Die unerwünschte Heimat

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Silvester
Der erste Offizier Ricardo blickte besorgt auf die Erdoberfläche hinab. Sein Gesicht war seltsam verzogen und er tippte einen nervösen Rhythmus auf die Lehne seines Sitzes. Wie so oft in den letzten Tagen hatte Alva es sich auf dem Sessel des Captains bequem gemacht, aber auch sie wirkte seltsam angespannt und lehnte sich langsam nach vorne, um eine bessere Sicht auf das zu haben, was wir gerade alle gebannt betrachteten. Die Erdoberfläche. Ich wusste nicht, was ich erwartet hatte, aber es war definitiv nicht das. Dunkle Wassermassen schienen das wenige braune Land, das noch übrig war zu verschlingen. Die Landmassen sahen aus wie riesige Krusten und Narben, die nie wieder verheilen würden. Als wir uns langsam dem größten dieser Erdstücke näherten fand der Captain endlich seine Sprache wieder. „Das ist der am meisten bewohnte Kontinent. Der Kontinent der Clans. Auch Ceadda genannt. Der beste Ort, um mit eurer Suche zu beginnen, ist sicherlich der Clan der Verbannten."

Die Konturen des Kontinents unter uns schienen sich nun deutlicher hervorzuheben. Das gesamte Stück Land schien wie eine riesige Insel, die sich hoch aus den Wassermassen erhob. An den Rändern waren spitze Klippen und in der Mitte war eine Berglandschaft zu erkennen. Die vereinzelten Grünflächen wirkten kränklich. Zu dunkel. Oder zu hell. Zu braun. Zu gelb. Im Verhältnis zu diesem Ort schien Aphrodite 13 tatsächlich wie der perfekte Ort, aber eben nur auf den ersten Blick.

„Wir setzen euch in Madrid ab", meinte Ricardo. „Euren Weg zum Dorf der Verbannten müsst ihr selbst finden. Dort landen wir ganz sicher nicht."
„Das ist aber nah am Rand", stellte Alva besorgt fest. Der Captain zuckte mit den Schultern. „Denkst du das Universum sorgt sich um seinen Abschaum? Sie könnten ertrinken, sich gegenseitig umbringen..." Alva machte eine abwehrende Bewegung. Mir ging es ähnlich. Ich wollte es lieber gar nicht hören.
„Was sieht das Universum denn als Abschaum?", fragte ich vorsichtig. „Du solltest das am besten wissen", erwiderte Ricardo. Da hatte er allerdings recht. Das Universum hasste das Unbekannte, obwohl Unbekanntheit das war, was die Tiefen des Universums ausmachte. Und genau deshalb hatten die Menschen, die Aphroditer, die Glieser und alle anderen Spezies Angst vor meinen Eltern. Vor dem Unbekannten.

Das sinkende Schiff wirbelte Sand vom Boden auf und ich fühlte mich nach Aphrodite zurückgesetzt. Jedoch war der Sand hier nicht weiß, sondern gelb-braun und durchtränkt von schwarzem Schlamm und grauen, spitzen Steinen, die wie Zähne aus der Oberfläche ragten. Etwa zehn Meter weiter endete der Strand, wenn man es denn so nennen konnte, in einer kantigen Klippe, an der sich in diesem Moment eine dunkle Welle spaltete und mit ohrenbetäubendem Brausen wieder hinabstürzte. Wir setzten mit einem Ruck auf. Die Stützten des Raumschiffs drangen durch die dünne Sandschicht und kamen auf festem Boden auf.

„Folgt dem Lärm. Wenn ihr diesem Weg folgt, solltet ihr Madrids Silhouette bald erblicken", erklärte Sanchez. Alva erhob sich vom Sessel und strich ihre neue Kleidung glatt. Sanchez hatte sie uns bereitgestellt, um uns wie Menschen erscheinen zu lassen. Die Linien in Alvas Gesicht waren überschminkt und von winzigen Hologrammen versteckt. Dennoch würden wie nie hierher passen, obwohl es unser Herkunftsplanet war.
„Wir würden euch Glück wünschen, aber..." Die Frau, deren Namen ich vergessen hatte, blickte uns entschuldigend an, aber ich wusste, was sie meinte. Glück würde uns hier nichts bringen.

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Als wir endlich im Hangar standen und das Tor sich langsam und knirschend nach oben schob, griff Alva nach meiner Hand. „Wir finden meine Eltern. Dann sind wir weg", meinte ich, um sie zu beruhigen. Sie wirkte nicht überzeugt. „Denk an das Versprechen, das ich deinem Vater gegeben habe. Und selbst wenn er nicht gedroht hätte, mich sonst zu töten, würde ich alles tun, um dich zu ihm zurückzubringen." Sie antwortete nicht, sondern lächelte nur. Ihr Griff um meine Hand verfestigte sich und ich spürte ein leichtes Zittern. Wenn es sogar ihr die Sprache verschlug, was könnte uns dann bloß erwarten?
„Sil, wenn wir sie nicht finden ..."
„Das werden wir!", sagte ich bestimmt.
„Sie könnten tot sein..." Mein Kopf zuckte erschrocken zur Seite und ich starrte in ihre Augen. Als das Licht nun hineinschien, wirkten sie nicht mehr schwarz, sondern leuchteten in einem leichten grün, wie das Aphroditische Meer. Mit einem Mal wurde mir klar, dass sie recht haben könnte.
„Wir werden sie finden." Ich tat den ersten Schritt auf die Erdoberfläche und zog Alva hinter mir her. Ich musste einfach daran glauben, dass ich etwas Unzerstörbares in mir trug. Wenn Aphrodites trügerisches Glück mich nicht zerstören könnte, würde diese offensichtliche Gefahr es ebenfalls nicht können. Vielleicht versteckte die raue Schale etwas Wunderschönes. Vielleicht war das hier mein Schicksal.

Aphrodite 13 (paused, returning this summer)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt