135. Gefahr aus den eigenen Reihen

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Mal wieder wachte ich durchgeschwitzt auf. Mal wieder hatten mich in der Nacht Träume heimgesucht, die mein Herz zum Rasen gebracht hatten und nun schmerzhaft in meinem Kopf nachhallten. Ich hatte in dieser Nacht meine Tochter gesehen, beobachtet wie Kuchel geweint und geschrien hatte, weil niemand zu ihr zurückkehren würde. Wie sie der Einsamkeit entgegensehen und das gleiche Schicksal erleben musste, welches Levi damals ertragen hatte. Und ich hatte es bereut, bis mich mein Aufwachen erlöst hatte – einmal wieder.

Dieser Tag begann so beschissen wie die Letzten, wobei ich wusste, dass er genauso lang und anstrengend wie das Gestern oder das Morgen sein würde. Es machte langsam keinen Unterschied mehr. Dieses Gefühl, nicht mehr wissen zu können, wohin die nächsten Ereignisse führen würden, brachten mich fast um.

Ich lag auf meinem Bett. Es war nach meiner Ankunft frisch gewaschen worden, wie alles um mich herum, um dieses Zimmer für mich ertragbar zu gestalten, konnte ich doch nicht ewig bei meiner Kommandantin vor der Tür stehen und um einen Schlafplatz betteln.
"Solange Levi auf seiner Mission ist, wird das schon gehen" , hatte ich gedacht. Doch bevor ich mich versehen hatte, hatte ich alles dafür getan, seine Spuren zu verwischen, um dabei nur noch mehr an ihn erinnert zu werden. Mal wieder war seine Übersauberkeit ein Fluch. Doch selbst nachdem ich den Raum ein wenig umstrukturiert hatte. Selbst obwohl ich mit irgendeinem Duftwasser alles eingenebelt hatte, um ein anderes Ambiente zu schaffen, musste ich ständig an ihn denken. Was er wohl jetzt tat? Ob das Lager erfolgreich aufgeschlagen wurde? Auch wie er sich fühlte, fragte ich mich, weil ich doch genau wusste, dass er diesen Affenarsch abgrundtief hasste.

Und so mehr ich darüber nachdachte. So mehr die Ruhe in mir einkehrte und meine Wut nur noch leicht vor sich hin glühte, desto mehr Unsicherheit drängte sich in meine Brust. Mein Herz klopfte so schwer. Mein Atem keuchte vor sich hin. Ich hatte das Gefühl, ich bestünde aus Steinen, die in mir aneinanderrieben, um mich fast schon unbeweglich zu machen.

Ich hörte mein Schreien. Jenes Schreien, welches das Ende zwischen uns verkündet hatte. Ich sah diese Augen vor mir. Diese Augen, die mich darum gebeten hatten, es nicht zu tun. Diese Erinnerung schnürte mir noch immer den Hals zu. Doch noch viel mehr kränkte mich, dass ich vor einigen Tagen erkennen musste, dass er es akzeptiert hatte, so wie er jeden Verlust in seinem Leben ertragen hatte. Das Ende unserer Beziehung machte dabei kein Unterschied. Er schluckte es wie Gift herunter und wartete darauf, daran zu zerbrechen oder es zu überleben.

Langsam stand ich auf und ging zum Fenster.
"Du wirst das schon schaffen..." ,dachte ich, so als wollte ich ihm einen Trost senden und mir selbst dabei einreden, dass ich ihn nicht verletzt hatte. Doch mein Gewissen flüsterte bereits unaufhörlich in mein Ohr, dass dem nicht so war.

"Hättest du bei Kennys Tod wenigstens..."
"Wärst du vor der Kutsche bloß..."
"Wie lange willst du noch so kalt sein?"

Ich verdrehte meine Augen. Diese Reue war kaum noch auszuhalten, stemmte sie sich doch seit Tagen gegen meinen Stolz und gegen die Kränkung, die Levi mir angetan hatte, nur um mich weiter zu quälen. Ich fummelte an meinem Fingernagel, zog einen Teil der Haut ab, bevor mich das eintretende Ziepen aufschrecken ließ.

„Ah..." ,seufzte ich, während ich den Riss in meinem kleinen Finger entdeckte. Es blutete. "So eine Scheiße..." Ich ging zum Schrank, öffnete eine der Schubladen, um energisch darin herumzuwühlen. Wo waren diese Tücher, wenn man sie brauchte? Wo war diese Hand, die mir ein solches ohne Kommentar reichen würde? Diese Hand, die ich eigentlich nicht mehr bei mir haben wollte und doch so schmerzlich vermisste.

Wütend drückte ich meinen blutenden Finger in meinen Mund, während ich die Schublade voller Wucht zuknallte. Das Gebäude bebte. Meine Augen weiteten sich. Mein Herz begann zu stocken. Dieses Beben war nicht mein Werk. Es war unglaublich heftig und schien sogar die Scheiben zum Schwingen zu bringen. Ich schluckte schwerfällig, um daraufhin aus meinem Zimmer zu rennen. Was auch immer gerade geschehen war, es konnte nichts Gutes ankündigen.

Auf dem Hof vor der Kaserne tummelten sich einige Soldaten. Ich drängte mich zwischen ihnen, sah mich orientierungslos um, bis ich Mikasa und Armin entdeckte.
„Was ist hier los?" ,schrie ich zu den beiden herüber, während ich auf sie zuging.
„Teamführerin -dN-, das sehen sie wohl..." Eine junge Soldatin stand vor mir. Sie stammte von der Militärpolizei und wirkte mir bekannt, auch wenn ich sie nur schwer zuordnen konnte. „Der General ist tot... Wer war noch bei ihm?" ,fragte sie meine Truppenmitglieder vorwurfsvoll.

Mein Blick wanderte zu meinen Kameraden.
„Keine Ahnung..." ,stotterte Mikasa leise heraus. Sie wirkte so ungewohnt unsicher, während sie immer wieder an der Militärpolizistin vorbeisah. Ich folgte ihrem Blick und entdeckte es: Dieses Etwas, welches einmal der General gewesen sein musste, lag dort und rauchte vor sich hin. Sein Körper war vollkommen zerfleischt worden. Viel war von diesem Mann, der das Militär angeführt hatte, nicht übrig.

„Sieg dem neuen Reich Eldia!"
„Kämpft mit Herz und Seele!"

Erst jetzt entdeckte ich die Menschenmenge an den Toren der Kaserne. Erst jetzt erkannte ich, dass das Volk nicht mehr feierte, sondern noch mehr Ruhm verlangte. Ich schluckte schwerfällig, während ich einfach nach meinen beiden Kameraden griff.

„Wir klären das erstmal intern. Ihr kommt mit mir!" ,sagte ich einfach und zog sie hinter mir her. Eilig betrat ich mit ihnen die Kaserne, um Hanji aufzusuchen. Allein sie konnte entscheiden, wie wir uns nun zu verhalten hatten. Allein sie konnte überhaupt noch wissen, was zu tun war.
„Truppenführerin -dN-, was habt ihr vor?" ,fragte mich Armin. Ich ließ die beiden los.
„Wir gehen zu Hanji! Sie muss von dem Tod des Generals erfahren. Und noch besser muss sie wissen, dass ihr anscheint bei ihm wart..." ,schimpfte ich. In meinem Kopf rotierte es. Die ganze Situation wirkte wie ein Militärputsch. Wie der Versuch die Macht zu ergreifen, doch ich war mir sicher, dass weder Mikasa noch Armin damit etwas zu tun hatten.

„-dN-, Mikasa, Armin...!" ,hörte ich ein Rufen. Unsere Kommandantin lief bereits auf uns zu, wobei sie winkte. „Es wird eine Besprechung einberufen. Ich möchte euch dabeihaben!"
„Verdammt... Wir sind schon zu spät..." seufzte ich, doch ich folgte der Anweisung. Eilig schritten wir in einen Saal, in welchem bereits Frauen und Männer der Militärpolizei sowie der Mauergarnison versammelt waren. Wir stellten uns an eine Seite des Tisches, welcher sich in der Mitte befand und warteten kurz ab. Es war die Militärpolizei, die als erstes das Wort ergriff:

„Wir glauben, dass die Bombe an einem manipulierten Stuhl befestigt war. Es kamen vier Soldaten ums Leben, einschließlich des Generals. Täter und Ziel sind unbekannt" ,laß ein mir unbekannter Soldat von einem Zettel ab, bevor dieser auffällig skeptisch zu Onyancopon herübersah. Ich stand neben Hanji, die kurz überlegte.
„Er war den ganzen Tag bei mir und die anderen Freiwilligen stehen unter Hausarrest." ,meinte sie, während sie mit einem Handzeichen auf unseren Verbündeten verwies. Ich blickte kurz zu meinem alten Bekannten herüber. In seinen Augen spiegelte sich die Unsicherheit, wobei er fast schon verklemmt an der Wand lehnte.
„Wer könnte es sonst gewesen sein?" ,stellte der Militärpolizist die Gegenfrage.

„Der Stuhl..." ,flüsterte Armin plötzlich. Wir alle blickten ihn an. Wie immer schien er einen Einfall zu haben und vielleicht war es auch diesmal genau der richtige Ansatz.
„General Zackley sagte, der wäre ihm von den neuen Rekruten gebracht worden."
„Von welcher Division?" ,wurde dazwischengerufen. Armin fuhr fort:
„Er sprach nur von neuen Rekruten, aber... Wenige Minuten bevor wir ihn aufsuchten, sahen wir ein paar Rekruten vom Hauptquartier weglaufe. Sie waren vom Aufklärungstrupp..."

In meinem Hals bildete sich ein Stein – vielleicht sogar ein ganzer Felsen. Mir wurde schwindelig. So gut Armins Ehrlichkeit auch war. Er hatte uns soeben in eine schwierige Lage versetzt, denn niemand anderes als Hanji war für den Zusammenhalt unseres Trupps zuständig. Mit der neuen Erkenntnis stand fest, dass sie die Kontrolle verloren hatte und unser Trupp zerbrochen war. Wie sollten die anderen Trupps uns da noch vertrauen?

Ich musterte die skeptischen Blicke, die uns entgegengeworfen wurden. Ich sah in diese Gesichter, die sich fragten, ob wir nicht genauso zu diesem Komplott gehörten, doch dann unterbrach uns ein lauter Aufschrei:

„Wir haben einen Notfall Eren Jäger ist aus dem Gefängnis ausgebrochen!"

Mein Herz blieb stehen.
„Armin, was zum Teufel geht hier vor?" flüsterte Mikasa ihrem Freund zu. Doch ihre Frage – sie hallte auch in meinem Kopf. Sie schallte bis tief in mein Hirn und ließ mich erkennen, dass wir schon lange nicht mehr wussten, wer Eren wirklich war. 

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt