92. Geburtstag

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„Überraschung!" rief die ganze Gruppe aus, als wir das Gasthaus betraten. Ich lächelte zögerlich. Levi und ich hatten entschieden, unsere Freunde in dem Glauben zu lassen, dass ich es wirklich geschafft hatte, ihn herzulocken. Was sollten wir auch anderes tun? Wir konnten ihnen ja schlecht erklären, dass er mich innerhalb von Sekunden durchschaut hatte – mich, die früher als Spionin tätig war. Ich errötete bei dem Gedanken. Dieser Mann kannte mich mittlerweile fast schon zu gut. Er las förmlich meine Gefühle aus mir heraus und schloss dadurch auf meine Ideen oder Gedanken.

„Danke, Leute." sagte Levi lächelnd, als Hanji ihm einen Blumenstrauß in die Hand drückte.
Rote Lenzrosen – sie dufteten mir entgegen. Es waren einer dieser wenigen Blumen, die auch im Winter blühen und dadurch der Kälte einen Streich spielten.

Unsere Kommandantin grinste.
„Das hast du gut gemacht, -dN-." meinte sie und klopfte mir auf die Schulter.
Unsicher kratzte ich mir an der Wange, bereit meinen Fehler einzugestehen. Doch Levis Lächeln sagte mir, dass ich schweigen konnte.

„Können wir endlich essen?" rief Sasha herüber, die bereits am gedeckten Tisch saß. Sie starrte gemeinsam mit Mikasa, Eren, Armin, Connie und Jean auf die vielen Schalen und Töpfe, welche ein großes Festmahl beinhalteten. Hanji hatte nicht grade wenig Geld in die Hand genommen, um uns diesen Abend zu ermöglichen. Das verriet mir vor allem das viele Fleisch, welches vor sich hin dampfte.

Entspannt platzierte ich mich neben Armin, wobei Levi mir folgte und sich neben mir setzte.
„Das alles wäre nicht nötig gewesen..." stöhnte er schon fast und lag den Strauß neben sich.

„Ah, das musste mal sein, Levi. Wir haben uns das doch alle verdient. Du hast uns halt den perfekten Anlass dafür gegeben, mal richtig gut essen zu gehen! Ich würde sagen, langt zu!"
rief Hanji nun.
Die erste Schale mit Fleisch wurde bereits über den Tisch gezogen. Es war Sasha, die nur auf diesen einen Satz gewartet hatte und sich zwei große Stücke auf den Teller legte. Ich und Levi starrten zu ihr herüber und sahen uns dann an.
„Lass sie..." seufzte er, „die wird sich nie ändern."

Ich kicherte. So nervig diese Eigenschaft von Sasha auch war, es machte sie zudem unglaublich liebenswert. Oft fragte ich mich, warum sie nicht die Karriere als Köchin angestrebt oder eine andere Berufung mit Essen gewählt hatte – immerhin schien sie eine leidenschaftliche Genießerin zu sein. Doch gleichzeitig war ich froh darüber, dass so eine talentierte junge Frau sich für den Aufklärungstrupp entschieden hatte.
„Sasha, lass was über!" schimpfte nun Connie. Er riss seiner besten Freundin die Schale aus der Hand und spießte dabei selbst etwas von dem Filet auf, während sich die anderen am Brot oder Gemüse bedienten.
„Was willst du?" fragte Levi, um mir ebenfalls etwas heranzureichen. Ich lächelte. Die Art und Weise, wie er sich um mich sorgte, ließ mein Herz klopfen.
„Brot und Gemüse ist gut..." meinte ich nur und nahm selbst etwas aus dem Brotkorb, während Levi sich und mir Möhren auf den Teller gab.

„-dNN-, wollt ihr nicht etwas über die Menschen hinter dem Meer erzählen?" fragte Armin plötzlich. Es waren die Blicke meine Kameraden, die plötzlich alle auf mich eintrafen. So als wären sie kleinen Nadeln, stachen sie auf meiner Haut und bereiteten mir Gänsehaut. Natürlich – der blonde Junge konnte nicht wissen, dass seine Bitte für mich unangenehm war. Immerhin war er einer der Wenigen, die noch auf das Gute hofften und nicht alle Menschen auf dieser Welt als Feinde sahen. Ich wollte ihm diese Hoffnung nicht nehmen – gewiss nicht. Doch gleichzeitig wollte ich keine Lügen verbreiten, denn was ich all meinen Kameraden vor allem schuldig war, war die Wahrheit. Eine unschöne und kalte Wahrheit, die ich wie einen Pfeil mit mir rumtrug, um sie damit aufzuspießen und jede Hoffnung auszulöschen.

„Was genau willst du wissen, Armin?" fragte ich den jungen Mann, um vielleicht eine Chance zu entdecken, von etwas Schönem zu erzählen.

„Wie ist es dort, wo ihr herkommt?"

Meine Augen weiteten sich. Wo ich herkam? Es war schon so lange her. Hin und wieder fragte ich mich, ob dort alles noch so sei, wie damals. Ob meine Heimat bereits Krieg führen musste oder weiterhin das Glück hatte, den Frieden auskosten zu können. Ich wusste es nicht und es belastete mich. Immerhin lebten dort Menschen, die ich einmal ebenfalls Kameraden genannt hatte – vielleicht sogar Freunde. Eine Hand strich über meinen Oberschenkel. Levi blickte mich sorgenvoll an, doch ich schüttelte nur den Kopf. Es war in Ordnung. Bei all dem Kummer, den ich empfand, war diese Bitte von Armin eine, die ich gern nachging, denn ich müsste nicht nur über Kriege und das damit verbundene Grauen erzählen.

Ich schilderte ihnen den Fortschritt und schwärmte von der Landschaft meiner Heimat. Fast schon erfreut erzählte ich ihnen von Automobilen, Maschinen und Flugzeuge, nannte die großen Häuser unserer riesigen Städte und erwähnte die Berge, die über die Wolken reichten. Es war still. Meine Kameraden lauschten den Geschichten, die ich ihnen bieten konnte und staunten über so Manches, was für mich immer so selbstverständlich gewesen war. Doch auch ich spürte diese Aufregung – jetzt, wo ich diese Orte selbst nicht mehr bereisen konnte. Es war mein Geist, der mir verriet, dass ich mich nach meiner Heimat sehnte und sie wiedersehen wollte. Nicht als Bewohner, sondern als Gast in diesem Land, aus dem ich einst stammte. Mein Blick wanderte zu Levi, der mir ebenfalls konzentriert zuhörte. Immer noch hoffte ich darauf, eines Tages mit ihm dorthin zu reisen und ihm alles zeigen zu können. Vielleicht würde ich ja doch am Ende sogar meine Familie besuchen, nur um ihn stolz vorzustellen – ihn und unser gemeinsames Kind.

Der Abend schritt voran. Wir aßen gut, lachten hin und wieder und diskutierten schlussendlich doch über unser weiteres Vorgehen. Ich schlug vor, dass der nächste Schritt ein Hafen sein könne und machte mit Hanji einen Termin aus, um auch diesen bereits im Vorfeld zu besprechen. Immerhin mussten wir zügig vorankommen, um uns für unsere Feinde vorzubereiten. Das wussten wir alle und trotzdem – wir genossen diesen Abend, als sei diese Welt in Ordnung.

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt