72. Der Besuch

31 2 0
                                    

Im Büro herrschte eine angespannte Ruhe. Der Rektor war zu perplex, um irgendetwas zu sagen. "Ich hatte den Verdacht zwar schon länger, jedoch glaubte ich bis vor einigen Minuten, dass es nicht sein kann. Denn immerhin hatte sie nicht die gewisse Präsenz eines Level-Es. Trotzdem wusste ich, dass sie mit einem bestimmten Reinblüter korrespondiert und dass da irgendwas war, ich konnte mir jedoch keinen Reim daraus machen, dass sich ausgerechnet Lizzy, die Reinblüter so unglaublich hasst, sich einem Level-A anschliessen würde" Kaname stand langsam auf und ging zum Rektor. Er legte seine Hände auf den Schreibtisch und schaute Kaien wütend an. Dieser versuchte auf die schnelle irgendeine Antwort zu liefern, ohne Lizzy zu verraten, jedoch konnte er fühlen, dass, wenn er nur eine Lüge auftischte, er Fischfutter war.
Er richtete seine Brille und sah Kaname ernst an "Erzähl mir erstmal, wie du darauf gekommen bist." "An diesem Abend wurden Seiren wie auch Lizzy schwerverletzt, doch wie kann das sein? Yuki hatte lediglich Anti-Vampir-Waffen bei sich. Ihre Artemis und eine Knarre. Lizzy hätte niemals mit solchen Wunden herauskommen können. Dieses kleine Detail ist mir erst vorhin in ihrer Nacherzählung aufgefallen. Wie kann sich ein Mensch also dabei verletzten? Es wurde mir erst gerade klar. Vorhin am Brunnen hat sie mit ihrer Hand auf den Boden eingeschlagen. Sie hatte leichte Schürfwunden, alles völlig oberflächliche Wunden. Als sie vorhin jedoch sich ihren Mantel angezogen hatte und sich verbeugte, waren alle ihre Verletzungen verheilt. Erklären sie mir das, Herr Rektor." Kaien seufzte laut aus "Ich denke, wir können es nicht mehr länger geheimhalten." "Wer ist der Reinblüter, der hinter alle dem steckt? Es musst der gleiche Vampir sein, der sie beim Herbstfest angegriffen hat. Ebenfalls wäre Lizzy nicht so dumm und würde Shizuka nachlaufen, sie hatte definitiv einen Auftrag von ihrem Meister erhalten, um sie zu töten. Lizzy war nur ein Bindeglied zwischen Shizuka und ihrem Herrn, die offensichtlich etwas gegen einander hatten", erläuterte Kaname seinen Gedankengang. Von Sekunde zu Sekunde wurde er wütender. Die Antwort lag die gesamte Zeit vor seiner Nase. Es war als würde sich Lizzy lustig über ihn machen, dass er so lange gebraucht hatte.
"Ich bin ehrlich mit dir, Kaname-kun. Niemand weiss, wer ihr Meister ist. Nicht mal Akito. Das Einzige, was wir wissen, ist, dass es damals vor 13 Jahren passierte. Als sie von ihrer Dienerin angegriffen wurde. Damals musste sich ebenfalls der Reinblüter Zugang verschafft haben, um sie zu beissen. Denke nicht, dass ich dir absichtlich nichts gesagt habe, aber es war Lizzys ausdrücklicher Wunsch, es geheim zu halten und da sie sich ausgezeichnet unter Kontrolle hat, sah ich keinen Einwand", erklärte der Rektor. Schockiert sah Kaname ihn an "Ein Level-E ist niemals in der Lage mehrere Jahre zu überleben. Dass es Kiryu-kun geschafft hat, gilt schon als ein Wunder, aber 13 Jahre?! Völlig unmöglich. Diese Präsenz hätte die gesamte Nightclass spüren müssen."
Beschämt schaute Kaien seine Hände an "Sie war auch nicht direkt Jahre lang ein Vampir. Akito hatte sie früh angefangen zu trainieren. Zu diesem Zeitpunkt führte der Verband einige Experimente mit Level-Es durch. Sie testeten Medikamente aus, um die vampirische Seite zu unterdrücken. Die Forschung lief hervorragend, jedoch kam es zu Komplikationen und der Verband stellte die Produktion dieser Medikamente ein, weswegen Lizzys vampirische Seite nach und nach immer mehr zum Vorschein kommt. Akito versorgt sie mit Bluttabletten. Ich kann dir jedoch sagen, dass ich es ebenfalls nicht wusste, bis sie einen Anfall hatte und mir die Geschichte erzählt hat."
Kanames Gehirn war völlig ausser Rand und Band. Am liebsten würde er gerade die gesamte Schule zerstören. So eine wichtige Information wurde ihm vorbehalten. Ihm, einer der reinblütigsten Vampire, die es gab. Das ausgerechnet auch noch der Verband hinter so einem Experiment steckte, war ihm absolut nicht geheuer. Level-Es hin oder her, sie stellen eine Gefahr für die Menschen dar und sollten eliminiert werden. Dass ausgerechnet der Verband Experimente durchführte, um Level-Es zu helfen, war absolut widerwärtig. "Sie verschweigen mir noch mehr, nicht wahr, Herr Rektor?", murrte der Reinblüter und fixierte ihn. "Ich denke, dass Lizzy selbst auf dich zu kommen wird mit einigen Fragen, jedoch kann ich dir versichern, dass ich keine weiteren Informationen habe. Es tut mir leid, dass ich dir sowas verschweigen musste, aber es ging nicht anders", erklärte er.
Nur zu gut konnte er die Wut des Vampirs nachvollziehen. Trotzdem wäre es wahrscheinlich besser gewesen, wenn er es nicht herausgefunden hätte. Jedenfalls nicht so schnell. Der Kuran musste sich zusammenreissen, um nicht die Fassung zu verlieren. "Nun denn, ich denke, ich werde mich nun ebenfalls zurückziehen, jedoch werde ich mir ein eigenes Bild über Lizzys Verfassung machen", ohne ein weiteres Wort verschwand er. Der Rektor seufzte. Er wusste, dass das nicht gerade gut ausgehen würde.
Einige Tage später standen Lizzy und der Rektor vor der Psychiatrie. "Bist du sicher, dass du das kannst? Wir können es vollkommen verstehen, wenn du dich nicht bereit dafür fühlst, Yuki nochmals zu begegnen. Immerhin hat sie einiges an Schaden angerichtet", Kaien musterte seine Schülerin. Ihm war bei dieser Sache ganz und gar nicht wohl. Das letzte Mal als er zu Besuch hier war, hatte seine Tochter ihn mit Kissen und Gläsern beworfen. Die Ärzte meinten zwar, sie sei ruhiger geworden und das es helfen könnte, wenn Lizzy selbst hier auftauchte, doch so sicher war sich der ältere Mann dabei nicht. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass es einfach zu früh war.
"Yukis Zustand wird sich ganz bestimmt nicht bessern, wenn sie im Glauben bleibt, dass sie mich umgebracht hat. Der beste Beweis dafür ist, wenn ich vor ihr stehe. Ich tue es für Yuki", erklärte Lizzy und schritt mit gemischten Gefühlen in die Praxis hinein. Beim letzten Satz erinnerte Kaien sich an Alice. Auch sie hatte sich immer zuerst um andere gekümmert und stellte ihre eigenen Bedürfnisse hinten an. Sie wusste nicht, was sie erwarten würde. Das letzte Mal als sie ihrer Freundin begegnete, hatte diese versucht sie zu töten. Wie genau sie versucht hat sich selbst umzubringen, hat ihr bis jetzt niemand erzählt. Ob sie es überhaupt wissen wollte, fragte sie sich selbst.
Die Empfangsdame wies sie in ein Wartezimmer hin, wo sie ungeduldig ihre Zeit absassen. Beide Parteien gaben keinen Mucks von sich. Ein etwas ältere Arzt kam herein "Kaien Cross und Elizabeth Umino, sie können zum Personalkontrolle. Yuki wartet im Wartezimmer." "Wie ist ihr Zustand, Herr Doktor?", fragte Kaien besorgt. Dieser schüttelte nur leicht seinen Kopf "Sie ist zwar ruhiger geworden, jedoch fehlt ihr für vieles den Antrieb. Die Psychotherapeutin versucht ihr Bestes sie zum Reden zu bringen, aber sie bleibt stumm. Sie nimmt an, dass sie sich in ihren Fantasien verliert, damit sie sich nicht der Realität stellen muss."
Lizzy wurde von Minute zu Minute unsicherer. Langsam kam ihr die Idee richtig dumm vor. Vielleicht war es doch zu früh, sie zu treffen, aber machte es einen Unterschied, ob sie Yuki jetzt in diesem Moment begegnete oder erst in ein paar Monaten? Der einzige Unterschied wäre, dass sie nicht mehr leiden müsste und hier rauskäme.
Kaien bemerkte die Unsicherheit und legte ihr eine Hand auf die Schulter. "Es wird schon, ganz bestimmt", lächelte er ihr zu. Die beiden begaben sich zur Personenkontrolle. Sie musste alles abgeben was nicht Niet und Nagelfest war. Ebenfalls wurden ihre Körper untersucht auf weitere Gegenstände. "Falls irgendwas passieren sollte, es wird immer ein Security mit ihnen im Raum sein. Seien sie sich aber sicher, dass das Personal unter der Schweigepflicht steht. Alles, das in diesem Raum gesagt wird, bleibt in diesem Raum", wurde ihnen von einem der Securitys mitgeteilt.
Sie wurden in einen kleinen Raum geführt in dem ein einziger Tisch drinstand mit drei Stühlen. Einer davon war besetzt. Yuki schaute abwesend aus dem Fenster. Sie nahm ihre Besucher überhaupt nicht war. Die beiden setzten sich gegenüber von ihr, aber auch hier keine Regung.
"Guten Morgen, Yuki. Wie geht es dir?", fragte Kaien. Sie warteten auf eine Reaktion, doch es kam keine. "Yuki? Erkennst du mich wieder? Ich bins Lizzy", sagte sie zu ihrer Freundin. Die Cross schaute einfach weiter aus dem Fenster. Keine Emotion lag auf ihrem Gesicht. Nur bei längerem Hinschauen könnte man meinen, Yuki wäre in einer anderen friedlicheren Welt. Verunsichert über die Lage, sah sie Kaien an "Was sollen wir tun? Sie bemerkt nicht mal, dass wir hier sind." Der Rektor überlegte kurz und da kam ihm eine Idee.
Er stand auf und stellte sich ins Sichtfeld seiner Tochter "Liebes? Dein Papa ist hier und hat dir Besuch mitgebracht." Yuki sah nun ins lächelnde Gesicht von ihrem Adoptivvater "Pa...pa?" "Ja, ja genau! Du hast richtig erkannt. Ich bin hier und vor dir sitzt eine gute Freundin von dir", Kaien zeigte mit seiner Hand auf Lizzy und erhoffte sich so, Yukis Aufmerksamkeit auf sie lenken zu können.
Sie folgte dem Finger und starrte Lizzy in Grund und Boden. In diesem Augenblick erkannte die Umino, wie schlecht es ihrer Freundin ging. Ihre Augen waren leer, ihre Haare hatten den Glanz verloren und fielen lasch an ihrem Gesicht hinunter, ihr Lächeln war völlig verschwunden. Sie trug Patientenkleidung und auch wenn diese viel zu gross war, bemerkte sie, wie dünn sie geworden war.
"Pa...pa, ich glaub..., ich... sehe... Gespenster", hauchte sie. Man musste unglaublich ruhig sein, um sie verstehen zu können. Mit traurigen Augen guckte Lizzy sie an "Nein, Yuki. Ich bin kein Gespenst. Ich bin am Leben." Yuki blinzelte einige Male und rieb sich ihre Augen, jedoch konnte man es ihr ansehen, dass sie nicht glaubte, dass Lizzy vor ihr stand.
"Sie lebt, Yuki. Du hast sie nicht umgebracht, du hast niemanden umgebracht", flüsterte Kaien ihr zu und wollte ihre Hand nehmen, jedoch zuckte sie bei der kleinsten Berührung zusammen. "Ich hab sie aber umgebracht..., ich sehe es jede Nacht in meinen Träumen", wisperte sie und Tränen liefen über ihre Wangen. Sie starrte Lizzy an, jede einzelne Bewegung wurde analysiert. Lizzy stand langsam auf und ging zu ihrer Freundin hin. Sie kniete sich vor sie hin.
"Nimm meine Hand und du wirst es fühlen, dass ich noch am Leben bin", sie reichte ihr eine Hand in der Hoffnung es würde etwas bringen. Mit bestürztem Blick griff sie langsam nach der Hand. Yuki hielt den Atem an, als sie die Wärme spürte. "Du bist nicht tot?", flüsterte sie schockiert. Leicht lächelnd schüttelte Lizzy den Kopf "Bin ich nicht, es ist alles nur ein Missverständnis." "Wieso bist du nicht tot?", fragte Yuki weiter. In diesem Augenblick hatte ihr Hirn die Information verarbeitet und der Schock stand ihr ins Gesicht geschrieben. Sie konnte nur an Zero und Kaname denken. Ihr Körper begann zu zittern und sie schlug ihre Hand weg. Perplex sah Lizzy von ihr zu Kaien.
"S... Sie hat mir es aber aufgetragen..., ich muss dich töten...", brabbelte Yuki vor sich hin. "Wieso hat sie es dir aufgetragen Yuki. Was hätte sie dir im Gegenzug gegeben?", Lizzy musste wissen, was ihr Beweggrund war, dass sie so eine Tat begehen würde. "Lizzy, ich denke nicht, dass sie bereits in der Verfassung ist, solche Fragen zu beantworten", meinte Kaien. Er war besorgt um seine Tochter. Man musste kein Arzt sein, um erkennen zu können, dass sie in keiner Verfassung war Fragen zu jener Nacht zu beantworten. In diesem Moment fragte er sich, wieso diese es ihnen überhaupt erlaubt haben, Lizzy mitzunehmen und sie aufeinandertreffen zu lassen. Sie hatte den Rektor jedoch völlig ausgeblendet und sah nur Yuki.
"Zero..., ich will doch nur Zero haben...", schluchzte sie. Die Umino dachte nach. Was hatte Zero mit der ganzen Sache zu tun? "Was meinst du? Was spielt Zero für eine Rolle?", harkte sie weiter nach. Kaien wollte das schlimmste Vermeiden. Eine Gewaltsame Hervorholung von solch traumatischen Erlebnissen konnte einfach nicht gut sein. "Das geht zu weit, ich hole den Doktor. Yuki soll sich ausruhen!", rief der Rektor hektisch und verliess das Zimmer.
Mit leblosen Augen sah Yuki ihre Freundin an "Du... hast mir Zero weggenommen, du... bist Schuld. Schuld an der Distanz von mir und... Kaname." Sie fing an schlecht Luft zu kriegen und atmete heftig ein und aus. Yuki kratzte an ihren Armen. Sie kratzte und kratzte und kratzte, bis ein bestimmter Geruch in Lizzys Nase kam. Sofort packte sie einen Arm und riss den Ärmel hoch. Yuki hatte mehrere tiefe Schnittwunden, welche zwar vernäht wurden, jedoch sind sie durch das Gekratzte wieder aufgegangen und Blut quoll hervor.
Sofort ging Lizzy auf Abstand. Seit ihrem Ausflug nach England hatte sie keinen Tropfen Blut mehr getrunken und die Bluttabletten waren nicht wirklich der Hit. Ohne zu zögern, verliess sie den Raum, schnappte sich ihre Sachen und rannte vor die Tür.
Wenn sie hier in der geschlossenen Psychiatrie die Beherrschung verlieren würde, dann wäre es gewesen. Die Ärzte hätten sie bestimmt eingesperrt und sonst was gemacht. Da hätte nicht Mal Kaien etwas ausrichten können.
Sie hatte nur Rauschen in den Ohren. Vor ihrem inneren Auge hatte sie immer noch die Wunden von Yukis Arm. Mit zitternden Händen holte sie ihre Schatulle hervor und warf sich einige Tabletten ein. Sie wollte würgen, diese Dinger schmeckten nach toter Ratte. Sie bekam einen heftigen Hustenanfall. Das einzige an was sie denken konnte, war ihr Herr. Es war bereits über drei Wochen her seitdem sie ihn das letzte Mal gesehen hatte und sie spürte den Entzug von seinem Blut. Auch wenn es nur einige Tropfen war, hatte er ihr immer wieder Akitos Blut gegeben. Sie lechzte danach nur einen Schluck von dem kostbarem rot trinken zu können.

You've reached the end of published parts.

⏰ Last updated: Jun 08, 2023 ⏰

Add this story to your Library to get notified about new parts!

Verlorene SeeleWhere stories live. Discover now