu ihr und hielt schweigend inne, ohne Throk auch nur eines Blickes zu würdigen. Dieser schien ohnehin viel zu beschäftigt damit zu sein, an der Kriegerin vorbei zu starren und betont interessiert die Holztreppen zu mustern, während seine Königin mit Lova sprach. „Dunja wird sich um dich kümmern", erklärte Mala, ohne auf die eisige Stimmung zwischen Dunja und Throk einzugehen. „Ich bitte dich, scheue dich nicht, nach etwas zu fragen, wenn du es benötigst. Und wenn du in einer besseren Verfassung bist, muss ich dir noch einige Fragen stellen. Doch bis dahin, Louvisa von Vernell, kannst du dich erholen."

Es war nur zu deutlich, dass sie damit entlassen war, auch ohne Dunjas festen Griff um ihren Arm. Die Kriegerin zog sie sanft, aber bestimmt die Veranda herab und in die Seitengasse, in welche sie vorhin verschwunden war. Dennoch konnte Lova es nicht lassen, einen letzten Seitenblick auf Mala und Throk zu werfen, die nun leise miteinander plauderten. Beide hatten ihre angespannte Haltung abgelegt, die steifen Schultern gelockert und das Kinn ein wenig gesenkt. Sie schienen eine Einheit zu bilden, ein Fels in der Brandung für den anderen, eine helfende Hand, wenn sie gebraucht wurde. Es war offensichtlich, mit nur einem Blick, dass die Beiden eine langjährige Freundschaft verband, die auf gegenseitigem Vertrauen und Respekt beruhte. Bei dem Anblick stieg jene Sehnsucht in Lova hoch, gegen die sie sich so vehement gewehrt hatte.

Die Wikingerin senkte den Blick, wandte sich entschieden ab und folgte Dunjas schnellen Schritten.

~

Lova konnte sich ein genüssliches Seufzen nicht verkneifen, als sie sich in den Badezuber gleiten ließ. Der Duft von Harz und Kiefernholz erfüllte die Luft, das Wasser war angenehm warm und so sauber wie frisches Quellwasser. Es war lange her, dass sie sich tatsächlich ein heißes Bad in einer dafür vorgesehenen Wanne hatte genehmigen können. Sie legte den Kopf in den Nacken und genoss die Wärme, die sie umgab, nachdem sie lang genug in ihrer von dem unfreiwilligen Meeresausflug kalten und klammen Kleidung gezittert hatte. Es war eine Wohltat für ihren Körper und ihren Geist, dass sie sich nun für einen Moment fallen lassen konnte. Wenn Lova ehrlich war, hätte sie sich wohl Stunden lang in der heißen Wanne treiben lassen können, während sie ihren Kopf ausschaltete und in gedankenloser Stille einfach nur existierte, ohne sich mit einem ihrer Probleme auseinandersetzen zu müssen. Davon hatte sie ja immerhin eine ganze Menge zu bieten.

Die Wikingerin sank noch ein Stückchen tiefer in die Wanne hinein, bis das Wasser gegen ihr Kinn schwappte. Sie erlaubte sich, für einen Moment ihre Augen zu schließen und sich dem schwarzen, gedankenlosen Nichts hinzugeben. Langsam lockerte sich ihre verspannte Körperhaltung, ihre Atemzüge wurden langsamer und tiefer. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie sich das letzte Mal lediglich auf sich selbst und ihre Atmung konzentriert hatte, ohne einen anderen Gedanken auch nur zuzulassen.

Doch nur allzu bald war auch dieser Moment vorbei und Lova zwang sich hoch in eine sitzende Position. Mit routinierten Bewegungen wusch sie Dreck und Salz aus ihrem Haar, welches schon wieder völlig verfilzt war und einen Kamm gut vertragen könnte. Sie würde Dunja nachher darum bitten, in der Hoffnung, dass sie ihre dunkelbraunen Locken so vor der Schere bewahren könnte.

Lova stieß ein Schnauben aus und schüttelte den Kopf über sich selbst. Sie hatte wirklich größere Sorgen, und statt sich weiter den Kopf über Belanglosigkeiten zu zerbrechen, angelte sie sich das Handtuch von dem kleinen Hocker neben der Wanne. Dann trennte sie sich widerwillig von dem warmen Wasser und schlang sich eilig das Tuch um den Körper, ehe sie erneut zu frieren begann. Das stellte sich allerdings als verlorene Mühe heraus, denn von ihren nassen Haaren tropfte es in regelmäßigen Abständen auf ihren Nacken. Nun wusste Lova auch wieder, warum sie so selten heiße Bäder nahm; die anschließende Kälte verdarb jede mögliche Entspannung.

Mit einem Seufzen ließ Louvisa sich auf den Hocker sinken und tastete prüfend nach ihrer Kleidung, die sie vorhin noch so schnell wie möglich abgestreift hatte, um das widerlich klebende Gefühl an ihrer Haut loszuwerden. Auch jetzt war ihr Hemd noch immer klamm und kalt, von ihrer Lederhose ganz zu schweigen. Und bei dem Winterwetter, welches das Archipel gerade heimsuchte, würde sich an diesem Umstand vermutlich nicht allzu schnell etwas ändern. Sie würde Dunja um neue Klamotten bitten müssen, ob sie wollte oder nicht, denn anderenfalls würde sie sich die nächsten Monate mit einer Erkältung herumschlagen, die sich gewaschen hatte. „Wirklich großartig", grummelte die Wikingerin in ihren nicht vorhandenen Bart. „Wie ich Menschenhändler doch liebe."

Ein zaghaftes Klopfen ertönte, dicht gefolgt von einem Räuspern. „Kann ich reinkommen?", fragte Dunja. „Ich habe trockene Sachen für dich dabei." Lova nickte, bis ihr klar wurde, dass die Kriegerin sie nicht sehen konnte. „Ja", antwortete sie verlegen. „Gern."

Die Tür öffnete sich mit einem Quietschen und Dunja schob sich hinein, einen Stapel undefinierbarer, schwarzer Kleidungsstücke in den Armen. Ihre Maske und Kapuze hatte sie abgelegt, sodass ihr feuerroter Haarschopf nun in ganzer Pracht zur Geltung kam. Er war genauso praktisch kurz geschnitten wie Malas, doch deutlich lockiger und ungezähmter. Es verlieh der taffen Frau einen freundlichen Flair, der sie sogleich um einige Jahre jünger wirken ließ. Auch der verkniffene Zug um ihren Mund war verschwunden, was vermutlich Throks Abwesenheit geschuldet war. Etwas an dem zweiten Anführer schien Dunja zutiefst zu missfallen.
„Hier", sagte die Rothaarige schließlich entschieden und hielt Lova den schwarzen Stapel entgegen. „Er ist aus demselben Material wie die Kleidung von uns allen hier, aber wenn du lieber deine Sachen tragen möchtest, kann ich das verstehen." Die Andeutung eines Lächelns zupfte an Dunjas Mundwinkeln. „Ich kann sie zum Trocknen aufhängen, während du dich umziehst."

„Danke", gab Lova zurück und meinte es auch so. „Ich bin dir etwas schuldig." Doch Dunja winkte nur ab und hob den zusammengeknüllten Stapel nasser Kleidung vom Boden auf. „Sag solche Dinge lieber nicht leichtfertig", riet sie ihr. „Einige hier nehmen Schwüre dieser Art als bindend hin. Aber dennoch, immer wieder gern, schließlich bist du ein Gast der Königin." Mit diesen Worten verschwand die Kriegerin eilig durch die Tür und ließ Lova allein in dem Badezimmer zurück.

„Gast der Königin", murmelte sie und stützte fassungslos den Kopf auf den Händen ab. „Das bin ich wohl." Und es war unnötig zu erwähnen, dass ihr dieser Umstand ganz und gar nicht gefiel.

~

„Ich schulde euch meinen Dank für die Güte, die mir gewährt wurde", sagte Lova förmlich. Es waren ihre ersten Worte, kaum dass sie in Malas Hütte getreten war. Vor allem aber war es keine Lüge – sie war der Königin tatsächlich einen Dank schuldig, und Malas Entscheidung war überaus gütig ausgefallen. Es hätte wesentlich schlimmer laufen können, auch wenn sie sich in dem feuerfesten, nachtschwarzen Overall, den Dunja ihr überreicht hatte, noch immer ziemlich unwohl fühlte. Die Beschützer des Flügels mochten ein gerechtes und friedliches Volk sein, doch auch das änderte nichts an dem Umstand, dass Lova niemals hierhergekommen wäre, wenn man ihr die Wahl gelassen hätte. Und dass „man" in diesem Fall „Viggo" bedeutete, machte die Sache auch nicht wirklich besser, immerhin war er der Erzfeind jedes zweiten Wikingers im Inselreich, diese hier nicht ausgenommen.

„Du bist uns nichts schuldig", erwiderte Mala schnell und bestätigte damit, was Dunja ihr vorhin über Schwüre gepredigt hatte. „Außer natürlich einige Informationen." Bei diesen Worten war ihre Stimme deutlich schärfer geworden und Lova fragte sich unwillkürlich, ob die Königin nicht doch etwas über ihre Vergangenheit ahnte. Oder vertraute sie ihr lediglich nicht weit genug? Letzteres wäre wohl nachvollziehbar und die Wikingerin konnte nicht leugnen, dass sie darauf hoffte.

„Was möchtest du wissen?", fragte Lova und achtete darauf, dass sich nicht der leiseste Hauch von Unwohlsein in ihre Mimik oder Gestik verirrte. Nichts durfte verraten, was wirklich hinter ihrer improvisierten, halbwahren Geschichte steckte. Das war auch einer der Gründe, warum sie Throk der mit finsterer Miene neben seiner Königin stand, völlig ausblendete, ehe er sie aus der Fassung bringen konnte.

„Einiges", begann Mala vage. „Ich bitte dich, alle Fragen ehrlich zu beantworten. Falls du aus nicht nachvollziehbaren Gründen lügen solltest, muss ich leider darüber nachdenken, mich weniger gnädig zu zeigen. Wir können uns keine Spione hier leisten, Louvisa von Vernell. Ich hoffe, ich habe mich klar ausgedrückt."
Und damit begann das Verhör.


„Du bist Louvisa von Vernell, Tochter des Häuptlings und letzte Überlebende deines Stammes. Kannst du das bestätigen?"

„Kann ich."

„Du bist vor mehr als drei Jahren unfreiwillig zu den Jägern geraten, nachdem diese deine Insel zerstört haben, ist das richtig?"

„Das ist richtig. Sie wurde auf Befehl von Ryker niedergebrannt."

„Laut meinen Quellen ist Ryker Grimborn tot. Was weißt du darüber?"

Lova versteifte sich. Diese Frage war tückisch, sie traf genau ihren wunden Punkt. Dennoch versuchte sie, sich nichts von dem anmerken zu lassen, was in ihrem Inneren vorging. Sie wollte nicht wieder in Tränen ausbrechen wegen dem, was dieser Mann – dieses Monster – ihr beinahe angetan hätte. Es reichte, dass Viggo sie deswegen so aufgelöst gesehen hatte.

„Er starb bei einem Angriffsfeldzug gegen die Drachenreiter. Ich habe auf den Nördlichen Marktinseln davon gehört, während ich dort untertauchte."

„Gut. Hattest du Gründe, auf seinen Tod zu hoffen oder das Gegenteil zu tun?"

Lova konnte sich gerade noch davon abhalten, verwirrt die Stirn zu runzeln. Sie war sich nicht einmal annähernd im Klaren darüber, was diese Frage der Königin verraten sollte, doch andererseits konnte sie sich keine Auffälligkeiten erlauben.

„Ich kann nicht leugnen, dass es mir Genugtuung verschafft hat." Das hatte es tatsächlich.

Mala schmunzelte, die erste Gefühlsregung seit Beginn des Gesprächs. Doch auch diese verschwand schnell unter ihrer gleichgültigen Maske aus Stein, die die Königin sich wohl für Verhöre aufsparte. „Es beruhigt mich, dass zu hören."

„Ja." Mehr brachte Lova nicht heraus, während ihr Blick an Throk hängen blieb. Seine Miene war noch finsterer geworden, falls das überhaupt möglich war. Die Erwähnung Rykers schienen auch in ihm dunkle Erinnerungen wachzurufen. Hatten die Beschützer genau wie sie dutzende Gründe, auf den Tod des Grimborn Bruders zu hoffen? Hatten auch sie diese grimmige Erleichterung verspürt, als sie erfahren hatten, dass er auf dem Grund des Meeres sein Ende gefunden hatte? Hofften sie genauso auf Viggos Tod, wie Lova es vor drei Jahren getan hatte? Hätte Königin Mala Verständnis dafür, dass sich die Umstände für Louvisa mit der Zeit geändert hatten, oder würde man sie selbst mit der Wahrheit im Hinterkopf den Drachen zum Fraß vorwerfen? Sie wusste es nicht, vielleicht gab es daran auch nichts zu wissen. Vielleicht gehörten die geschmiedeten Ketten zwischen ihr und Viggo zu den Dingen, für die es keine Erklärung gab, die einfach eines Tages auftauchten wie der erste Schnee des Winters. Leise, unbemerkt, bis die unberührte Schönheit einen so tief in ihren Bann zog, dass man voll und ganz verloren war.

„Ich muss dir noch eine Frage stellen, Louvisa von Vernell", begann Mala förmlich und sah sie entschuldigend an. „Ich bin mir bewusst, dass ich dir damit vermutlich sehr nahe treten werde, näher als mir zusteht, doch ich muss dich auch um eine möglichst ehrliche Antwort bitten."

Während Lova ein weiteres Mal förmlich zu Eis erstarrte, schien in Throks Körper Leben einzukehren. Er verschränkte die Arme vor der Brust, legte den Kopf leicht schief und lehnte sich nach vorn, um jedes Wort in sich aufzusaugen.

„Wie stehst du zu Viggo Grimborn, Louvisa?"

Ihre Welt zerfiel in Stücke. Tausend kleine Stücke, die nur darauf warteten, sich in ihre Haut zu bohren, ihr unwiderrufliche Wunden zuzufügen und sie Stück für Stück auf den unausweichlichen Abgrund zuschoben. Sie stand zwischen dem schweren Weg ihrer Vergangenheit, der aus Bergen und Tälern bestand, sich durch die gierigen Hände des Todes schlängelte, und der pechschwarzen Schlucht ihrer Zukunft. Sie wusste nicht, wie sie auf diese Frage antworten sollte, die für sie alles entscheiden würde. Sie konnte nur vorangehen und springen, ins Ungewisse, während sie damit zugleich unweigerlich ihre Vergangenheit hinter sich ließ.

Wenn sie die Wahrheit sagen würde, würde sie mehr gestehen, als sie selbst zu hören bereit war. Und wenn sie ein einziges Mal in ihrem Leben wirklich ehrlich mit sich selbst war, dann hasste sie ihn. Sie hasste ihn, weil sie ihn nicht vergessen konnte, sie hasste ihn, weil sie noch immer hörte, wie er sie mit sanfter Stimme „Liebste" nannte, sie hasste ihn, weil sie sich nach ihren Gesprächen sehnte, nach der Wärme in seinen Augen und seinen Lippen auf ihren. Und sie hasste ihn ganz besonders, weil sie ihn eben nicht hassen konnte.

„Er ist ein skrupelloser Mann", sagte Lova nur, weil sie all diese anderen Worte nicht aussprechen konnte. „Er hat wohl mehr Leben auf dem Gewissen, als ich zählen kann. Wie könnte ich anders, als ihn zu verabscheuen?"

Lova hätte tausend Argumente gegen ihre eigene Frage finden können, doch als Mala nur zufrieden nickte, sprach sie kein einziges von ihnen aus. Und während Throk sie weiterhin mit düsterem Blick musterte, schwieg sie.

ClematisWhere stories live. Discover now