122. Ein Licht

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Die kommenden Wochen und Monate verflossen förmlich in unseren Händen. Die Zeit – sie rannte, so als wollte sie uns Druck machen und uns keinen Moment der Ruhe oder Freude gönnen. Einen Tag wie jenen, den ich gemeinsam mit Levi, Kuchel und Hanji genossen hatte, kam nicht wieder, auch wenn ich sehnlichst darauf wartete. Denn wir wurden getrieben von der Anti-Marley-Allianz und anderen Mächten, die langsam auf Paradies aufmerksam wurden. Allen voran die Azumabitos, welche ein großes Interesse an den Ressourcen der Insel zu haben schienen. Eine Sache, die ganz typisch für dieses Volk war und daher wenig überraschend kam.

Hanji, Levi und ich versuchten den Überblick zu behalten. Wir führten Gespräche, planten den Bau der Eisenbahn mit und prüften diesen, indem wir wöchentlich die Bauarbeiten kontrollierten. Am heutigen Tag stand der Besuch des Elitetrupps an, wobei wir ihnen ebenfalls Neuigkeit mitbrachten. Jene, welche sicherlich nicht für Freude sorgen würde.

„Hey!" ,rief Hanji, als wir unsere Kameraden entdeckten. Wir ritten auf die Gruppe zu, wobei ich Kuchel dabeihatte, da Carolin mit ihrem Sohn erkrankt war. Gefühlt war es ewig her, dass ich sie mit zu einer Besprechung oder ähnliches genommen hatte, doch die Kleine machte sich gut. Man merkte eben langsam, dass sie älter wurde und immer mehr zu verstehen begann.

„Wahnsinn, dass ihr bei der Hitze arbeitet" ,meinte Hanji zu Jean, nachdem wir abgestiegen waren, um an die Schienen heranzutreten. Die Arbeiten kamen gut voran.

„Wir müssen ja bei dem Idioten bleiben" ,beschwerte sich der junge Mann, während er zu Levi heruntersah. Mittlerweile – das fiel nicht nur mir auf – waren die Männer aus Levis Trupp ganz schön gewachsen. Sie alle schienen langsam erwachsen zu werden, wobei sie eine immer maskulinere Figur bekamen.

„Oh Mann... Ihr Rotznasen wachst echt wie Unkraut."
Levis Blick wanderte prüfend hin und her. In seinem Gesicht machte sich eine Art Frust breit. Einen Frust, den ich so bei ihm nicht kannte, immerhin hatte ich noch nie wirklich das Gefühl gehabt, dass ihm seine geringe Größe etwas auszumachen schien. Doch jetzt – jetzt in diesem Moment war es anders.

Ich schluckte schwerfällig, während ich Kuchel vor mir herunterließ, wobei sie meine Hand nahm. Meine Augen fixierten ihn. Fast schon verträumt, schaute ich ihn an. Sah er es denn nicht? Sah er denn nicht, dass es bedeutungslos war, wie viele Menschen um ihn herumstanden und wie viele von ihnen ihre Schatten auf ihn warfen. Ich würde ihn immer sehen, meine Augen ihn immer finden. Er war eben wie ein Licht in der Dunkelheit. Egal, wie klein und unscheinbar dieses im ersten Moment doch wirkt. Egal, wie groß die Dunkelheit um es herum doch sein möge, es weißt einem den Weg und überstrahlt alles mit seinem eigenen Sein.

Levi war genau das für mich. Das und noch so viel mehr. Er war das Einzige, was meinen Blick an sich fesseln konnte und mein Herz festhielt – schon so viele Jahre. Und was mich niemals langweilte, obwohl ich sonst die Abwechslung liebte.

Ich musste lächeln. Es war vollkommen unwichtig wie groß, wie reich, wie mächtig er war. Es würde auch nicht von Bedeutung sein, ob er eines Tages unsicher, schwach oder alt sein würde. Ich liebte diesen Mann. Ich liebte ihn ganz und gar – mit allem Guten und Schlechtem an ihm. Mit all seinen Schwächen, mit all seinen Komplexen und all seinen Eigenarten. Nichts würde dies ändern können.

Levi blickte mich verwirrt an, als er erkannte, wie ich ihn angrinste.
„Was starrst du so?" fragte er. Seine Arme waren verschränkt. Er schien immer noch genervt zu sein.
„Ich habe nur gedacht, dass du wundervoll bist, Levi. Nicht wahr, Kuchel? Papa ist wundervoll!" rief ich aus, während ich mich zu ihr herunterkniete und ihre zwei Ärmchen in die Luft zog.

Levi senkte den Kopf. Sein Haar fiel in sein Gesicht, doch er konnte sie nicht verbergen –diese roten Wangen, die mein Herz schneller schlagen ließen. Sie leuchteten mir entgegen und taten es ein weiteres Mal: Sie ließen alles um ihn herum verschwinden.

„Wir sind nicht hier, um über mich zu reden..." ,versuchte Levi nun das Thema zu wechseln und sah Hanji prüfend an. Es war ein Zeichen. Sie sollte zu dem eigentlichen Thema, weswegen wir unsere Kameraden gerade heute besucht hatten, kommen.

„Ach ja... Wir haben gerade Antwort von den Azumabitos erhalten" ,begann Hanji.
„Und?" ,rief Eren dazwischen. Die jungen Soldaten wirkten sichtlich neugierig und aufgeregt.
„Negativ... Wie es scheint, kann Hizuru uns nicht helfen. War aber auch klar. Hizuru will die Kontrolle über sämtliche Ressourcen von Paradies, da werden sie uns doch nicht helfen mit anderen Ländern Handel zu treiben. Es gibt zwar eine Gruppe, die für die Menschenrechte der Eldia eintritt, aber die gilt als exzentrischer Haufen, den keiner ernst nimmt" ,erklärte Hanji.
„Und die kaum bekannt sind. Ich selbst hatte mit denen auch noch nie zu tun..." ,fügte ich kurz hinzu, bevor Hanji weiterredete:
„Richtig. Bekannt sind die auch nicht, ganz zu schweigen davon, dass die Welt Paradies als potenzielle Bedrohung erhalten möchte, denn ein gemeinsamer Feind schweißt die anderen Länder zusammen und sorgt so für weltweite Stabilität."

Alle wirkten plötzlich bedrückt. Es knisterte in der Luft, so angespannt waren meine Kameraden nun. Doch die Hoffnung – sie durfte noch nicht verloren sein. Wir mussten irgendwie daran festhalten, ob nun mit oder ohne der Hilfe der Azumabitos.

„Heißt das, wir können uns nur noch auf die Walze verlassen und kommen gar nicht drumherum Historia zu opfern?" ,fragte Eren nun.
„So siehts aus. Weil in unserem Vertrag steht, dass wir eine Militärallianz eingehen, die sich auf die Walze stützt..." ,meinte Levi nun. Ich schüttelte den Kopf.
„Auf einer Seite stimmt das, aber vergesst nicht, dass niemand einschätzen kann, was das für eine Zerstörung bedeuten könnte. Die Azumabitos genauso wenig wie die Anti-Marley-Allianz.... Es ist viel zu riskant." ,ergriff ich das Wort.
„Wieso erwägt man dann nicht eine friedliche Lösung?" ,fragte Armin nun.
„Weil sie uns nicht kennen... denke ich..." ,flüsterte Mikasa zu ihrem Freund. Ich nickte.

„Richtig. Und wenn wir im Ausland nur die Azumabitos vorschicken, wird sich daran nichts ändern. Meine Reise in -dNs- Heimat hat mir gezeigt, dass wir selbst mehr vorangehen sollten. Wir beide sind der Meinung, dass wir nach Marley reisen sollten."

Die Gruppe blickte Hanji nun erschrocken an, bevor ich selbst ein weiteres Mal das Wort ergriff:
„Dort könnt ihr euch ein Bild der Lage machen und vielleicht eine Möglichkeit finden, zu zeigen, dass das Volk Ymirs nichts anderes als normale Menschen sind. Zudem werde ich weiter mit meinem Vater schreiben. Wenn meine Heimat und die Azumabitos auf der Seite von Paradies stehen, hat das ebenfalls eine ganz andere Wirkung, als wenn nur ein habgieriges Regime euch unterstützt. Besonders das Eingreifen eines neutralen Landes kann vielleicht die entscheidende Überzeugungskraft leisten."

„Wenn dein Vater sein Wort hält..." ,zischte Levi. Er sah kurz zu mir herüber.
„Egal, was -dNs- Vater für uns tun wird, wir sollten bald losreisen und selbst in die Welt gehen. Wenn man etwas nicht weiß, zieht man los, um es herauszufinden. Das ist es doch, was den Aufklärungstrupp ausmacht!" ,ergriff Hanji nun das Wort. Ich lächelte. Vor uns stand eine weitere Reise. Die Reise an den Ort, der für mich über einige Monate ein Zuhause gewesen war und welcher mich am Ende nach Paradies geführt hatte. Es war also an der Zeit nach Marley zurückzukehren.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt