Mein anderes Selbst

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Rhea

Ich starrte in einen winzigen Fluss, der sich durch den künstlichen Wald unter dem Schloss schlängelte. Ein rotes Augenpaar starrte zurück. Um meinen ganzen Körper schlängelte sich die rote Magie wie eine Schlange, die mich erwürgen wollte. Ich kniete mich auf die feuchte Erde, um diesem anderen Ich möglichst nahe zu sein. Als ich blinzelte, blinzelte sie ebenfalls. Ich ließ die Magie in den Fluss hinabgleiten. Die roten Linien färbten das Wasser blutrot. Vielleicht konnte ich diese Magie ertränken, bevor sie die Macht über mich ergriff.

Die Königin war wütend auf mich und das war genau das, was nicht hätte passieren dürfen. Auch wenn es mir nicht gefiel, ihre Beleidigungen über mich ergehen zu lassen, war es bei machtsüchtigen Personen wie ihr von Vorteil untertänig zu bleiben. Was man wirklich dachte, durfte sie nicht erfahren. Ich würde all meine Kraft aufwenden müssen, um ihr Vertrauen wiederzuerlangen. Wenn ich es denn jemals gehabt hatte. Sie war meine Tante. Ich wollte mich selbst bemitleiden. Meine Familie war völlig zerstört. Eine machtsüchtige Tante, verbannte Eltern, ein geflohener Bruder, eine unbekannte Schwester, die eine Magie besaß, von der ich bis vor kurzem noch nie gehört hatte.

Und ich besaß dieselbe Magie, die nun aus dem Fluss wieder zu mir hinaufkroch, um sich erneut in mir niederzulassen. Ich tauchte meine Hände in das Wasser. Was keine gute Idee war, denn kurz danach züngelten Flammen daraus empor. Erschrocken zog ich meine Hände aus dem Wasser und taumelte zurück, sodass ich gegen einen Baum stieß. Ich wollte diese Magie nicht. War das nicht ein gutes Zeichen? Hieß das nicht, dass ich gerade ich selbst war? Diese Magie behalten zu wollen wäre selbstsüchtig. Was, wenn ich werden würde wie die Königin?

Ich grub meine Finger in die Erde und lehnte meinen Kopf an die warme Rinde. Ich würde alles darum geben, jetzt etwas zu tun, was meine Gedanken zum Stillstand bringen würde. Ich begann, eine alte Melodie zu summen, die mir plötzlich in den Sinn kam. Sie erfüllte meinen Kopf. Ich durfte an nichts anderes denken. Alain. Silvester. Meine Eltern.

„Darkness has come with the earthlings silence", murmelte ich. Ich wusste nicht, woher diese Worte, woher diese Melodie kam, aber sie war tief in mir und ebenso wenig wie die Magie konnte ich sie abschütteln. „In Erions light we'll cause the violence", sang ich. „One's wish will break the border of the bloody moon when darkness has come with the earthlings silence." Ich schloss die Augen. „Verschwinde", flüsterte ich. „Ich möchte dich nicht." Die Magie hörte nicht auf mich. Im Gegenteil, sie wollte sich in mir verankern. Sie würde nicht verschwinden. Mein neues Ich wäre froh darüber.

Wieso sträubst du dich? Das war nicht Anoushs Stimme. Es war meine eigene, aber sie hatte eine Kälte, die ich nicht verstand. Sie hörte sich an wie schmelzendes Eis, dass von Feuer berührt wird. Ich hastete zurück zum See und fiel auf die Knie. Mein anderes Ich lächelte mich an. Ihre roten Augen durchbohrten mich. Du wirst mächtiger sein als die Königin. Du kannst jeden besiegen. Abgesehen von deinen Geschwistern vielleicht. Willst du das nicht? Es ist alles. Sieg ist alles. Freiheit ist nichts. Hast du das vergessen?

„Was machst du da?" Ich schreckte hoch. Grace stand einige Meter von mir entfernt und blickte mich verwirrt an. Ihre blonden Haare hatte sie zurückgebunden und anders als sonst war sie nicht geschminkt. Sie sah aus wie Grace, aber dennoch anders. Ihre Augen waren anders. Das Leuchten darin war verschwunden. „Ist mir eigentlich egal, was du machst", sagte sie dann. „Ich bin nur hier wegen des Trainings." „Ich dachte Narziss übernimmt?", fragte ich. „Er hat zu tun", erwiderte sie knapp. Die Wunde in ihrem Gesicht war nur noch eine schmale Linie, die langsam verblasste. „Es tut mir leid, was ich gesagt habe", meinte ich. „Ich wollte dich provozieren, damit du endlich deine Arroganz ablegst und mir der Welt um dich herum redest. Ohne sie zu beleidigen." Grace zog ihre schmalen Augenbrauen zu einem Strich zusammen. „Wieso sollte ich mit dir reden? Ausgerechnet mit dir?" „Wieso nicht?", fragte ich. „Was hättest du zu verlieren? Denkst du ich verrate der Königin deine Geheimnisse?" Sie wich meinem Blick aus. „Das ist nicht der richtige Ort, um darüber zu reden." Ich nickte.

„Natürlich nicht, Grace. Was soll ich heute machen? Warten, bis ich von Erions Blitzen getroffen werde? Oder soll ich von einem der Türme springen?" Ich hatte gedacht sie würde eine bissige Bemerkung machen, aber ihr Ausdruck war unergründlich. „Du bist nicht die einzige, die es schwer hat", sagte sie schließlich leise, aber es lag kein Vorwurf in ihrer Stimme. „Das weiß ich", meinte ich. „Aber wenn du die letzten Stunden an meiner Stelle erlebt hättest, dann wärst du auch nicht ... bestens gelaunt!" Sie nickte. "Vergessen ist noch viel schwerer als Vergeben." Sie hatte recht, aber es von jemandem wie ihr zu hören, war mehr als merkwürdig. Ich hoffte, das hier wäre nicht das Ende meines alten Lebens. Es hatte gerade wieder begonnen und schon wurde alles wieder durcheinandergeworfen. Ich konnte nicht mehr.

"Lass uns trainieren", sagte Grace. "Lass dich nicht umbringen."

Aphrodite 13 (paused, returning this summer)Onde histórias criam vida. Descubra agora