Die Flucht eines Verzweifelten

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Schatten seiner selbst oder doch eher eine Kopie?
Entscheidungen machen dich nicht zu einem anderen Menschen, sie formen ein Ziel.

Silvester

Sie schüttelte den Kopf und es zerstörte meine Welt. „Aber du musst!", sagte ich. „Willst du tatsächlich abhängig sein? Von einer fanatischen Herrscherin wie der Königin?" Ihr Blick schoss zwischen mir und Alain hin und her. „Es ist eure Entscheidung, wenn ihr geht. Aber ich bin lieber eine Gefangene als tot." Ihre schwarze Schuluniform passte zu meiner Stimmung. Sie strich nervös ihre Cargo-Hose glatt. „Das heißt nicht, dass ich euch nicht helfen kann, aber dazu müsst ihr noch warten. Wenn ich im Palast bin und mich auskenne, könnte ich zumindest das Kraftfeld ausschalten und ermitteln, welcher Turm gerade unbewacht ist."

Ich wandte mich an Alain. „Was war ihr Ergebnis?", fragte er. „Jahrgangsbeste", meinte er schlicht. „Und du!", ich wies auf sie. „Du akzeptierst diese Demütigung?" Unbewusst nahm ich das Rauschen eines nahenden Suchers wahr. „Rhea, ich will nicht ohne dich gehen!", rief ich. „Ich gehe nicht. Das ist meine endgültige Antwort!" Sie blickte nervös nach oben, direkt in die Scheinwerfer eines Suchers. „Alain Benoît, du bist verhaftet!", schallte Achills Stimme aus den Lautsprechern. „Was?", fragte ich verunsichert. „Ich werde ab jetzt ein Gefangener der Königin sein und sie wird ihre oberste Dienerin", meinte Alain schlicht und stellte sich in das Licht des Suchers.

„Bist du verrückt?" Ich zog ihn zur Seite. „Du wirst dich ihr nicht ergeben!" In dem Moment traf ich eine Entscheidung. Vielleicht hatte Rhea Recht, vielleicht konnte sie uns tatsächlich eher helfen, wenn sie blieb. Oberste Dienerin war immer noch besser als Bergarbeiter oder Gefangener. Ich ging an den Anfang der Klippe, so schnell ich konnte. Die fünfzig Meter mussten als Anlauf reichen! Alain folgte mir, obwohl ihm das ganz und gar nicht zu gefallen schien. „Silvester, nicht", flehte Rhea, aber ich ignorierte sie. Sie schaffte es immer, dem Ärger aus dem Weg zu gehen. Ich musste möglichst weit davon weg sein. Und dann begannen wir, zu laufen.

Es dauerte nicht lange, dann war Alain etwa einen Meter vor mir. Rhea würde uns sicher folgen. Der Sucher feuerte, aber er hatte vermutlich den Befehl, uns nicht zu töten und somit traf er uns nicht. Hinter uns flogen Steine in Richtung Himmel und der Sand wurde aufgewirbelt. Ich blickte mich um, aber Rhea bewegte sich nicht. „Rhea, jetzt!", schrie ich. Sie sah unschlüssig aus. Im nächsten Moment zog sie ihren Phaser und ich dachte schon, sie wollte mich aufhalten, aber sie tat es nicht, sondern feuerte auf die Geschütze des Suchers.

In diesem Moment sprang Alain ab. Er nutzte seine Arme, um das Gleichgewicht in der Luft zu behalten. Die sieben Meter schaffte er mit Leichtigkeit und sprang durch das Loch im Kraftfeld. Ich wagte es nicht, nach unten zu blicken, als ich kurz nach ihm absprang. Ich flog durch die Luft und der Wind wehte mir Wassertropfen und Sandkörner ins Gesicht. An dem Sucher explodierte etwas. Offenbar hatte Rhea das Geschütz getroffen. Plötzlich wurde es unerträglich heiß und ich spürte die Spannung des Kraftfeldes. Dann fiel ich unaufhaltsam in die Tiefe. Meine Jacke bremste mich etwas ab und ich kam mit einem unangenehmen Schlag auf dem Wasser auf, was mir sämtlichen Atem aus den Lungen presste. Unerträglich lange Sekunden war ich unter Wasser und versuchte mich nach oben zu kämpfen, was schwerer war, als ich mir vorgestellt hatte. Ich hatte doch tatsächlich gedacht, Rhea würde uns folgen und bereute nun tatsächlich, dass ich gesprungen war. Endlich tauchte ich auf und spuckte eine Menge Wasser aus. Die Wellen hoben mich ein gutes Stück hoch, sodass ich wieder die Hitze des Kraftfeldes spürte. Ich blickte nach oben, aber ich sah alles nur verschwommen, das Licht des Suchers wurde von dem Kraftfeld reflektiert und verschoben. Ich konnte nicht sehen, was auf der Klippe vorging.

„Rhea!", brüllte ich. Und versuchte mich über Wasser zu halten. Alain konnte ich ebenfalls nirgendwo entdecken. Unter das Kraftfeld würde der Sucher erstmal nicht kommen und um es auszuschalten, mussten einige Maßnahmen ergriffen werden. Dennoch hatte ich nicht alle Zeit der Welt und ich musste mich jetzt entscheiden. Entweder ich lies mich wieder einfangen und der Tod war mir aufgrund der versuchten Flucht sicher, oder ich machte weiter. „Verdammt!", fluchte ich und hielt auf den nächsten Wachturm zu. Während der Arbeit hatte ich alles so genau geplant, wie es eben in wenigen Stunden ging. Aber wenn ich ehrlich war, hatte ich schon viel früher angefangen zu planen. Obwohl ich ein guter Schwimmer war, kam ich nur langsam voran. Mein einziges Glück war, dass nur eine sanfte Brise wehte und Erions rote Punkte offenbar momentan nicht gefährlich waren. Außerdem hielt das Kraftfeld die Wellen davon ab, zu hoch zu werden, ansonsten wären Hadit oder Isis vermutlich bereits mehrmals von Überschwemmungen heimgesucht worden. Zwischendurch tauchte ich unter, damit das Licht des Suchers mir nicht folgen konnte. Nach unendlichen Minuten zog ich mich endlich an Land. Beziehungsweise auf den winzigen Felsen, der den riesigen schwarzen Wachturm umgab.

Tropfend blickte ich in den Himmel. Von hier sah es aus, als wäre der tausend Meter hohe Turm in der Mitte durchgeschnitten und um ein gutes Stück verschoben. Die Illusion des Kraftfeldes verwirrte mich immer wieder aufs Neue. Ich wandte mich zur Seite, um Rhea danach zu fragen, aber natürlich war sie nicht da. Ich wäre gerne auf die hohe Plattform des Turms gegangen, aber mein Ziel war es in den unterirdischen Teil zu gelangen, um ans andere Ufer zu den nächsten Kolonien zu kommen. Ich zog den Klasse 10 Phaser aus dem Gurt an meinem Bein und hielt ihn probeweise vor mich. Vorsichtig trat ich näher an die Tür heran. „Alain?", rief ich ein letztes Mal, aber ich konnte ihn nirgendwo in den Wellen entdecken. Vermutlich war er zu einem anderen Wachturm gespült worden. Ich war mir beinahe sicher, dass ich ihn in den unterirdischen Tunneln treffen würde.

Vorsichtig öffnete ich die Tür des Turmes und trat in die erste Etage, die etwa zehn Meter Durchmesser hatte. Die Wände waren rau wie Stein und verschluckten das Licht. Lediglich eine schmale Treppe, die sich an die Seite des Sturms schmiegte und vermutlich bis zur Spitze ihre Kreise zog, öffnete den Weg nach oben. Irgendwo am Boden musste eine Luke sein, die ich öffnen konnte, um in das unterirdische System hinabzufahren. Plötzlich hörte ich Arvids Stimme. „Du sagst also, er ist in einem der Türme?" Ich musste nicht lange darüber nachdenken, wer damit gemeint war. Die Luke hatte ich gefunden, sie war nicht am Boden, sondern in die runde Wand eingelassen. Es wunderte mich jedoch, dass ich die Vertiefung nicht von außen gesehen hatte. Ich hörte hallende Schritte, die in immensem Tempo die Treppe hinabliefen. Ich hatte den verrückten Plan, mir auch noch Arvids Waffen für meine Reise zu sichern, oder andere Vorräte. Ich drückte auf den Knopf an der Wand. „Nicht zugelassen", ertönte eine mechanische Stimme. Gut, dann brauchte ich ihn eben noch für etwas anderes. Sobald ich ihn sehen konnte, schoss ich ihm ins Bein. Den Rest der Treppe fiel er hinab. Innerhalb von Sekunden war ich bei ihm und hielt ihm die Waffe an den Kopf.

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Was würdet ihr tun? Fliehen oder bleiben?

Aphrodite 13 (paused, returning this summer)Where stories live. Discover now