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Etienne hatte sich an der Schlange vor der Rezeption angestellt und wartete geduldig, dass er an der Reihe war

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Etienne hatte sich an der Schlange vor der Rezeption angestellt und wartete geduldig, dass er an der Reihe war. Er hatte es nicht eilig, ganz im Gegenteil. Er genoss es alleine zu sein, genoss die berühmte Ruhe vor dem Sturm.

Wenn er dem japanischen Sprichwort, nachdem der Biegsame den Sturm am besten überstünde, glauben schenkte, so wusste er selbst, dass er den Sturm nicht unbeschadet überstehen würde. Denn wenn Etienne eins war, dann beständig. Er mochte es, wenn die Dinge ihren gewohnten Lauf nahmen.

Ein großer schlaksiger Typ tippte ihm auf die Schulter und das nun schon zum zweiten Mal. Beim ersten Mal hatte Etienne noch so getan, als hätte er es nicht bemerkt, aber der junge Mann war mehr als hartnäckig.

Etienne zog sich die Kopfhörer vom Kopf und nun hingen sie, während die Musik noch lief, um seinen Hals. „Ja bitte?", fragte Etienne und sah den Mann mit schüchternem Blick an. „Bist du Etienne?" Als er nickte, konnte er buchstäblich hören, wie seinem Gegenüber ein Stein vom Herzen fiel.

„Gott sei Dank. Ich dachte, mir wäre am ersten Tag schon jemand abhandengekommen. Komm mit, ich habe dich schon angemeldet. Die Anderen sind schon alle im Camp." Etienne folgte dem Betreuer, der sich als Gabriel vorgestellt hatte und der auf dem Weg zum Camp pausenlos redete.

„Du spielst Gitarre? Bist du musikalisch?", fragte ihn Gabriel nach einem Blick auf dessen Tasche. „Ja, ein wenig", antwortete Etienne kurz und knapp und seine Untertreibung war an Maßlosigkeit nicht zu unterbieten.

Nicht nur seine Eltern waren davon überzeugt, dass er Talent hatte. Sein einstiger Klavierlehrer sprach sogar von musikalischer Hochbegabung. „Super, dann kannst du uns ja ein kleines Konzert geben." Etienne schüttelte kaum merklich seinen braunen Lockenkopf.

Natürlich spielte er ab und zu für seine Eltern und Freunde der Familie. Aber er stand nicht gerne im Mittelpunkt und war sich auch ziemlich sicher, dass keiner hier im Camp sich für die Musik, die ihn begeisterte, interessierte.

„Ich habe den Nachzügler", rief Gabriel einem anderen Betreuer zu und kam dann vor einem Dutzend Holzhütten zum Stehen. Schnell warf er noch einen Blick auf seine Liste „So, du teilst dir mit drei anderen Jungen einen Bungalow. Komm erstmal an und wir sehen uns dann um 19 Uhr beim Abendessen."

Mit diesen Worten verabschiedete sich Gabriel und Etienne ging die drei Stufen zum Bungalow alleine hinauf. Laut dröhnte der Sommerhit Viva la Mamma von Edoardo Bennato aus dem Inneren.

Etienne konnte nicht verstehen, wie man sich jeden Sommer einem neuen schrecklichen Song hingeben konnte, der aus den einfachsten Akkorden zusammengewürfelt war und den man, sobald der Sommer vorüber war, schon vergessen hatte.

Aber die Welt der wirklich großartigen Kompositionen würde den meisten Menschen auf ewig verborgen bleiben, da sie nicht bereit waren, die Musik tiefer auf sich wirken zu lassen. Für sie waren Lieder nur eine Begleitmusik zu ihrem Leben. Aber Etienne lebte für die Musik.

In seinem Magen zog sich alles zusammen, als er die Türklinke nach unten drückte und schwer atmend den Bungalow betrat.

Die Melodie des SommersWhere stories live. Discover now