Auf der Suche nach dem Ursprung

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Madrid war leicht zu finden. Ein kleiner Fleck Hoffnung in der trostlosen Landschaft, umgeben von einem riesigen halbkugelförmigen Kraftfeld, das im Licht der ungewöhnlich gelblich weißen Sonne flackerte. Je näher wir kamen, desto riesiger wurde es. Als wir am Kraftfeld ankamen, blickte Alva langsam nach oben.

„Beeindruckend. Wie kann ein Ort zu schön und so hässlich zugleich sein?", fragte sie.
„Das ist nicht beeindruckend. Das ist Normalität", stellte ich richtig. „Ein von Hass verzerrtes Gesicht versteckt hinter einer Maske aus Selbstdarstellung", die Stimme schnitt durch die Hitze wie ein kalter Regentropfen. Alva und ich drehten uns gleichzeitig um und hielten dem Neuankömmling unsere Waffen vor die Nase. Das Mädchen lächelte müde. Wissend nickte sie. „Auch ihr habt euch hinter einer harmlosen Maske versteckt und jetzt wollt ihr ein harmloses Kind töten. Eine harmlose Verbannte." Das offenbar gar nicht so harmlose Kind legte lächelnd den Kopf schräg.
„Keine Sorge. Auch wenn ich vielleicht so aussehe... ich werde euch kein Leid zufügen." Die hässliche Narbe am Kinn, das kurze blonde Haar, in dem sich Sand verfangen hatte und die spitze Nase ließen etwas anderes vermuten. Vor allem, als ich den spitzen Dolch in ihrer Hand bemerkte, zweifelte ich an ihren Worten.

„Bring uns zu deinem Dorf",  verlangte Alva.
„Ihr braucht einen Führer? Traut ihr euch etwa nicht an den Clans vorbei? An den Akira? Habt ihr Angst vor den düsteren Gassen?" Das Mädchen blickte uns belustigt an, ihre hellen Augen wirkten beinahe durchsichtig in dem hellen Licht, während sie um uns herumschlenderte.
„Was zur Hölle sind die Akira?", fragte Alva.
„Die Wilden. Ihr erkennt sie an ihren hellleuchtenden Augen. Sie kommen jedoch nur, wenn die Sonne bereits hinter dem Wasser verschwunden ist. Nun kommt." Sie ging los und wir folgten ihr. Welche Wahl hatten wir schon? Früher oder später würden wir sowieso in einen Konflikt geraten.

Als wäre es selbstverständlich, berührte sie das Kraftfeld in einem bestimmten Rhythmus. Lang. Kurz. Kurz. Lang. Sehr lang. Dann ließ sie die Hand dort liegen.
„Ihr fragt euch sicher: Wenn die Verrückte doch eine Verbannte ist, wieso darf sie dann durch die Stadt? Nun ja, darf sie nicht." Sie kicherte leise und nahm die Hand vom Kraftfeld. Alva sah zu mir, verdrehte die Augen und tippte sich an die Stirn.
„Das hab ich gesehen, Rotschopf", meinte das andere Mädchen genervt.
„Ich heiße Alva", erwiderte Alva gereizt. „Und deinen Namen würde ich ebenfalls gerne erfahren, wenn du nichts dagegen hast." Das Mädchen ignorierte sie.
„Macht euch bereit. Lauft durch das Kraftfeld auf mein Zeichen." Sie hielt inne. „Jetzt." Das Kraftfeld schlug Wellen und wir schlüpften hindurch, mitten hinein in die Stadt. Beinahe wären wir von Leuten umgerannt worden, die man von außen nicht gesehen hatte. Durch das Kraftfeld hindurch hatten sie ausgesehen wir seltsamer grauer Nebel. Riesige Steinhäuser ragten in den wolkenverhangenen Himmel, der trotz des Smogs die Sonnenstrahlen auf die Erde scheinen ließ.

„Madrid ist in vier Clans aufgeteilt. Die Iduna, bekannt für ihre Schönheit." Das Mädchen hob vielsagend die Augenbrauen. „Der eitle Clan. Ihr erkennt sie an ihren edlen Gewändern. Kämpfen können sie nicht, aber sie sind reich. Ganz im Gegensatz zu den Tyra und den Berengar, die sich ständig bekämpfen. Ich hoffe wir landen in keinem Bandenkrieg, weder mein alter Clan der Berengar noch die Tyra sind mir wohl gesonnen. Man kann sie kaum unterscheiden. Vermutlich versuchen sie, sich gegenseitig zu vernichten, weil sie sich so ähnlich sind. Würde das nicht bedeuten, sie hätten Angst vor sich selbst?" Sie verdrehte die Augen. Was sie wohl getan hatte, um so viel Hass auf sich zu ziehen? Sie wirkte vielleicht kämpferisch, aber nicht aggressiv und auch durchaus intelligent mit einem winzigen Funken Wahnsinn.
„Und dann", sie lächelte ein wenig verträumt, „gibt es noch einen weiteren Clan. Ein Clan voller Geheimnisse. Der Clan der Callid. Mit ihrer Weisheit legen sich nicht einmal die stärksten Verbannten an. Keiner von ihnen ist jemals den Akira zum Opfer gefallen. Ich würde euch gerne mehr über sie erzählen, aber sie verstecken sich die meiste Zeit außerhalb des Kraftfelds."

Eine dunkelhaarige junge Frau ging an uns vorbei. Die feste Kleidung, das Schwert und der stechende Blick ließen vermuten, dass sie zu den Tyra oder den Berenga gehörte. Einen Augenblick zu lang, verweilten ihre Augen auf unserer Führerin. Ihr Gesicht zuckte kurz, Verwirrung erschien, dann wandte sie den Blick ebenso schnell wieder ab.
„Madeleine O'Canagan", meinte die Führerin mit einem seltsamen Unterton. „Sie wird uns nicht verraten. Trauen sollte man ihr dennoch nicht. Kommt sich wichtig vor, aufgrund ihres Stammbaums. Angeblich haben ihre Vorfahren eine Kolonie auf einem verlassenen Planeten gegründet. Man sagt, sie hätten durch eine Oktavianerin eine große Macht erlangt, die sie unsterblich macht. Sinnloses Gerede, wenn ihr mich fragt."

In der Ferne ertönte ein blechernes Scheppern, ein kurzer Schrei, dann wieder Stille. Die Menschen verfielen in Regungslosigkeit. Ich suchte Madeleine in der Menge, aber sie schien unauffindbar. Im nächsten Moment brach die Hölle los. Menschen mit derselben Kleidung wie Madeleine stürmten in die Richtung des Krachs, der nun erneut aufbrauste.
„Oh nein." Unsere Führerin nahm die Haltung eines Raubtiers an und drehte sich zu uns um. „Wir bleiben am Rand der Stadt, auf keinen Fall dürfen wir in die Bandenkriege geraten." Dann begann sie zu laufen. Und ein weiteres Mal blieb mir nichts anderes übrig als einem Fremden zu vertrauen.

Aphrodite 13 (paused, returning this summer)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt