16. Schmerzende Verluste

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"Jetzt!" schrie Erwin. Die Maschinen wurden ausgelöst und schossen ihre Pfeile. Eine Wolke stieg auf. Ich hielt meinen Arm vor mein Gesicht, um mich zu schützen und atmen zu können. Ganz langsam verflog der Staub und gab uns die Sicht auf unser Opfer frei.  Es hatte funktioniert - der weibliche Titan stand vor uns festgebunden. Sie bewegte sich leicht, konnte jedoch die Seile, die sie gefangen hielten, nicht lösen.
"Mehr!" schrie ich hinunter. "Das wird nicht reichen." Hanji sah auf und nickte.
"Los, ein weiterer Schuss!" Weitere Pfeile wurden auf das Monster losgelassen. Noch mehr Spitzen bohrten sich in das Fleisch und machten den Riesen fast unbeweglich. Levi sprang nun hinunter vom Baum und begab sich zum Angriff. Auch Zakarius ging zum Angriff über. Beide bewegten sich auf die Stelle am Hals des Titanen zu. Auch wenn sie ihre Hand davor hielt, müssten die zwei erfahrenen Kämpfer recht schnell die Person aus dem Körper herauslösen können. Doch dann ertönte ein lautes Klirren. Die Klingen der Beiden zerbrachen. Wir alle sahen geschockt auf - die Titanin konnte ihren Körper härten. Es war unglaublich. Levi landete auf dem Kopf des Monsters. Er redete mit ihr. Erwin gab bereits Befehle.
"Er ist sicher auch für solche Probleme vorbereitet..." dachte ich und sprang zu Levi herüber.
"Ach eine Frage hätte ich noch. Ist es okay, wenn wir deine Arme und Beine abtrennen? Dir wachsen doch neue, oder? Ich meine die Arme und Beine...." Der Gefreite verspottete sie. Ich sah ihn erschrocken an. Sie jetzt noch durch Worte in die Enge zu treiben, war sicherlich nicht die beste Idee. Ich bewegte mich unsicher auf ihn zu.
"Levi, lass das lieber. Sie...:" Er sah mich düster an. Nichts als Hass waren nun in diesen Augen. Plötzlich schrie sie. Sie schrie aus vollen Kräften. Wir hielten uns die Ohren zu. Es war unglaublich laut. Der Schrei drang durch meinen Körper und versetzte ihn zum Beben. Ich sah Levi unsicher an. Das war kein Angstschrei. Sie führte etwas im Schilde. Die Wandlerin verstummt.
"Na, hast du dich erschrocken?" fragte Levi das Monster. Ich unterbrach ihn:
"Sie hat was vor! Da war keine Angst!" schrie ich. Der Gefreite blickte mich fragend an. Doch dann rief der Vizekommandant zu uns hinauf.
"Sie hat Recht. Ich rieche die Titanen. Sie kommen. Es sind viele." Die Soldaten wurden unsicher.
"Bereitet euch auf den Kampf vor!" befahl Erwin. Ich sprang zurück auf den breiten Ast und lauschte. Sie kamen wirklich. Ich konnte es hören. Ich sah zu Levi hinüber. Er begab sich zu Smith und schien mit ihm etwas zu bereden. Eine Staubwolke stieg am Horizont empor. Wie eine Herde bewegten sich die Titanen auf uns zu. Ihr Blick starr auf den weiblichen Titan gerichtet.
"Sie wollen die Wandlerin?" dachte ich und wurde wenige Momente später darin bestätigt. Die Titanen fielen über den wehrlosen Körper her, rissen ihn auseinander und verspeisten ihn genüsslich. Viele unserer Soldaten blieben regungslos stehen. Sie waren genauso geschockt wie ich.
"Angriff!" schrie Smith plötzlich. Ich sprang hinunter, schoss meinen Haken an einen gegenüberliegenden Baum und flog mit hoher Geschwindigkeit durch die Menge. Meine Schwerter glitten durch zwei Nacken. Wahrscheinlich hatten diese Titanen es noch nicht einmal gemerkt, so hingebungsvoll fraßen sie. Auch Levi, Zakarius und viele andere Soldaten begannen mit dem Gemetzel. Ein Titan nach dem Anderen fiel zu Boden. Sie qualmten, sodass sich langsam eine Art Rauch im Wald ausbreitete. Es stank. Ich sprang auf einen Ast zurück und sah zum weiblichen Titan, der kaum mehr vorhanden war. Plötzlich kam mir eine Erkenntnis. Ich schnappte nach Luft.
"Levi!" schrie ich quer über das Schlachtfeld. Er kam zu mir.
"Was schreist du denn so?" fragte er und sah mich dann erschrocken an. Konnte er meine Verzweiflung erkennen?
"Die Titanenwandlerin könnte sich schon längst aus dem Körper gelöst haben. Sie kann sich wieder verwandeln. Was, wenn sie auf dem Weg zu Eren und den Anderen ist?" Seine Augen weiteten sich. Er wusste genauso wie ich, dass dies fatale Folgen für unser Team haben könnte. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, flog er zu Erwin hinüber, tauschte sich kurz mit ihm aus und machte sich auf den Weg. "Hoffentlich haben sie durch ihn eine Chance....." dachte ich und schoss meinen Haken ein weiteres Mal. Meine Aufgabe lag hier. So schmerzlich dies auch für mich war. Ich fokussierte mich auf einen 6-Meter-Titan und sprang ihm entgegen. Mit einem Schwung nach rechts, wich ich seinem Maul aus und umkreiste ihn, um zwei saubere Schnitte an seinem Nacken zu platzieren. Ich landete auf einen weiteren Baum, um mir einen Überblick der Lage zu verschaffen. Die meisten Titanen waren verstümmelt oder besiegt. Nur wenige unserer Soldaten hatten in diesem Kampf Verletzungen davon getragen. Es schien glimpflich ausgegangen zu sein.
"Das Lavendelmädchen hat also wirklich einiges drauf." meinte Zakarius und landete neben mir. Er steckte seine Schwerter zurück. Ich blieb stumm. "Du bist wirklich eine interessante Frau, -dN-. Ich habe überlegt, einen neuen Elitetrupp mit dir und mir anzuführen. Ich denke, dass könnte funktionieren." erklärte er nun. Ich sah erschrocken auf.
"Was? Warum?" fragte ich. Der Vizekommandant kam mir näher. "Weil ich es nicht mit ansehen kann, wie du unter so einem Anführer eingesetzt wirst. Du bist keine gewöhnliche Frau und hast daher nichts in so einem gewöhnlichen Trupp verloren." Ich biss meine Zähne zusammen, zögerte kurz und tat es dann doch. Ein Knall halte durch den Wald. Meine Handfläche prallte gegen seine Wange.
"Keiner von ihnen ist gewöhnlich....." schimpfte ich. Ich schnappte nach Luft, bereit meiner Wut freie Lauf zu lassen. Doch Smith griff nach meiner Hand und zog mich von Zakarius weg.
"Keine weiteren Worte, -dNN-!" Er sah mich mit seinen eiskalten Augen an.
"Das lasse ich mir......" Eine Hand hielt meinen Mund zärtlich zu. Hanji stand hinter mir, mich halb umarmend, verhinderte sie schlimmeres.
"Du solltest dich erstmal beruhigen. Komm mit. Du brauchst sicherlich einen Schluck Wasser." Ich entriss Smith meine Hand und folgte Hanji hinunter vom Baum. Sie seufzte und sah mich bedrückt an. "Lina ist verschwunden." sagte sie nun leise und fügte hinzu: "Sie könnte natürlich gefressen worden sein, aber ich schätze, dass sie geflohen ist." Ich nickte. Dieses Verhalten würde ihr ähnlich sehen. Sie hatte den perfekten Zeitpunkt abgewartet. Einen Besseren als dieses Gemetzel konnte man einer Flüchtigen gar nicht bieten.
"Was habt ihr nun vor?" fragte ich Hanji. Diese zuckte mit den Schultern.
"Nichts. Wir haben keine Leute für eine Verfolgung. Außerdem kann sie schon weit sein. Ich denke, wir werden es einfach hinnehmen."
"Der Hauptgefreite ist zurück." schrie nun ein Soldat. Ich ging mit Hanji gemeinsam zu der Gruppe und erschrak. Levi, Mikasa und Aurou landeten bei uns. Der Gefreite hielt Eren in seinem Arm und starrte regungslos auf den Boden.
"Wo sind die Anderen?" fragte ich zögerlich. Da war es. Dieses Gefühl von Verlust. Es überkam mich. Sie mussten es nicht aussprechen, ich konnte er förmlich sehen: Eld, Gunther und Petra hatten es nicht geschafft. "Neeeein......." schrie ich aus. Ich hielt meine Hände vor mein Gesicht und drehte mich weg. Warum nur? Warum meine Freunde? Meine Augen brannten und Tränen glitten über meine Wangen. Ich dachte an Petra und unser Versprechen, an Gunther und seine glücklichen Erzählungen und an Eld und unseren Putzmarathon. Das alles war nun Vergangenheit. Nichts davon würde wiederkehren. Eine Hand berührte meinen Kopf. Levi stand vor mir, sein Blick immer noch gesenkt. Ich sah sie. Die Traurigkeit in seinen Augen und das Resignieren. Er musste diese Verluste schon lange akzeptiert haben. "Wie konnte Smith sie als Köder verwenden?" sagte ich schlunzend. Levi reichte mir ein Taschentuch.
"Wären sie es nicht gewesen, wären es andere gewesen, -dN-." Ich nahm das Tuch und er wendete sich ab. Wahrscheinlich wollte er meine Kritik nicht hören. Vielleicht war sie nicht fair. Ich drückte mein Gesicht in den weichen Stoff, trocknete meine Tränen und atmete tief durch. Auruo kam zu mir. Er hatte mein Gespräch mit Levi beobachtet und abgewartet.
"Wie sind sie gestorben?" fragte ich ihn.
"Der weibliche Titan......" flüsterte er nur. Sein Blick war regungslos. Der Schock saß tief. Wahrscheinlich hatte auch er noch nie solch einen Kampf erleben müssen. Wahrscheinlich schmerzte es in ihm genauso wie in mir. Zusammen standen wir einige Momente stumm da. Soldaten liefen an uns vorbei, sammelten die Opfer und legten sie eingewickelt auf die Karren.
"Wir starten den Rückzug!" rief Smith von einem Ast aus herrunter. Sein Gesichtsausdruck war unverändert. Keines der Opfer schien sein Herz zu berühren. In mir wuchs die Wut. Was war er bloß für ein Mann?

Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt