124. Ein Ausflug wie kein anderer

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Der nächste Morgen brach an. Gemeinsam mit Kenny, Rico und Phil machte ich mich auf den Weg zur einer Erkundungstour. Hanji, Levi und ich hatten entschieden, dass ein jeder mit seinem Team den Tag verbrachte, um die allgemeine Stimmung zu heben und gleichzeitig ein wenig von den eigentlichen Belangen abzulenken.

Die teamlose Hanji hatte dabei die Aufgabe übernommen mit Onyancopon auf Kuchel aufzupassen. Lina, die doch wie früher noch eine gewisse Gewitztheit besaß, hatte dies durch einen plötzlich anfallenden Termin klug umgangen. Ich musste innerlich grinsen. In Sachen Kinder war sie wohl noch immer nicht zu begeistern, was ich irgendwie verstehen konnte.

„Und Schnecke, wo geht es hin?" ,fragte Kenny, der wie alle anderen von uns zivil gekleidet war und dennoch durch sein reines Erscheinungsbild auffiel. Wahrscheinlich wirkten wir durch ihn wie eine Verbrecherbande auf Beutezug, wobei Phil eher wie die erste Beute als wie ein Mitglied mitgeschleppt wurde.

„Ihr Titel ist Teamführerin -dN-!" ,warf der treue Soldat nun ein. Im Gegensatz zu mir oder Riku hatte er anscheint noch immer nicht eingesehen, dass Kenny sich niemals ändern würde und maßregelte den alten Sack. Ich stöhnte auf.
„Phil, das bringt nichts" ,warf Riku ein, die daraufhin stehen blieb, um in einen Laden hineinzuspähen. Ihre Augen glänzten ein wenig. Ich sah sie verwundert an. Einen solchen Ausdruck kannte ich bei ihr gar nicht. War das etwa ein Hauch von Begeisterung?

Ich drängte mich an Kenny vorbei, der mich mit seinem Blick musterte und sah ebenfalls in das Schaufenster. Da waren nur Puppen. Einfache Puppen – einige mit Haaren gefertigt, andere ohne, die meisten jedoch recht niedlich angekleidet.
„Die sind ja wunderschön..." ,flüsterte Riku nun.

Ob sie mich veräppeln wollte, wollte ich sie zunächst fragen, doch dann erkannte ich bereits, dass sie es wohl ernst meinte. Die strenge, trockene und doch so genaue Riku schien also wirklich eine Schwäche zu haben. Dass es sich dabei um ein Spielzeug handelte, hätte ich niemals gedacht. Um ehrlich zu sein, war meine Einschätzung immer etwas obszöner gewesen.

„Ich würde mich gern einmal umschauen!" ,forderte mein Teammitglied nun. Sie richtete ihre Brille, wahrscheinlich versuchte sie wieder etwas ernster zu wirken, und sah mich fragend an.
„Tue dir keinen Zwang an. Wir warten hier..." ,meinte ich nur, sodass sie den Laden förmlich stürmte.

„Sind wir hier im Kindergarten, oder was?" ,zischte Kenny nun. Er lehnte an die Wand und sah mich genervt an.
„Lass sie! Jeder brauch seinen Ausgleich..." ,flüsterte ich schon fast, während wir warteten. Kenny grinste mich an.
„Hätte eher gedacht, dass wenn sie sich die Brille abnimmt, sie sich mal so richtig von ein paar Kerlen gleichzeitig durchnehmen lässt..." ,scherzte der Alte nun, woraufhin ich mit den Schultern zuckte. So obszön hatte ich mir Riku nun doch nicht vorgestellt. Prüfend blickte ich zu Phil, der etwas errötet neben uns stand und schwieg. Für solche Gespräche war er wohl eher nicht zu begeistern.

„So, wie du aussiehst, Phil, hast du auch mal einen Besuch im Bordell nötig" ,meinte Kenny nun zu unserem zurückhaltenden Teammitglied. Dieser stotterte leise vor sich hin. Ich verstand ihn nicht, hakte jedoch nicht nach, um ihn nicht weiter in Bedrängnis zu bringen. Immerhin sollte dieser Ausflug zur Stimmungsanhebung dienen und nicht zum Runtermachen einiger Mitglieder.
„Bordellbesuche übernimmt das Militär aber nicht", konterte ich.
„Ach was... Das habe ich anders in Erinnerung..."

Kenny lachte laut auf. Er richtete seinen Hut, indem er ihn ein wenig weiter ins Gesicht zog und sah zur Tür des Ladens, als sich diese öffnete. Mit ernster Miene und dennoch mit gefülltem Beutel trat Riku an uns heran.
„Wir können weiter" ,sagte sie nur, um daraufhin auf den Boden zu starren. Ihr schien das Ganz nun doch etwas unangenehm zu sein.
„Und? Was machen wir jetzt, Schnecke?" ,warf Kenny nun ein. Ich legte meine Hand ans Kinn, sah mich kurz um und meinte dann begeistert:
„Wir gehen ins Kino."

Das Filmtheater, wie es in Marley genannt wurde, war nicht nur riesig sondern zudem pompös eingerichtet. Die Sitze waren mit rotem Samt bezogen, ein jeder feinst säuberlich abgebürstet, sodass man noch die Streifen auf dem Stoff erkennen konnte. Ich ließ meine linke Hand über den Bezug gleiten. Er war angenehm weich und ließ mein Herz ein wenig höherschlagen.

Ausgewählt hatte ich für meine Teammitglieder eine Dokumentation über die Tiere in den Bergen. Ich hoffte darauf, dass diese nicht allzu wild erschien, sodass vor allem Phil nicht aus dem Saal rennen würde. Oft genug hatte man ja schon gehört, dass zart betuchte Seelen bei Aufnahmen von Zügen oder anderen sich schnell bewegenden Dingen, in Panik verfielen. Doch trotz meiner Wahl bat ich um den Platz neben ihm, um ihm in Not gut zureden zu können.

„Nicht erschrecken. Das sind alles nur bewegte Bilder" ,erklärte ich schon mal.
„Was soll daran besonders sein?" ,fragte Riku, doch das Licht wurde bereits gedimmt, sodass der Saal verstummte.

Eine Erzählerstimme begann von den Bergen zu schwärmen. Die ersten Bilder folgten. Doch statt diese zu verfolgen, sah ich in die weit geöffneten Augen meiner Kameraden. Wie bei Levi und Hanji wurden auch ihre Gesichter zunächst starr. Diese große Leinwand, der Film, welcher ablief, und die damit einhergehende Wirkung zerdrückte ein Jenen beim ersten Hinschauen. Doch hatte man sich an das Ganze gewöhnt, reagierte jeder anders. Hanji begann damals zu jubeln, sodass ich mir gewünscht hatte, mich in Luft aufzulösen, während Levis Blick einfach nur entspannt gewesen war. Auch Kenny reagierte ähnlich. Er begann zu verstehen und sah sowie hörte einfach zu. In dieser Zeit war sein doch so gewitztes Mundwerk plötzlich ganz ruhig. Riku begann alles zu kommentieren. Ein „Ach" oder ein „Oh" lief über ihre Lippen, während sie den Film verfolgte. Es war nervig, doch wenigstens nicht so anstrengend wie Phils Anblick. Er saß krampfhaft da – quasi in den Stuhl gedrückt und starrte vor sich hin.

„Wir können auch rausgehen, wenn du willst..." ,flüsterte ich ihm zu. Doch er schüttelte den Kopf.
„Nein... Nein... alles gut..." ,stotterte er, doch ich seufzte. So sehr ich meinen Teammitgliedern etwas bieten wollte, so sehr war ich doch wieder gescheitert. Die Drei waren einfach unglaublich unterschiedlich. Während die eine Puppen mochte, ließ der andere gern die große Variante für sich tanzen oder sonst was machen. Und Phil? Ihn konnte ich überhaupt nicht einschätzen.

„Wie hättet ihr wohl reagiert?" ,fragte ich mich. Ich dachte an Basti, Jens und Aurou. Mit ihnen hatte ich es einfach gehabt. Sie waren ungefähr vom gleichen Schlag gewesen und hatten sich auch untereinander gut verstanden. Es war eine gute Basis gewesen, um Vertrauen zu fassen, was man vor allem bei der Säuberung der Unterstadt gemerkt hatte. Für jeden von ihnen hätte ich meine Hand ins Feuer gelegt, dass er seinen Pflichten gerecht werden würde und jedem davon am Ende bei einem Glas Bier gedankt. Ich presste meine Lippen zusammen, als die Erzählerstimme verstummte und das Licht im Saal wieder heller wurde. Die Drei waren schon so unglaublich lange fort.
„Nun fast schon vier Jahre..." ,dachte ich und konnte es selbst kaum glauben. So lange war die Mission, in denen sie aber auch Erwin ihr Leben gelassen hatten, her.

„Kommt da noch was?" ,riss mich Kenny aus meinen Gedanken, als ich immer noch dasaß.
„Ach so... Entschuldigt. Wir können aufstehen" ,meinte ich nur. Mein Blick wanderte nochmals zu Phil, der zumindest nicht umgekippt war.
„Lasst uns was essen!" ,schlug ich nun in der Hoffnung vor, damit alles richtig zu machen.

Wir gingen zu einem Laden, der Pizzen verkaufte. Diese leckeren platten Dinger, die mit Käse und Gemüse oder Fleisch belegt waren, musste man einfach mögen. Ich jedenfalls liebte sie und freute mich, als ich eine sogenannte Pizzeria in einer Einkaufsstraße entdeckt hatte.

Wir bestellten und aßen. Sichtlich begeistert stopfte ein jeder seine Stücke in sich hinein. Der eine zu einem guten Bier, der andere zu einen Glas Wasser.
„Mmh, wirklich lecker, Truppenführerin. Aus was besteht denn der Teig?" ,fragte Phil interessiert. Ich sah etwas verdutzt zu ihm, kaute energisch, um dann zu schlucken und antworten zu können.
„Na ja... meistens Wasser, Öl, Mehl und Hefe... glaube ich..."
„Hefe?"

Phil hielt plötzlich inne. Was war denn jetzt schon wieder?
„Viel Hefe?" ,fragte er. Ich zuckte mit den Schultern. Wie sollte ich solch eine Frage beantworten?
„Warum fragst du?" ,mischte sich Riku nun ein, die als einzige mit Gabel und Messer aß. Ich musste an Levi denken. Wahrscheinlich hätte er mich bei meinem Stopfen angeekelt angesehen.

„Ich bin allergisch gegen Hefe..." ,stotterte Phil nun. Mein Blick wanderte zur Decke. Es war ein solcher Moment, in dem ich ihn am liebsten gegen die Wand geklatscht hätte. War das wirklich sein ernst? Könnte er es nicht gleich etwas präziser ausdrücken? Ich atmete tief durch. Zweimal. Nur um ihn dann streng anzusehen.

„Musst du es rausholen?"
Phils Augen weiteten sich. Er verstummte. Sein Anblick verriet mir, dass er leicht überfordert war – schon wieder. Ich blickte fragend zu den anderen Teammitgliedern.
„Ich kann ihn zum Kotzen bringen, wenn es sein muss..." ,warf Kenny ein, während er sein letztes Stück verspeiste. „Wäre nur schade drum."
„Nein... ist in Ordnung... Ich esse einfach nicht weiter..." ,meinte Phil nun. Die Androhung von Kenny zeigte wohl seine Wirkung.
„Bist du dir sicher, Phil?" ,fragte ich.
„Ja" ,sagte er noch, doch das war wohl eine Lüge.

Unterwegs zu unserer Herberge hielten wir gefühlte zwanzig Mal an. Phil übergab sich immer wieder, sodass wir bald schon eher einen Weg durch den Park oder zumindest ruhige Straßen aussuchten, um ihn nicht mitten auf den Weg erbrechen zu lassen. Nach meiner genervten Art folgte doch noch die Sorge, doch Riku beruhigte mich. Laut ihrer Aussage war Erbrechen noch einer der harmloseren Reaktionen von Allergikern.

„-dN-, bist du es?"
Ich stand mit Kenny an einer Wand gelehnt, als mich plötzlich jemand von der Seite ansprach. Unsicher blickte ich zu dem Typen, dessen schwarzes Haar mir sofort ins Auge stach. Ja, ich kannte ihn und ich war mir recht sicher, dass er einer derjenigen war, mit denen ich angebändelt hatte, als ich in Marley auf Mission war. Doch sein Name – er wollte mir nicht einfallen.
„Meine Güte, dass ich dich noch mal wiedersehe... Ich habe ehrlich gesagt darauf gehofft" ,meinte er jetzt schon fast zu freundlich. Kenny musterte meine Reaktion.
„Was ist das denn für einer?" ,flüsterte er mir zu, doch ich versuchte es gekonnt zu ignorieren.
„Hans..... Roland.... Arthur...." ,sagte ich leise auf, doch nichts schien zu passen. Im Gegensatz zu mir hatte er bei mir wohl keinen bleibenden Eindruck hinterlassen. Mit meiner rechten Hand begann ich an meinem Fingernagel zu knibbeln. Doch der Name selbst, war noch nicht einmal das Wichtigste. Immerhin hatte ich nicht mit irgendwelchen Männern meine Zeit verbracht, sondern immer gezielt Soldaten ausgewählt. Je nach seinem Rang musste er von meiner damaligen Verhaftung wissen oder diese sogar veranlasst haben.

„Ich freue mich auch" ,rief ich nun aus. Ich ging einige Schritte auf ihn zu und lächelte. „Entschuldige, dass ich mich nicht mehr gemeldet hatte. Ich hatte ehrlich gesagt, familiäre Problemen..." ,sagte ich und zeigte dabei auf Kenny.

„Verstehe, verstehe..." äußerte der mir immer noch Fremde. Er grinste ein wenig. Es war ein Grinsen, was ich kannte, verriet es doch genau seine Absicht. Auch er war wohl nicht der Mann, der unbedingt feste Partnerinnen suchte, sondern eher auf ein wenig Spaß aus war. Wahrscheinlich hatte er deswegen und auf Grund seines Aussehens, denn er war wirklich keine schlechte Wahl, nur allzu gut in mein Beuteschema gepasst. Viel Alkohol und ein wenig rummachen, um dann an Daten zu kommen, war immerhin zur damaligen Zeit meine Devise gewesen, wenn ich auch trotzdem meinem eigenen Geschmack ein wenige nachging – immerhin sollte die Arbeit auch ein wenig Spaß machen.

„Hast du mal wieder Zeit?" ,fragte er nun. Er kam wohl gleich zur Sache. Ich legte meine Hand auf seine Schulter. Meine Augen fixierten die seinen. So schlecht ich mich dabei auch fühlte – und ich bat bereits jetzt in meinen Gedanken Levi um Verzeihung für mein jetziges Handeln – es war unumgänglich.

Ein wenig schob ich ihn in Richtung einer Gasse.
„Mein Vater muss das nicht unbedingt wissen..." flüsterte ich ihm verspielt ins Ohr und er biss an. Doch als wir die Gasse erreichten, veränderte sich sein Blick. Er hatte mich durchschaut, zog seine Pistole, als ich nach meinem Dolch griff und schoss. Es war ein Bruchteil von Sekunden. Ich drehte mich ein wenig weg, wich dem Lauf der Pistole aus und stach zu – direkt seitlich in seinen Hals. Mit voller Kraft riss ich den Dolch heraus. Die Klinge offenbarte eine tiefe Fleischwunde, doch es reichte mir nicht. Ein weiteres Mal schwang ich sie. Ein weiteres Mal bohrte sie sich in ihn hinein – diesmal tief durch sein Auge in seinen Kopf. Er war sofort tot.

Sein schlaffer Körper ging zu Boden. Er sackte förmlich in sich zusammen. Ich blickte kurz zu ihm herunter.
„Tim..." ,flüsterte ich. Gerade jetzt fiel er mir doch wieder ein: Sein Name. „Du warst wohl kein dummer Mann..." ,sagte ich noch, während ich die Gasse verließ.
„Brauchst du Hilfe, Schnecke?" ,zischte Kenny. Ich schüttelte den Kopf. „Hast wohl kein Mitleid mit deinen Verflossenen, was? Da fügst du dich ja gut in die Familie ein..."

Er grinste mich an. Ich seufzte leise und sah an mir herab. Mit den Blutflecken auf der Bluse war ich wohl nicht gerade eine unauffällige Touristin.
„Leih mir mal deinen Mantel! Wir müssen hier weg!" ,forderte ich, bevor wir Phil und Riku einsammelten, um uns weiter auf den Weg zu machen.

Während wir nun ohne weiteren Umweg unsere Unterkunft anvisierten, rannten die Gedanken durch meinen Kopf. Auch wenn dieser Zwischenfall kaum von Belangen war, hatte ich am heutigen Tag eine Leiche in der Stadt hinterlassen. Allein dies war Grund genug, morgen das Gespräch mit Hanji zu suchen, denn immerhin musste ich schmerzlich erkennen, dass meine früheren Aktivitäten noch nicht vergessen waren. Und wer wusste schon, wem ich hier noch alles begegnen könnte.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt