56. Offenbarung

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Der nächste Morgen verlief wie geplant. Der Offensivtrupp packte strukturiert seine Sachen zusammen und verließ gegen Mittag die Stadt Stohess. Wir ritten geschwind über die Ebene Richtung Mitras und kamen pünktlich zum Essen im Regierungsgebäude an.
"-dN-, da bist du ja! Wie verlief die Mission?" rief Hanji, als sie mich im Stall bei Wolke entdeckte. Ich säuberte mein Pferd, legte frisches Heu in ihre Box und kontrollierte sie auf Insekten. Meine freundliche Stute schien wohlauf zu sein.
"Ah, Hanji. Hat Levi dir nicht erzählt, wie die Mission war?" Die Braunhaarige schüttelte ihren Kopf wild hin und her. Ich seufzte und gab ihr eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse. Erstaunt blickte mich die Truppenführerin an.
"Das klingt doch erstmal sehr gut." sagte sie, doch sie wirkte nachdenklich.
"Ich denke auch..... Wir können trotz kleiner Probleme von einem Erfolg sprechen." Hanji ergriff meine Hand. Ich schrak auf, doch sah ich ihr lächelnd entgegen.
"Erwin wird dich heute vor dem gesamten Trupp sprechen lassen. Er will, dass du deine Herkunft vor allen preisgibst. Seiner Meinung nach ist es Zeit dafür." Ich starrte meine Kameradin an. Was hatte sie da grade gesagt? Doch die Frau zog mich bereits hinter sich her, sodass wir vom Stall aus über den Garten zum Hauptgebäude bis hin zum Speisesaal liefen. Ich bekam Herzklopfen.
"Hanji, warte! Ich könnte etwas Vorbereitung ge....." Doch sie öffnete bereits die Tür und zog mich in den Saal. Keiner der Soldaten schaute auf. Niemand schien zu wissen, was ich ihnen erzählen würde. Ich sah mich um. Jens und Bastian saßen seelenruhig an einem Tisch und aßen Bort, während Levis Trupp in einer Diskussion verstrickt war. Die Jugendlichen argumentierten heftig - allen voran Eren, der wild mit seinen Armen ruderte. Unsicher ging ich einige Schritt auf sie zu und wandte mich von Hanji ab. Nur ungern wollte ich Erwins Idee umsetzen. Es war also klug, nicht unbedingt an seinen Tisch zu gehen.
Plötzlich nahm ich ein Stöhnen wahr und sah verdutzt zum Boden. Da an einer Säule hing Sasha angebunden. Man hatte ihr den Mund mit einem Tuch gestopft und sie so gut es ging fixiert.
"Sasha, was soll das?" rief ich aus und ging in die Hocke. Vorsichtig hielt ich ihr Gesicht hoch. Ihr trauriger Blick erweichte mein Herz.
"Lass sie bloß angebunden!" rief Mikasa herüber. Sie saß auf einer Bank neben Eren und aß ein Stück Brot. "Die frisst uns sonst alles weg!"
"Ach, so ist das....." stöhnte ich nun und schaute wütend auf Sasha herunter. "Hast du dich mal wieder nicht unter Kontrolle....."
"-dN-...." Levi trat an mich heran. Er lehnte an dem Tisch seines Trupps und sah mich eindringlich an.
"Scheiße....." dachte ich und fummelte an meinem Verband. Smith schickte bewusst den Gefreiten. Er wusste, dass wir uns mittlerweile gut kannten. Vielleicht wusste er sogar mehr - ich konnte es bei diesem Mann nicht einschätzen. "Kommst du zu mir, weil Erwin etwas von mir möchte?" fragte ich Levi direkt. Mein Tonfall war schorf. Dieses Unbehagen in mir konnte und wollte ich nicht verbergen. Levi nickte.
"Hat Hanji dir bereits davon erzählt?"
"Ja, und was soll ich deiner Meinung nach sagen?" Ich schimpfte beinah. Meine Hände wurden feucht. Ein leichtes Kribbeln rannte durch meine Nase. Mir saß die Nervosität im Nacken. Ich sah zu Sasha, die immer noch am Pfeiler angebunden vor sich hinstarrte. Wie würde sie empfinden, wenn sie erfahren würde, wer ich wirklich bin? Wie würde mein Trupp reagieren? Was würden all diese Soldaten über mein langes Schweigen denken?
"Mache ihnen Hoffnung und erzähle ihnen von der Freiheit, so wie du es mir erzählt hast!" meinte Levi. Seine Stimme wirkte ruhig - fast schon zart. Ich sah überrascht auf. Hoffnung - konnte ich ihnen das bieten? Ich seufzte.
"Dann werde ich dem Kommandanten wohl Bescheid geben, dass ich mich natürlich seinem Wunsch füge." Ich betonte meine Worte mit aller Ironie, die mir möglich war. Wütend wandte ich mich von Levi ab. Selten hatte ich mich in seiner Anwesenheit so unwohl gefühlt - selten ihm so deutlich gemacht, dass ich nicht seiner Meinung war. Doch trotzdem lenkte ich ein. Eine andere Wahl blieb mir ohnehin nicht. Dessen war ich mir bewusst. Seufzend ging ich zu Erwins Tisch.

Gemeinsam mit Hanji saß Erwin entspannt an einem kleinen Holztisch und trank ein Glas Saft. Er blickte auf, als ich mich direkt gegenüber von ihm positionierte. Ich spürte wie sich meine Augenbraunen zusammen- und meine Mundwinkel herunterzogen. Sicherlich wirkte ich alles andere als erfreut.
"Ah, -dN-. Gut, das du hier bist." begrüßte mich der Kommandant. Ein leichtes Nicken - mehr Reaktion gab ich ihm nicht. Genervt beobachtete ich Levi dabei, wie er sich neben ihn setzte. Der Gefreite blickte mir besorgt entgegen, doch ich sah auf die Tischplatte. Mein Herz wurde schwer. Ich war enttäuscht. Statt mir die Entscheidung darüber zu überlassen, ob ich meine Herkunft teilen mochte, hatte mich Erwin gemeinsam mit Levi unter Druck gesetzt. Am Ende war Levi selbst in diesen Dingen immer noch seinem Kommandanten treu ergeben und zog dessen Meinung meiner vor. Meine Brust zog sich zusammen. Die letzten Tage hatten mich diesen Zustand fast vergessen lassen, doch nun dank Erwin war ich wieder zurück in der Realität dieses Trupps angekommen.
"Was willst du denn bitte, was ich erzähle?" fragte ich Smith zischend. Seine Augen blickten mich kalt an.
"Mache ihnen Mut und motiviere sie!" befahl er und stand auf. "Alle herhören!" schrie Erwin. Er ging einige Schritte bis zur Mitte des Raumes. Alle Augen waren auf ihn gerichtet. Innerhalb von Sekunden hatte jeder Soldat sein Essen liegen gelassen und schenkte nun dem Kommandanten seine volle Aufmerksamkeit. Ich atmete tief durch, stand auf und verschränkte meine Arme. Während ich fest in diese griff, folgte ich Erwin und stellte mich zu ihm. "Nach langer Zeit werden wir heute mit euch Informationen teilen, die für die nächste Mission wichtig sein können. Jeder sollte sich im Klaren sein, dass diese Informationen ausschließlich für den Aufklärungstrupp mit Ausnahme von Kommandant Pixies bestimmt sind." erklärte Erwin und sah zu Pixies, der mir freundlich zunickte. Dann begann Erwin meine Geschichte zu erzählen:
"Seit einiger Zeit dient -dN- dNN- dem Aufklärungstrupp. Wie ihr alle wisst, ist sie die Truppenführerin des Offensivtrupps und zudem eine fähige Kämpferin gegen Mensch und Titan. Seit dem ersten Tag an hat sie mit mir und den obersten Mitgliedern unseres Trupps wertvolle Informationen geteilt, die wir lange unter Verschluss gehalten haben. Doch es ist an der Zeit, dass ihr alle von -dNs- Herkunft erfahrt und von ihrem Wissen profitieren könnt."
Die Augen einiger Soldaten weiteten sich. Ihre Münder standen offen. Es schien, als würden die Klugen von ihnen bereits jetzt erkennen, auf was Smith abzielte.
"Wie Rainer Braun und die anderen Titanenwandler stammt -dN- von außerhalb der Mauern unseres Reiches."
Eine Unruhe lief durch den Raum. Einige Personen begannen zu flüstern, andere hielten sich selbst den Mund zu und starrten zu mir. Ich spürte die Blicke meiner Kameraden auf meinem Körper wandern. Sie waren wie Zecken, die sich an mich festsaugten und einen Unterdruck unter meiner Haut erzeugten. Ich bekam Gänsehaut. Meine Finger bohrten sich noch tiefer in mein Fleisch. Unsicher wanderte mein Blick zu Levi. Auch wenn ich ihn ignorieren wollte, in dieser Situation war er der Einzige, den ich ansehen konnte. Der Einzige, der mich nicht staunend oder erbost ansah. Er war das Licht in der Dunkelheit - das Licht am Ende des Tunnels. Ich schrak auf. Unfreiwillig dachte ich an meinen Traum.
"-dN-, möchtest du nun auch etwas sagen?" Erwin trat einen Schritt zurück. Ich biss mir auf die Unterlippe. In Gedanken versunken hatte ich seine letzten Sätze nicht mehr mitbekommen und wurde nun noch nervöser. Zögernd sah ich in die Augen meiner Kameraden. Viele von ihnen waren geschockt. Einige verspürten wahrscheinlich die gleiche Unsicherheit wie ich. Ich schluckte schwerfällig und trat einen Schritt vor, um direkt neben meinem Kommandanten zu stehen. Der Moment, in dem ich mit Levi den Gänsen sehnsuchtsvoll hinterhergeschaut hatte, lief plötzlich vor meinen Augen ab. Es war dieser eine Blick gewesen, der mir gezeigt hatte, wie groß sein Wunsch nach der Freiheit war. Dieses eine Seufzen, was nach der Ferne gerufen hatte. Es war der Glanz seiner Augen, der offenbart hatte, dass meine Worte ihm Hoffnung schenkten. Genau diese Worte waren es, die ich nun wiederfinden musste, um meinen Kameraden - nein, meinen Freunden - diese Hoffnung geben zu können. Genau diese Worte.


Grenzen vergessen Levi x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt