Blutmond

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Nach diesem Gespräch war ich in tiefe Dunkelheit gefallen und erst erwacht, als Alva mir gegen den Arm boxte. „Wach endlich auf, Erdling." „Nicht so stürmisch ... Erdling", erwiderte ich. Ihre dunklen Augen funkelten mich wütend an. „Was?", fragte ich grinsend.

„Wir haben das System der Otianer gerade verlassen", meinte sie, als wäre nichts passiert. „Das bedeutet wir fliegen jetzt durchs rote System", erklärte sie sachlich und betätigte einige Bereiche auf ihren Touchscreens. Ich betrachtete den Screen, mit dessen Hilfe ich den Kurs korrigieren konnte. „Das rote System?", fragte ich. Sie warf mir einen belustigten Blick zu. „Du weißt ja echt gar nichts." „Ich dachte neben dem System der Otianer liegt das System Samaels." Samael war ein tiefroter Mond, der mitten im Zentrum dieses Systems lag. Jedoch wurde er gemieden. Man nannte ihn auch den Blutmond, weil dort einst der Krieg zwischen Menschen und Otianern getobt hatte. Danach waren die Menschen gezwungen gewesen, die Erde zu verlassen. Nun ja, nicht alle. Und dass sie die Erde verlassen mussten, war auch nicht nur die Schuld der Otianer. „Das System meine ich", sagte Alva. „Wir nennen es das rote System, wegen des Krieges. Vor allem Otis nennt es so. Er möchte hier ein weiteres Mal Blut vergießen, denn er will Rache."

Ich betrachtete den roten Punkt in der Ferne, den ich für den Blutmond Samael hielt. „Wieso gab es diesen Krieg?", fragte ich. Sie sah mich traurig an und starrte dann ebenfalls auf den scheinbar unschuldigen Punkt in der Ferne. „Und wieso ausgerechnet dort?" Sie seufzte. „Man bringt dir in deiner Schule nichts darüber bei, nicht wahr?", fragte sie. „Oder sagt man euch, wir hätten nur erobern wollen? Alles wäre unsere Schuld?" Sie lachte verbittert. „Ja, das würde passen", meinte sie dann kopfschüttelnd. „Man sagt es so, aber ich habe es nie geglaubt. Die Menschen auf meinem Planeten, schieben es auf die Erdlinge. Auf die Urmenschen." Alva strich sich die Haare aus dem Gesicht. „Der Mond war die Grenze der damaligen Reiche. Jeder hatte dort eine Raumstation. Die Otianer wollten ihr Reich erweitern, die Menschen wollten ihres verteidigen. Oder es war andersherum, das ist immer noch nicht klar. Ich weiß nur, dass Otis Rache will. Aber", sie schluckte und blickte kurz zu mir, „das wird hoffentlich noch ein paar Jahre dauern. Und vermutlich wird es sich eher auf die Erde fokussieren als auf Aphrodite. Den neuen Planeten hebt er sich bis zum Schluss auf."

Ich starrte sie fasziniert an. „Und sie akzeptieren dich?", fragte ich. Obwohl es Krieg gegeben hatte, schienen die Otianer kein Problem mit einer Person zu haben, die Erdenblut hatte. „Ich habe Otis Treue geschworen", meinte sie. „Außerdem gehöre ich zu ... seiner Familie." Sie blickte mich entschuldigend an. „Mein Vater ist sein Cousin. Ein sehr entfernter Cousin, denn Otis herrscht bereits seit Jahrhunderten." Ich starrte sie erstaunt an. „Seit Jahrhunderten? Wie ist das möglich?" „Ich sollte dir gar nicht so viel erzählen", meinte sie.

Wir flogen an einem bräunlichen Planeten vorbei. Für einen kurzen Moment war ich fasziniert von den vorbeiziehenden Sternen. Aber wenn man auf einem Planeten wie Aphrodite lebte, dann war man es gewohnt, das Universum mit gewisser Gleichgültigkeit zu betrachten. „Vor langer Zeit hat ihm jemand geholfen – eine alte Magierin, so erzählt man – sie hat ihm ewige Jugend geschenkt, aber das heißt nicht, dass er unverwundbar ist." Das Universum hielt mehr Geheimnisse versteckt als ich vermutet hatte, hinter jedem Planeten, in jedem Volk versteckte sich etwas, das nur darauf wartete, entdeckt zu werden.

„Indem ich dich zur Erde bringe, breche ich meinen Schwur", meinte sie mit zitternder Stimme. „Otis wird mich nicht mehr akzeptieren." „Was?", fragte ich erschrocken. „Wieso hilfst du mir dann?" Ihr Leben sollte nicht zerbrechen, nur weil sie meinen Wunsch erfüllte. „Es ist die einzige Chance, seinen Befehlen zu entgehen. Ich will nicht töten müssen, wenn es so weit ist." Sie wischte sich übers Gesicht und versteckte sich hinter ihren Haaren, die nun wieder offen über ihre Schultern fielen. Ich kannte diese Geste von Rhea. Der Vorteil, wenn man eine Schwester hatte, war, dass man das Verhalten anderer Frauen leichter deuten konnte. Das glaubte ich zumindest. Sie wollte nicht, dass ich ihre Gefühle sah, sie wollte nicht als schwach angesehen werden. Ich verstand das. Schließlich wollte ich auch nicht schwach sein.

„Du musst nicht töten", sagte ich ruhig. „Ich habe es bereits getan", schluchzte sie. „Ich würde sagen, Otis hat mich dazu gebracht, aber das hieße, ich würde mich vor meinen Taten verstecken. Ich bin eine Söldnerin. Jeder, wirklich jeder, der einen Schritt zu weit geht, der wird auf Otis Befehl hin getötet. Ich habe getötet." Sie starrte an die metallene Decke. Ihre Augen glitzerten wie schwarze Kristalle. „Du kannst jetzt fliehen", meinte ich. „Du kannst deine Vergangenheit hinter dir lassen. Du kannst vergessen." Sie schüttelte den Kopf und presste die Lippen zusammen. „Ich werde es nicht vergessen, damit ich es nie wieder tue. Es ist mir egal, ob Otis dann mich töten lässt."

In dem Schiff breitete sich eine seltsame Stille aus und ich starrte angestrengt auf die Bildschirme. „Also ... Otis will dich töten. Und die Königin von Aphrodite will mich töten ... oder", ich dachte an mein Gespräch mit der Fremden in meinem Traum, „zumindest will sie, dass ich tue, was sie sagt."

Wir schwiegen eine Weile und der rote Punkt kam immer näher. „Wir müssen an dem Mond ein Kraftfeld passieren. Entweder sie lassen uns durch, oder sie nehmen uns gefangen." „Wer überwacht es?", fragte ich mit einer unguten Vorahnung. Sie seufzte. „Otianer und Menschen." „Erdlinge oder ...?" „Aphroditer", meinte sie. Ich knirschte mit den Zähnen. „Sie werden wissen, dass ich komme", meinte ich dann. „Wie bitte sollen wir da durchkommen?", fragte ich.

„Oh, da gibt es viele Möglichkeiten", Alva begann an den Fingern abzuzählen. „Wir durchlöchern das Kraftfeld, wir geben uns als Glieser aus und fliegen einfach hindurch, wir lassen uns gefangen nehmen und zerstören die ganze Station ..." „Das meinst du nicht ernst, oder?", fragte ich.

Ich sprang auf und lief in dem Schiff umher. Sie drehte sich grinsend zu mir um. Ihre spitzen Eckzähne stachen aus ihrem Gesicht hervor, wie winzige Sterne. „Die zweite Möglichkeit meinte ich ernst", sagte sie lächelnd. „Und die erste vielleicht ..." Ich setzte mich wieder. Das Herumlaufen machte es nicht besser. Aus irgendeinem Grund machte sie mich unglaublich nervös und wütend, aber dennoch weigerte sich etwas in mir, sie deswegen zu verurteilen. „Wir sollten einen Stimmverzerrer suchen und ich werde versuchen das Kennzeichen des Schiffes zu verschleiern, sodass es aussieht, als hätte ein Erdling es von einem Otianer bekommen. Sowas gab es tatsächlich, als Versöhnungsgeschenk. Oh, und denk dir einen Namen aus." Ich nickte und atmete tief ein. Ich hatte gehofft, dass die Erde, wo sie doch so schrecklich war, dass sowieso niemand hinwollte, dennoch nur mit einigen Hindernissen zu erreichen war. Der Blutmond kam gnadenlos näher.

„Welche Hindernisse gibt es denn noch?", fragte ich und fürchtete mich vor der Antwort. „Vielleicht den Schutzwall der Erde. Sonst keins." „Keins?", fragte ich ungläubig. „Das werden wir ja sehen."

Aphrodite 13 (paused, returning this summer)Where stories live. Discover now