Kapitel 18

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Lovas Hände waren von kaltem Schweiß überzogen, ihre Beine wippten unkontrolliert auf und ab und sie biss sich auf die Unterlippe, um keinen panischen Schrei auszustoßen. Wieder und wieder musste sie würgen, wann immer der Gestank von dem, was eigentlich in den Kopf des blonden Jägers gehört hatte, in ihre Nase stieg. Sie lehnte sich nach vorn, als sie sich schließlich erbrach, doch nur ein Schwall Wasser landete neben ihren Stiefeln, die im Blut des Mannes standen und sich langsam mit dem alles verschlingenden Rot vollsaugten. Keuchend fuhr sie hoch und kämpfte um Fassung, während sich die reinweißen, verdrehten Augäpfel des Mannes in ihre Netzhaut brannten. Obwohl sie sich nichts mehr in ihrem Magen befand, was sie hätte loswerden können, ließ die Übelkeit nicht nach und mischte sich mit der zentnerschweren Schuld in ihrem Bauch. Hätte sie nicht auf ihren Beweis beharrt, hätte der unschuldige Jäger vielleicht bereits das Zelt verlassen können, ehe... Lovas Körper verkrampfte sich, sie sank in eine gebeugte Haltung und würgte, bis ein schmaler Faden aus Speichel und Galle auf den Boden zu ihren Füßen tropfte.

„Erbärmlich", hörte sie den Mann am Zelteingang abschätzig schnauben, während sie darum kämpfte, nicht noch mehr ihres ohnehin fast nicht mehr vorhandenen Mageninhalts auf unangenehmsten Wege loszuwerden. Erst, als Lova sich sicher war, dass sie keine weitere Welle der Übelkeit erwartete, brachte sie es fertig, den Kopf zu heben. Von Schweiß verklebte Haarsträhnen hinderten sie an einer klaren Sicht, doch sie sah genug, um den Mann vor sich identifizieren zu können; Kurz geschorenes, schwarzes Haar, ein markanter Bart in der gleichen Farbe, kalte braune Augen, ein Schwert mit gezackter Schneide aus drachensicherem Stahl.

„Sagt der vom Thron gestoßene Älteste des Grimborn-Clans", gab Lova kalt zurück, obwohl ihr Atem noch immer abgehackt und viel zu schnell ging. „Bist du hier, um grundlosen Mord an deinen eigenen Verbündeten auf die Liste deiner zahlreichen Verfehlungen zu setzen oder bereitet es dir mittlerweile einfach Freude, Menschen abzuschlachten?"

Ryker stieß ein zorniges Knurren aus und riss sein Schwert grob aus dem Hinterkopf des toten Jägers, ehe er über die am Boden liegende Leiche stieg und ihr die blutverschmierte Spitze gegen die Stirn hielt. „Was hat er dir erzählt?", fragte er sie mit vor Wut bebender Stimme. „Antworte mir, wenn du nicht wie der Verräter enden willst." Lova verengte die Augen zu schmalen Schlitzen. „Du nennst ihn einen Verräter?", gab sie zurück. „Ausgerechnet du?"

Er presste das kalte Metall seiner Waffe gegen ihre Stirn, heißes Blut lief über ihre Schläfen, welches sicher nicht zu ihr gehörte. Nur mühsam hielt Lova ein weiteres Würgen zurück und lehnte sich so weit wie möglich nach hinten, um Rykers Schwert zu entfliehen. „Ich habe dich wohl nicht richtig verstanden...", sagte er und kam ihr so nahe, dass ihre Nasenspitzen sich beinahe berührten. Lova zuckte nicht zurück, obwohl sie ihm am liebsten die braunen Augen aus den Höhlen gekratzt hätte. „Dann lies meine Lippen", entgegnete sie kalt. „Aus mir wirst du kein Wort herausbekommen." Sie formte jedes Wort so deutlich, dass selbst ein Halbblinder die Bedeutung von ihren Lippen hätte ablesen können.

Rykers Gesicht verzerrte sich zu einer zornigen Grimasse, sie sah das wütende Feuer in seinen Augen, verbrannte sich beinahe daran und wich dennoch keinen Millimeter. „Spiel nicht mit mir, Miststück", spie er ihr entgegen.

„Was willst du tun?", fragte Lova zurück und hob die Brauen. „Wenn du mich tötest, wirst du nie erfahren, wo dein Bruder ist. Viggo hat noch immer die Kontrolle über die Jäger außerhalb der Basis und..." Ein Faustschlag gegen ihre Wange brachte sie abrupt zum Schweigen. „Halt deinen dreckigen Mund", stieß Ryker hervor und stieß sein Schwert in den Boden zu ihren Füßen. „All die Jahre musste ich mir anhören, wie viel klüger mein kleiner Bruder ist. Ich habe zugesehen, wie er sich genommen hat, was rechtmäßig mein war. Ich werde nicht daneben stehen, wenn Viggo mich ein weiteres Mal beiseite stößt, hast du verstanden?"

Lova hob mühsam den Kopf, obwohl ihre Sicht verschwamm und das Blut in ihren Ohren rauschte. „Ich habe nichts mit eurem Machtkampf zu tun", kam es leise über ihre blutigen Lippen. Ihre Gedanken rasten, während sie den Widerhall des Schlages noch an ihrer Wange spürte. Ihre Welt wankte, schwarze Punkte tanzten vor ihren Augen.

„Da irrst du dich", gab Ryker zurück und hob grob ihr Kinn an, damit sie ihm in die Augen sah. Seine Finger gruben sich in ihre Haut, hinterließen rote, sichelförmige Abdrücke. „Du hast ihn weich gemacht. Erst die Aufhebung der Brandzeichen, dann folgt er dir und dem Skrill allein auf eine einsame Insel, er toleriert die Anwesenheit dieses Wechselflügler-Biestes, zeigt dir all unsere Pläne und schert sich alles in allem deutlich mehr um eine heimatlose, nichtsnutzige Dahergelaufene, als er sollte." Ryker unterbrach seine Auflistung, um ihren Kopf grob gegen die Lehne des Stuhls zu pressen und damit ihre schutzlose Kehle freizulegen. „Das wird ihm jetzt zum Verhängnis werden."

Lova gab ihr Bestes, sich gegen seinen festen Griff zu wehren. Wieder und wieder riss sie ihren Kopf hoch, nur um von Ryker wieder zurückgezerrt zu werden. Ihre Tritte gegen seine ungeschützten Beine unterband er bald, ohne, dass sie ihm wirklich geschadet hätten. Einzig ihre hasserfüllten Blicke blieben ihr, um sich gegen ihn zur Wehr zu setzen.

„Bleib weg von mir", stieß sie hervor, doch Ryker griff nach ihrem braunen Haarschopf und zog so heftig daran, dass Lova einen spitzen Schmerzensschrei ausstieß und den Kopf in den Nacken legte, um das Ziehen wenigstens ein wenig zu verringern.

Er gab ihr keine Antwort, stattdessen nahm er einen Dolch aus seinem Stiefel, den er vermutlich für Notfälle darin verstaute. Mit kaum verborgener Panik in den grauen Augen schielte Lova auf das im schwachen Licht des Zeltes glänzende Metall und wagte es kaum, einen Muskel zu bewegen, während die Waffe ihrer ungeschützten Kehle immer näher kam.

„Erzähl mir, was du weißt", forderte Ryker und presste den Dolch so fest gegen ihre Haut, dass ein feines Rinnsal Blut über ihren Hals lief und den weißen Kragen ihres Hemdes mit roten Sprenkeln versah. Lova stemmte ihre Stiefel in den Boden und drängte ihren Oberkörper so weit wie möglich von dem Mann weg, um Abstand zu gewinnen, doch das Brennen des kalten Metalls an ihrem Fleisch ließ nicht nach. „Ich weiß, dass Viggo noch lebt", brachte sie keuchend hervor, doch Ryker schien diese Antwort nicht zu reichen. Mit seinem Dolch verpasste er ihr einen weiteren, tiefen Kratzer knapp unterhalb ihrer Kehle.

„Wo. Ist. Er?", fragte er, unberührt von ihren Bemühungen, seiner Klinge zu entkommen. Lova gelang es nur mühsam, das Wimmern zurückzudrängen, welches sich seinen Weg über ihre Lippen bahnen wollte. Die Tatsache, dass Ryker sie töten und sie nichts dagegen tun könnte, fraß sich mit ungeahnter Heftigkeit durch ihre Gedanken und machte es ihr unmöglich, gelassen zu bleiben. „Ich weiß es nicht", sagte sie mit bebender Stimme. „Der Jäger wusste es vielleicht, doch er konnte es mir nicht mitteilen."

Ryker verpasste der Leiche des Mannes einen heftigen Tritt gegen den blutigen Hinterkopf und Lova wurde übel bei dem schmatzenden Geräusch, mit welchem Ryker seinen Stiefel zurückzog. „Sag mir ganz genau, was der elende Verräter dir mitgeteilt hat", verlangte der Grimborn und seine freie Hand fand ihren Weg zurück um Lovas Hals. Seine Finger gruben sich in die Würgemale, die er bereits beim ersten Mal hinterlassen hatte, doch dieses Mal schnürte er ihr nicht sofort die Atemwege ab. „Dann kann ich darüber nachdenken, dich am Leben zu lassen."

Lovas Gedanken rasten unaufhaltsam. Es war ihr nicht möglich, einen kühlen Kopf zu bewahren. Der Gestank des Blutes in der Luft, die Schmerzen der Wunden an ihrem Hals, das kalte Metall des Dolches und Rykers Hände, die ihr Leben innerhalb weniger Minuten auf schlimmste Weise beenden könnten, ließen keine rationale Handlung zu. Wut, Hass, Trauer und Schmerz mischten sich zu einem rachsüchtigen Gewühl aus Gefühlen in ihrem Inneren, doch gleichzeitig wusste sie, dass sie nichts tun konnte, um Ryker aufzuhalten. Wenn er seinen Bruder fand und ihn tötete, würde ihr Leben auf ewig von seiner Gunst abhängen. Und wenn er Viggo einmal ermordet hätte, gäbe es keinen Grund mehr, Lova am Leben zu erhalten. Heiße Tränen traten in ihre Augen, einerseits vor Zorn, aber auch vor Frustration und dem dumpfen Gefühl der Hoffnungslosigkeit, welches sie bei dem Gedanken überkam. Was immer sie tat, ihre Überlebenschancen waren niedrig.

Und wie es in solchen Momenten eben so ist, tat Lova genau das, was ihre Chancen wohl niedriger als 0 setzen würde.

„Ich würde lieber sterben, als in einer Welt zu leben, in der Männer wie du an der Macht sind."
Die Worte mochten wagemutig, wenn nicht sogar völlig lebensmüde gewesen sein, doch ihr Tonfall war schärfer als der Dolch an ihrer Kehle. Sie hob das Kinn, obwohl dabei ein Büschel ihres dunkelbraunen Haares in Rykers Händen hängenblieb und die Schneide seiner Waffe sich tiefer in ihre Haut bohrte. „Also los, gib einmal dein Bestes und jag mir den Dolch in den Hals, Ryker."

Statt ihr mit einem gezielten Schnitt die Kehle zu durchtrennen oder sie mithilfe eines weniger präzisen Stoßes in ihre Luftröhre qualvoll ersticken zu lassen, nahm er das kalte Metall von ihrem Hals, trat einen Schritt zurück und... lachte. Das grauenhafte Geräusch hallte in all seiner Häme und Belustigung in ihren Ohren wieder und Lovas stolz gehobener Kopf sank mit jeder Sekunde seines Gelächters ein wenig weiter. Er hätte ihr auch einen weiteren Schlag verpassen können, für ihre Verfassung wäre es gleich verheerend gewesen.

„Den Gefallen werde ich dir dann sicher nicht tun", brachte Ryker schließlich hervor, nachdem sein schadenfrohes Lachen endlich abgeklungen war. Er durchtrennte die Fesseln, die sie an den Stuhl banden, ohne große Anstrengung und riss sie dann grob in eine stehende Position. „Wir werden sehen, wie viel du meinem kleinen Bruder tatsächlich bedeutest", sagte er und sie spürte seine rissigen Lippen an ihrem Ohr, als ob er sicherstellen wollte, dass sie jedes seiner Worte vernahm.

„Und bis dahin kannst du mir dabei zusehen, wie ich endlich die Macht erhalte, die mir zusteht."

ClematisWhere stories live. Discover now