An der Grenze zum Leichtsinn

6 4 0
                                    

Als ich schließlich erneut vor der Königin und dem König stand, realisierte ich, wie gefährlich Anoushs Plan war. So viel konnte schiefgehen. Aber wann war schon alles perfekt? Nie. So viele Fakten, die ich mittlerweile kennen müsste.
„Ich habe leider erfahren, dass du offenbar regelmäßige Touren durch das Schloss unternimmst, Rhea. Durch eine relativ zuverlässige Quelle." Ihr Blick wanderte langsam zu Arvid, der rechts hinter mir stand. „Das Leben gibt nicht jedem, was er verlangt. Vor allem nicht jemandem wie dir." Das war nicht die Wahrheit. Jemand wie sie besaß alles, diese Worte aus ihrem Mund zu hören, fühlte sie an wie ein Skandal.

„Ich bereite mich auf meine Aufgaben vor...", erwiderte ich leise. Das kalte Lachen des Königs unterbrach mich, sein bohrender Blick wanderte zu seiner Frau, deren Augen sich deutlich verdüsterten.
„Diese Ausrede habe ich so oft gehört...", meinte sie schneidend. „Ich hoffe dir ist bewusst, dass du dir deine Intelligenz nur einbildest. Das einzige, was du besitzt, ist deine Magie. Ohne sie bist du nichts." Es fiel mir schwer, mich an Anoushs Plan zu halten. Ich musste mich konzentrieren, um der Magie nichts zu gewähren. Sie wollte sich um den Hals der Königin schlingen und ...
„Ich denke, Rhea war nach den jüngsten Ereignissen noch nicht bereit, ihr volles Potenzial zu offenbaren, Paimoneia. Dennoch spüre ich, dass sie sich beweisen möchte..."
Das spitze Gesicht der Königin schien sich noch weiter zu verschärfen, während sie es zu einem schmalen Lächeln verzog. „Wie immer hast du einen guten Blick für die Zukunft, Nichte."

Langsam erhob sie sich. Das schwarze Kleid glitzerte in dem einfallenden Licht der untergehenden blauen Sonne. „Ich habe genug von deinen Spielchen, Adeodatus. Und wenn du dich beweisen möchtest, dann habe ich eine wunderbare Aufgabe für dich..." Auf ein Zeichen öffneten die Wachen das Tor zum Thronsaal. Ich wusste, wen sie bringen würden. Lass nicht zu, dass deine Gefühle dich kontrollieren. Anoushs Stimme in meinem Kopf und Alains angsterfülltes Gesicht waren das einzige, an das ich mich jetzt noch klammern konnte. Hoffentlich bemerkte die Königin nicht, dass wir nach einem Plan handelten. Alain konnte nicht ahnen, dass ich ihn tatsächlich töten würde, die Königin wusste immer zu viel.

Sie führten ihn an mir vorbei. Als er sich umdrehte, wusste ich, dass meine Ausdruckslosigkeit einen riesigen Riss bekommen würde. Er trug noch dieselbe Kleidung wie an dem Tag, an dem er von der Klippe in sein Verderben gesprungen war, während es für Silvester der Weg in die Freiheit bedeutet hatte. „Du wirst den Verräter töten", schnitt die Stimme der Königin durch meine Gedanken. „Tust du es nicht, können wir dich endlich loswerden", fügte der König hinzu. Grace, die hinter ihm stand, starrte verzweifelt zur Seite. Sie würde gleich sehen, wie ich zum Monster werden würde. Sie würde sehen, wie ich ihrem und meinem Mitschüler, meinem Freund, das Leben entzog. Ich vertraute meinen Fähigkeiten nicht, aber Anoushs Fähigkeiten vertraute ich.

„Ich werde es tun. Ich möchte das Erdenblut in mir verbrennen. Ich werde mein altes Ich zerstören, indem ich ihn zerstöre. Ich werde ein neues Leben beginnen, das allein Euch dient. Euch, die den Planeten Aphrodite 13 repräsentieren. Ihr seid der Planet, ihr seid alles, ich bin eure Dienerin." Ich deutete eine leichte Verbeugung an. Der König wirkte nicht überzeugt, aber zumindest Grace und Achill starrten mich gebannt an. Die Wächter zwangen Alain auf die Knie und brachten ihn dazu, mich anzusehen. Hinter ihm leuchteten die Augen der Königin voller Erwartung in dem dämmrigen Licht. „Nun mach schon. Wir haben nicht ewig Zeit", knurrte Narziss Campbell.

„Rhea, bitte. Das bist nicht du." Ich war mir nicht sicher, ob Alain schauspielerte oder, ob er tatsächlich Angst hatte. Er versuchte sich gegen die Wächter zu wehren, bis er plötzlich stillhielt. Anoushs Blick, die immer noch an der Seite der Halle stand, hatte sich auf ihn fixiert. So unscheinbar und doch so mächtig. Ich würde meine Macht nie wieder verstecken. „Rhea du musst ihnen nicht dienen, sie sind nicht alles", seine Stimme wurde immer lauter. „Sie sind nichts, genau wie alle anderen. Sie machen sich zu etwas, indem andere an sie glauben. Sie denken sie sind Götter, aber eigentlich sind sie Dämonen. Vom Himmel Gefallene, die Ehre und Achtung nicht verdient haben!", rief er. Ich schloss die Augen. Wenn ich ein weiteres Wort hörte, wäre es vorbei. Ich verspürte dasselbe Gefühl wie am Abend als alles anfing. Damals hatte ich Arvid beinahe getötet, jetzt würde ich Alain töten. Einfach so. Ich öffnete die Augen und ging langsam auf ihn zu. „Rhea?", fragte er leise. Ich schüttelte den Kopf und umfasste mit einer Hand sein Gesicht. „Sie existiert nicht mehr", erwiderte ich laut genug, damit die Königin es hörte.

Ich spürte seine Energie. Anoush hatte mir erklärt, was ich tun musste. Ich erinnerte mich an ihre Worte. „Du hast es schon einmal gemacht, Rhea. Erinnere dich an diesen Moment. Du besitzt die Magie und du wirst sie einsetzen. Stell dir vor es wäre der König, Arvid, Grace... die Königin, wem auch immer du gerne das Leben entziehen würdest." Als Alains Atem sich beschleunigte, wusste ich, dass es funktionierte, obwohl meine Augen geschlossen waren. Ich wollte es nicht tun. Ich wollte niemandem das Leben nehmen, auch wenn es nur für wenige Stunden sein würde. Ich spürte Kälte, gleichzeitig verbrannte ich mich beinahe an seiner Haut. Ich hätte ihm gerne über meine Gedanken versichert, dass alles gut werden würde, aber das wäre zu riskant. Ich war zu unsicher darin, die Königin würde es merken. Ich spürte, dass seine Kraft nachließ und meine sich unaufhörlich steigerte. „Die Königin wird glauben, dass er tot ist, aber zusammen können wir ihn zurückholen. Und gleichzeitig gewinnen wir seine und unsere Freiheit", das hatte meine Schwester gesagt. Ich konnte ihr nur glauben. Alains Körper kippte mit einem dumpfen Geräusch zur Seite und ich zog meine schmerzende Hand zurück. Endlich hatte ich es geschafft meine Augen zu öffnen. Meine Wangen fühlten sich feucht an und meine Seele war leer. Der rötliche Schimmer zog sich von Alains leblosen Körper langsam auf meinen zurück und verblasste schließlich.

„Tränen der Erleichterung?", fragte die Königin. Merkwürdigerweise wirkte sie beinahe betroffen. Ich nickte. Ich wusste, es war gegen den Plan, aber ich ging langsam rückwärts. „Entschuldigt mich. Es war ... eine anstrengende Aufgabe." Schließlich machte ich auf dem Absatz kehrt und begann zu rennen. Die Wachen wollten mich nicht durchlassen, aber meine Magie schleuderte sie zur Seite. Die Tür flog mit einem Krachen auf und fiel zu, sobald ich den Saal verlassen hatte. Ich hörte nicht auf zu rennen, bis ich den höchsten Punkt des Schlosses erreicht hatte. Von der Dachterrasse des höchsten Turms aus, konnte ich den Sternenhimmel betrachten. Winzige Punkte, jeder musste doch für etwas stehen. Für Vergeltung. Hass. Zerbrochene Hoffnung. Dunkle Herzen. Mit letzter Kraft umklammerte ich das Geländer. Meinen Tränen hatte ich mittlerweile freien Lauf gelassen. Ich drehte mich um und ließ mich am Geländer hinabsinken. Dieses hinterhältige Universum wollte ich nie wieder sehen. Es brachte mich dazu, jemand zu werden, der ich nie sein wollte, aber ich wusste: Es war schon längst passiert. Die rote Magie gehörte mir und ich gehörte ihr, es gab kein zurück. Jeder, wirklich jeder, der mir je etwas angetan hatte, würde dafür bezahlen. Sie alle würden sterben. Irgendwann.

Aphrodite 13 (paused, returning this summer)Where stories live. Discover now